Brilon. Neue Patienten finden in Brilon keinen Hausarzt mehr. Ein Sterbefall verschlimmert die Situation deutlich. Was jetzt geschehen soll:

Die traurige Nachricht verbreitete sich wie ein Lauffeuer in Brilon: Der Briloner Hausarzt Dr. Michael Reiß ist im Alter von 68-Jahren am vergangenen Mittwoch überraschend verstorben.

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Bürgermeister Dr. Christoph Bartsch bedauert den Verlust zutiefst: „Michael Reiß hat die Praxis damals von seinem Vater übernommen, für mich steht hier natürlich die menschliche Tragödie im Vordergrund. Mit Michael Reiß verlieren wir einen sehr beliebten Arzt in Brilon, der bei seinen Patienten sehr geschätzt war“, erinnert sich Bartsch. Die Stadt Brilon werde nun alle notwendigen Schritte in die Wege leiten, um zumindest eine Notfallversorgung der Patienten von Dr. Reiß zu gewährleisten: „Für Patienten, die dringend ihre Rezepte brauchen, wird es eine schnelle Lösung geben“, kündigt er an.

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Versorgungsquote sinkt unter 75 Prozent

Der versorbene Hausarzt Dr. Michael Reiß.
Der versorbene Hausarzt Dr. Michael Reiß. © WP | Franz Köster

Die Hausärzte-Versorgungsquote wird nach dem Verlust von Dr. Michael Reiß auf unter 75 Prozent sinken. 39.713 Menschen werden dann, zumindest nach den Zahlen der Kassenärztlichen-Vereinigung-Westfalen-Lippe (KVWL), von nur noch 18 Ärzten versorgt werden, das sind im Durchschnitt 2.206 Personen pro Hausarzt. Ab einem Versorgungsgrad von 75 Prozent (hausärztliche Versorgung) bzw. 50 Prozent (fachärztliche Versorgung inkl. Psychotherapie) wird geprüft, ob eine Unterversorgung besteht oder droht. 24,9 Hausärzte (Vollzeitäquivalente) würden in Brilon einem Versorgungsgrad von 100 Prozent entsprechen. Aktuell fehlen Brilon 8,5 Stellen. Die Stadt Brilon wurde deswegen von der KVWL auch in das Förderverzeichnis aufgenommen, wodurch sich weitergehende Möglichkeiten zur Förderung der Arztansiedlung ergeben.

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45 Prozent der Ärzte sind über 60

Hinzu kommt ein weiteres Problem: 45 Prozent der Ärzte in Brilon sind über 60 Jahre alt. Brilon liegt damit deutlich über dem Durchschnitt vergleichbarer Orte im Versorgungsgebiet der KVWL, der bei 40 Prozent liegt. Bis zum Jahr 2030 wird die Versorgungsquote nach Prognosen der KVWL weiter sinken: Den zu erwartenden Abgängen in Höhe von 9,5 Stellen stehen nur 5,11 Stellenäquivalente gegenüber: Eine Versorgungsquote von 59,3 droht. Brilon steht damit, auch im Vergleich zu anderen Städten in NRW, schlecht dar.

Das Thema treibt auch die Stadtbevölkerung um. Auf Facebook häufen sich die Anfragen nach Hausärzten, die noch Patienten aufnehmen. Eine Nutzerin meint „es sieht schwarz aus in Brilon“. Sie hätte alle Hausärzte in Brilon abtelefoniert und keinen Termin bekommen. Andere berichten, dass sie zwar bei mehreren Ärzten auf der Warteliste ständen, bisher aber nicht aufgenommen worden wären. Viele Facebook-Nutzer raten dazu, sich bei der Suche nicht auf Brilon zu beschränken. In Olsberg, Meschede, Willingen oder Marsberg sollte man es versuchen. Nicht für alle ist das eine gangbare Lösung: „Bekomme eine kleine Rente, kann mir keine großen Wege leisten“, so der Kommentar einer Nutzerin.

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Thema der Stadt

Das Thema der Mangelversorgung mit Hausärzten habe die Stadt jedoch schon seit mehreren Jahren auf der Tagesordnung, erklärt Bürgermeister Bartsch: Seit acht Jahren sind wir aktiv, um Ärzte für den ländlichen Raum zu gewinnen: „Wir haben zum Beispiel die Kampagne ‚Komm aufs Land. Arzt.‘ entwickelt und konnten damit schon zwei Ärzte für Brilon gewinnen“, so Bartsch über die Versuche, neuen Mediziner das Land schmackhaft zu machen. Das „KommaufsLand.Arzt“-Projekt ist ein Kooperationsprojekt mit den Städten Olsberg, Medebach und Winterberg. Es wirbt um Mediziner und macht deutlich, dass das Sauerland „ein idealer Ort ist, um Leben, Freizeit und Arbeit zu verbinden“, so Dr. Bartsch. „Work-Life-Balance“ sei diesbezüglich ein wichtiges Stichwort. In Gesprächen mit potenziellen Interessenten sei deutlich geworden, dass solche weichen Faktoren bei der Ärztegewinnung sehr hilfreich seien, aber auch als Standardleistung erwartet würden. Auch der Rat der Stadt Brilon hatte sich 2022 mit diesem drängenden Problem beschäftigt und eine „Richtlinie zur Ansiedlung von Ärztinnen und Ärzten in der Stadt Brilon“ beschlossen, die voraussichtlich bis Ende 2027 laufen soll. Möglich ist die Förderung mit einem Betrag von 25.000 Euro als Unterstützung zur Neuansiedlung, Übernahme einer Arztpraxis oder Einrichtung einer Zweigpraxis auf dem Gebiet der Stadt Brilon. Geknüpft ist die Förderung an eine Bindung an den Standort in Brilon von fünf Jahren. Im Haushalt für 2023 ist diese Summe bereits berücksichtigt. Die Stadt Brilon orientiert sich dabei am Beispiel des Kreises Herford, die eine solche Förderrichtlinie schon länger hat. Dort seien in dreieinhalb Jahren insgesamt 14 Hausärzte gewonnen worden, so die Stadtverwaltung.

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Fördermöglichkeiten der KVWL

Auch die KVWL bietet Fördermöglichkeiten an. Ärzte, die sich in den auf dem Förderverzeichnis geführten Städten und Gemeinden niederlassen möchten, können beim Vorstand der KVWL einen Antrag auf besondere Unterstützungsmaßnahmen stellen. Hierzu zählt beispielsweise die Gewährung von Darlehen zum Praxisaufbau oder zur Praxisübernahme. Diese müssen nur zu einem geringen Teil zurückgezahlt werden, wenn die Förderempfänger mindestens drei Jahre in der ärztlichen Versorgung tätig sind. Die Übernahme von Kosten (Einrichtungskosten) und die Gewährung von Umsatzgarantien sind weitere Beispiele der Förderung. Mit dieser Maßnahme soll eine mögliche Unterversorgung frühzeitig vermieden, die Altersstruktur verbessert und der Versorgungsgrad in den betroffenen Gebieten erhöht werden.