Brilon. Brilon kämpft mit einem prekären Hausarztmangel: Ein Arzt soll sich um 2900 Einwohner kümmern. Gesundheitsexperten sind besorgt.

Der Hausarztmangel in Brilon war eines der beherrschenden Themen im vergangenen Jahr. Nicht allein Renteneintritte haben dazu geführt, dass die Anzahl der Hausärzte in der Stadt abnimmt, auch ein unerwarteter Todesfall hat die Situation weiter verschärft. Dennoch bringen zwei neue Mediziner, Dr. Wilhelm Redenbach an der Keffelker Straße und die Medizinerin Brigitte Alfke, eine gewisse Entlastung. Trotzdem ist die hausärztliche Versorgung in Brilon noch nicht auf dem erforderlichen Niveau, und sollte sich keine weiteren Hausärzte in Brilon niederlassen, könnte die Lage in Zukunft erneut problematisch werden. Stefan Kuster, Sprecher der Kassenärztlichen Vereinigung Westfalen-Lippe (KVWL), erläutert, was für eine optimale Versorgungssituation in Brilon erforderlich ist und wo es Engpässe geben könnte.

Bedarfsplanung: Mittelbereich betrifft die Hausärzte

Noch im Herbst vergangenen Jahres hatte sich eine Schlange vor der Praxis Dr. med. W. Redenbach in Brilon gebildet, viele nahmen stundenlanges Warten in Kauf, um einen Hausarzt zu bekommen.
Noch im Herbst vergangenen Jahres hatte sich eine Schlange vor der Praxis Dr. med. W. Redenbach in Brilon gebildet, viele nahmen stundenlanges Warten in Kauf, um einen Hausarzt zu bekommen. © WP/Boris Schopper | WP/Boris Schopper
Der neue Hausarzt Dr. Wilhelm Redenbach mit seiner Frau Petra, die als Orga-Talent im Hintergrund die Fäden zieht. Außerdem ist sie als Heilpraktikerin und Diabetologie-Beraterin tätig. 
Der neue Hausarzt Dr. Wilhelm Redenbach mit seiner Frau Petra, die als Orga-Talent im Hintergrund die Fäden zieht. Außerdem ist sie als Heilpraktikerin und Diabetologie-Beraterin tätig.  © WP | Franz Köster
Brigitte Alfke ist die neue Hausärztin im Briloner MVZ. Sie nimmt auch noch Patienten an und kann so die Lage der hausärztlichen Versorgung in Brilon entspannen.
Brigitte Alfke ist die neue Hausärztin im Briloner MVZ. Sie nimmt auch noch Patienten an und kann so die Lage der hausärztlichen Versorgung in Brilon entspannen. © Brilon | Jana Naima Schopper

Wie viele Ärztinnen und Psychotherapeuten für eine Stadt, einen Kreis oder eine Region benötigt werden, wird durch die sogenannte Bedarfsplanung festgelegt. Das erklärt die KVWL. Sie soll eine ausreichende flächendeckende Versorgung mit niedergelassenen Ärzten und Psychotherapeutinnen gewährleisten sowie eine Fehlversorgung vermeiden. Die Bedarfsplanung ist das entscheidende Instrument zur Sicherstellung der ambulanten Versorgung. Grundlage ist die Bedarfsplanungs-Richtlinie, die vom Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA) erlassen wird. „Die 22 Arztgruppen werden in vier verschiedenen Gruppen zusammengefasst, jede der vier Gruppen hat ihre eigene Planungsebene. Die Hausärzte werden auf Ebene der Mittelbereiche, die Fachärzte auf Ebene der Kreise bzw. kreisfreien Städte geplant“, so Stefan Kuster.

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Versorgungsgrad von 75 Prozent ist kritisch

Stimmt die Relation von Ärzten und Patienten in einer Region mit der gesetzlichen Vorgabe überein, spricht man von einem Versorgungsgrad von genau 100 Prozent. Ab einem Versorgungsgrad von 75 Prozent (hausärztliche Versorgung) bzw. 50 Prozent (fachärztliche Versorgung inkl. Psychotherapie) wird geprüft, ob eine Unterversorgung droht. Eine Überversorgung wird im Allgemeinen ab einem Versorgungsgrad von 110 Prozent ausgewiesen; der Planungsbereich wird dann für Neuzulassungen gesperrt.

