Brilon. Marie Fien (22) war Vegetarierin, jetzt folgt sie ihrer neuen Leidenschaft und macht ihren Metzgermeister. Ihr ungewöhnlicher Karriereweg.

„Hätte man mir vor ein paar Jahren erzählt, dass ich den Metzgermeister mache, hätte ich gesagt ‚Du spinnst doch!‘“. Marie Fien lacht. „Das hat eigentlich alles mit einem Zufall angefangen.“ Die gebürtige Brilonerin hat eine Weile in der Gastronomie gejobbt, bis sie, bedingt durch Corona und die damit einhergehende Kurzarbeit, die Branche wechseln wollte. „Da ich den Kontakt mit Menschen mag, hatte ich den Einzelhandel ins Auge gefasst.“ Als sie dann in einem Briloner Supermarkt anfing, sei sie sozusagen direkt „am Ärmel gepackt und zur Fleischtheke gezogen worden.“ Ganz geheuer sei ihr das anfangs nicht gewesen: „Ich wollte das erst überhaupt nicht, schließlich war ich zu dem Zeitpunkt Vegetarier.“

Praktikum macht ihr wider Erwarten viel Spaß

Dann ging plötzlich alles sehr schnell. „Die Thekenleitung von Schäfermeier hat mir nach kürzester Zeit einen Ausbildungsplatz angeboten. Ich wollte aber erst ein Praktikum machen, bevor ich mich endgültig entscheide“, so Marie Fien. Das Praktikum habe ihr wider Erwarten so viel Spaß gemacht, dass sie den Ausbildungsplatz angenommen habe und bis zum Start auch als Aushilfe geblieben sei. „Die Arbeit war toll, aber das Fleisch kam dort immer bereits ausgelöst an, das heißt, ich habe das Tier nie ‚am großen Stück‘ gesehen. Das hat mich aber interessiert.“ Im zweiten Ausbildungsjahr dann der Wechsel zur Fleischerei Ernst nach Bigge. „Da habe ich dann zum ersten Mal das Auslösen gesehen und musste auch eigene Teilstücke zerlegen.“

Mein Interesse wurde einfach immer größer, ich habe viele Fragen gestellt, beim Pökeln geholfen und bin auch während der Ausbildung immer wieder auf Lehrgänge nach Münster ins HBZ (Handwerks-Bildungs-Zentrum) gefahren.
Marie Fien

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Im Laufe der Zeit habe sie dann auch selbst wieder angefangen, Fleisch zu essen. „Mein Interesse wurde einfach immer größer, ich habe viele Fragen gestellt, beim Pökeln geholfen und bin auch während der Ausbildung immer wieder auf Lehrgänge nach Münster ins HBZ (Handwerks-Bildungs-Zentrum) gefahren.“ Dort habe sie dann meistens mehr Zeit bei den „richtigen“ Fleischern verbracht als in ihrem eigenen Kurs. Dabei sei das schon eine richtige Männerdomäne: „Außer mir gab es dort nur eine weitere Frau. In meinem eigentlichen Kurs, bei den Fleischereifachverkäufern, war es genau umgekehrt - da gab es nur einen Mann.“ Einer der Lehrer habe ihr dann in herrlicher Berliner Schnauze geraten, doch direkt zu wechseln „statt nur herumzulungern und zu gucken“. „Dieser Lehrer wird jetzt während der Meisterausbildung auch mein Dozent“, freut sich Marie Fien.

Anspruchsvolle handwerkliche Tätigkeit

Marie Fien mit Mischlingshündin Akira, die sie aus dem Tierschutz adoptiert hat.
Marie Fien mit Mischlingshündin Akira, die sie aus dem Tierschutz adoptiert hat. © WP | Maxim Janneh

Privat kümmert sich Marie um ihre drei Ponies, ist jahrelang auch selber geritten. Sie liest und singt gerne („Wie gut, das überlasse ich den anderen.“) und hat kürzlich die sieben Monate alte Mischlingshündin Akira aus dem Tierschutz adoptiert. „Sie kommt aus Rumänien, hatte anfangs viel Angst, aber das wird langsam besser“, erzählt sie. Dass sie etwas Handwerkliches machen möchte, sei ihr schon früh klar gewesen. „Eigentlich wollte ich Schreiner werden.“ Dass sie mal in der Fleischerei landet und dort so aufgeht, hätte niemand erwartet. „Ich am allerwenigsten.“ Dabei sei es aber vor allem die anspruchsvolle handwerkliche Tätigkeit, die sie reizt: „Jedes Tier ist ja individuell gewachsen und gibt die Arbeit damit auch ein Stück weit vor. Man muss sich immer wieder neu einstellen.“ Außerdem sei es für sie sehr wichtig, zu wissen, woher das Fleisch kommt. Denn Tiere liegen Marie, der Berufswahl zum Trotz, sehr am Herzen. Außerdem: Wer Fleisch isst, dürfe über ihre Arbeit natürlich sowieso nicht meckern. „In der Berufsschule hatten wir zum Beispiel auch das Fach Religion, aber eher als Ethik. Da haben wir viel darüber gesprochen und diskutiert ob es in der heutigen Zeit überhaupt richtig ist, Tiere zu essen.“ Ansonsten standen auch klassische Fächer wie Deutsch hinsichtlich des Verfassens von Geschäftsbriefen auf dem Stundenplan oder Mathematik für die Kalkulation oder zum Anmischen von Lake oder ähnlichem, berichtet Fien. „Aber wir hatten auch Unterricht in Politik, Anatomie und vielem mehr.“

Reaktionen aus dem Umfeld fast immer positiv

Und wie sind die Reaktionen aus dem Umfeld? „Die sind wirklich durchweg positiv.“ Zwar seien die Leute manchmal verwundert und ab und zu würde auch mal ein Witz gemacht. „Du bist doch selber nicht größer als ein Kotelett-Strang“ habe mal jemand zu ihr gesagt. „Über sowas kann ich aber auch lachen“, sagt Marie. Denn mit ihren 48 Kilogramm Körpergewicht auf 1,52 Meter sei das schließlich nicht so weit hergeholt. Dass ihre Statur nicht der eines „typischen“ Metzgers entspricht, sei ihr kürzlich wieder klar geworden. „Ich habe ja schon meine Ausrüstung für die Meisterschulung bekommen - darunter auch ein Kettenhemd, das man bei der Arbeit aus Sicherheitsgründen tragen muss. Obwohl ich schon die kleinste verfügbare Größe gekauft habe, ist das ein ganz schöner Akt, das so zu binden und anzuziehen, dass es auch richtig sitzt. Aber das geht schon irgendwie.“ Unterschätzen sollte man ihre Kraft auf gar keinen Fall. „Einmal habe ich mir mit so viel Schwung ein großes Teilstück über die Schulter geworfen, dass es laut geknackt hat. Da guckten alle besorgt. Das Knacken kam aber nicht von mir...“ Und was isst die einstige Vegetarierin heute am liebsten? „Definitiv Rumpsteak. Schön blutig. Da brauche ich auch keine Beilagen.“