Die aktuelle Lage in Brilon:

So viel zum Hintergrund, wie aber sieht die Lage in Brilon aus? Zum Mittelbereich Brilon gehört neben Brilon auch Olsberg. Dort laufen laut KVWL seit Jahren intensive Bemühungen, die hausärztliche Versorgungslage zu verbessern. „Die KVWL unterstützt die Verantwortlichen vor Ort seit geraumer Zeit bei den Bemühungen zur Nachbesetzung von Hausarztsitzen. Und so freuen wir uns, dass sich die hausärztliche Versorgungslage durch den Start von Dr. Redenbach und Frau Alfke im MVZ im Vergleich zur vorherigen Situation ein wenig entspannt hat“, heißt es seitens Kuster.

Seit Mai 2023 besteht in Brilon drohende Unterversorgung

Die beiden Briloner Neuzugänge sind in den Zahlen von November 2023 schon mit berücksichtigt. Der Versorgungsgrad im Mittelbereich Brilon liegt aktuell bei 72,5 Prozent. 18,25 Hausärzte (Vollzeitäquivalente) weist die Statistik auf. Es bestehen für Brilon und Olsberg weitere hausärztliche Niederlassungsmöglichkeiten. 25,1 Hausärztinnen (Vollzeitäquivalente) würden einem Versorgungsgrad von 100 Prozent entsprechen. Seit Mai 2023 besteht im Bereich Brilon eine drohende Unterversorgung. Dadurch kommen aktuell im Bereich Brilon rund 2900 Einwohner auf jedes hausärztliche Vollzeitäquivalent, also beinahe doppelt so viele wie nach Bedarfsplanung vorgesehen. Denn die Basis-Verhältniszahl für die hausärztliche Versorgung beträgt in Westfalen-Lippe derzeit grundsätzlich 1607 Einwohner je Arzt/Ärztin. Die Stadt Olsberg versorgt Brilon aktuell hausärztlich mit.

Situation ist nicht einfach

Eine Situation, die nicht einfach ist. Zwar haben die Neuzugänge für Entspannung gesorgt, die Lage bleibt aber schwierig. Die KVWL weist dahingehend auf die Altersstruktur der Ärzte und Ärztinnen vor Ort hin. Im Bereich Brilon sind derzeit rund 47 Prozent der Hausärzte älter als 60 Jahre. Zum Vergleich: In Westfalen-Lippe insgesamt sind dies im Moment rund 40 Prozent der Hausärzte. „Der demografische Wandel macht auch nicht vor der Ärzteschaft halt. Generell lässt sich zudem sagen, dass die Nachbesetzung von Arztsitzen in vielen Regionen, vor allem im ländlichen Bereich, schwieriger wird, da sich nicht genug junge Medizinerinnen und Mediziner für eine (eigene) Praxis entscheiden“, erklärt Kuster.

KVWL kritisiert Fehler in der Politik

Die KVWL äußert sich dazu sehr explizit: „Die Bundespolitik hat in den vergangenen Jahren viele Probleme ignoriert bzw. verschlafen, der ambulante Sektor wurde und wird klar benachteiligt. Die schmerzliche Quittung dafür werden nun sukzessive die Patientinnen und Patienten tragen müssen. Leistungskürzungen und Praxisschließungen werden wir in naher Zukunft verstärkt erleben – nicht nur in Brilon. Als Gesellschaft müssen wir uns von dem Bild lösen, dass die vertragsärztliche Versorgung direkt vor der Haustür stattfindet.“ Die KVWL fordert einen grundlegenden Kurswechsel der Politik, damit der ambulante Sektor gestärkt wird und die Niederlassung nicht weiter an Attraktivität verliert. Die Kernprobleme der Niedergelassenen: Bürokratie-Wahnsinn, Unterfinanzierung, Fachkräftemangel, mangelhafte Gesetzgebung. Dazu läuft aktuell auch eine bundesweite Initiative „Praxen-Kollaps verhindern“. Kuster erklärt für die KVWL: „Ein „weiter so“ kann es vor dem Hintergrund der aktuellen politischen Rahmenbedingungen nicht mehr geben. Die derzeitige Gesundheitspolitik führt dazu, dass die für die Menschen so wichtigen Anlaufstellen ihres Vertrauens infrage gestellt werden. Die Praxen der Niedergelassenen ersticken in Bürokratie, werden finanziell unzureichend ausgestattet und mit nicht ausgereiften Digitalisierungspflichten gelähmt – mit gravierenden Folgen im Sinne eines eklatanten Fachkräftemangels, sowohl was den ärztlichen Nachwuchs betrifft als auch die Medizinischen Fachangestellten.“