Brilon. Nicht die Mehrwertsteuererhöhung ist das Problem: Für Bäcker Jörg Liese sorgt die Energiekrise für Existenz-Ängste. Seine düstere Prognose.

Es ist ein heiß diskutiertes Thema: Die Mehrwertsteuer, die in der Gastronomie wieder von 7 auf 19 Prozent angehoben wurde. Seit 1. Januar diesen Jahres gilt in der Gastronomie die alte Mehrwertsteuer von 19 Prozent, sofern man die Speisen vor Ort zu sich nimmt. Außer Haus fallen weiterhin 7 Prozent an. Heruntergesetzt worden war die Mehrwertsteuer aufgrund der Corona-Pandemie. Viele Betreiber hatten nun zuvor angekündigt, den Aufschlag an ihre Gäste weiterzugeben. Ein Briloner Bäcker und ein Briloner Gastronom ziehen nun in der WP Bilanz und schildern, wie die Änderung bei den Gästen ankommt. Die beiden sind sich unabhängig voneinander einig: Die Mehrwertsteuer ist nicht das größte Problem in der Gastronomie.

Der Gastronom

Thomas „Tommy“ Hillebrand betreibt sein Restaurant beim Kolpinghaus Brilon. Er redet offen über die Preissteigerungen.
Thomas „Tommy“ Hillebrand betreibt sein Restaurant beim Kolpinghaus Brilon. Er redet offen über die Preissteigerungen. © WP | Jana Naima Schopper

Thomas „Tommy“ Hillebrand, Betreiber des gleichnamigen Restaurants in Brilon, hat sich vor der neuen Regelung, die Anfang des Jahres in Kraft getreten ist, mit seinem Steuerberater zusammengesetzt. „Mir wurde geraten, 20 Prozent auf das Essen draufzuschlagen, damit ich den Umsatz im gleichen Schnitt halten kann“, sagt er. Diese Preiserhöhung sei für ihn aber nicht praktikabel. „Dann würde eine Rindfleischsuppe statt 6 Euro plötzlich 7,20 Euro kosten.“ Thomas Hillebrand hat sich im Vorfeld viele Gedanken gemacht. Viele Lieferanten haben ihre Preise ebenfalls erhöht, dauerhaft. Er entscheidet sich, seine Karte komplett neu zu kalkulieren. Manche Preise bleiben dabei gleich, andere werden angehoben. „Wir starten ohnehin jedes Jahr mit einer neuen Karte, da konnte ich die Gerichte auch anpassen“, sagt er. Dass eine Erhöhung gemacht werden muss, das sei von Anfang an klar gewesen. „Wir müssen auch weiterleben. Wenn das Holz teurer wird, dann wird der Küchenschrank ebenfalls teurer. So handhaben wir das nun auch.“ Er findet, dass er eine gute Lösung gefunden hat. „Ich habe vorab mit vielen Kollegen hier aus Brilon gesprochen, wir haben uns viel ausgetauscht.“

Die Getränke liefen ohnehin stets auf 19 Prozent weiter und wer am Abend kommt und ein paar Bier zischt, der bezahlt nicht wesentlich mehr. Da fällt die Steigerung nicht ins Gewicht.
Thomas „Tommy“ Hillebrand - Gastronom

Zurückhaltung bei den Gästen spürt er wegen des Themas nicht. „Die Getränke liefen ohnehin stets auf 19 Prozent weiter und wer am Abend kommt und ein paar Bier zischt, der bezahlt nicht wesentlich mehr. Da fällt die Steigerung nicht ins Gewicht.“

Der Bäcker

Jörg Liese, der unter anderem eine Bäckerei mit Café in Brilon betreibt, sieht nicht in der gestiegenen Mehrwertsteuer die Probleme. „Die Verunsicherung durch die Regierung ist das eigentliche Problem.“ Und dann holt er aus, denn nicht die Mehrwertsteuer scheint ihn zu beschäftigen. „Die Gaspreise sind explodiert, 6300 Euro musste ich nun nachzahlen, dabei habe ich 19 Prozent weniger verbraucht und die Gaspreisbremse hat bei mir keinerlei Einsparungen bewirkt.“ Energie sei das Problem in der Gastronomie, denn gerade in einer Bäckerei werde viel gekühlt und erhitzt. „Teig und Torten werden gekühlt, dann wird der Teig gebacken. Wir haben nicht überall die Möglichkeit, Energie einzusparen. Wir haben angefangen, den Ofen früher auszustellen, aber dann haben wir um 15 Uhr keine warmen Brötchen mehr und verkaufen vielleicht auch weniger.“ Ein Teufelskreis. Zwar hat Jörg Liese massiv in nachhaltige Energien investiert und fünf Photovoltaik-Anlagen auf seinen Betrieben installiert, dies sei aber nicht überall möglich. In Bestwig stehen Bäume im Weg, in Brilon ist es ebenfalls nicht möglich. „Das deckt auch nur ein Viertel meines Bedarfs.“

Er steht selbst am Ofen und knetet den Teig der Brötchen durch.
Er steht selbst am Ofen und knetet den Teig der Brötchen durch. © Luisa Nieder | Luisa Nieder
Doch die Energiepreise machen ihm zu schaffen.
Doch die Energiepreise machen ihm zu schaffen. © Luisa Nieder | Luisa Nieder

Gleichzeitig steigen die Löhne der Angestellten durch die Inflation. „Das ist wichtig und richtig, denn auch meine Angestellten sollen mit den steigenden Preisen zurechtkommen.“ Bei der derzeitigen Kostensituation könne man die Menschen aber kaum noch zufriedenstellen, in vielen Bäckereien werde kaum mehr ausgebildet und viele in der Branche würden nun händeringend Personal suchen. Gleichzeitig zahlt Liese nicht nur mehr Lohnkosten, sondern auch mehr für Rohstoffe wie Zucker oder Weizen, teils haben sich die Preise für Zucker verdreifacht. „Das Bäckerhandwerk ist seit Jahren auf Kante genäht. Vor 23 Jahren hatten wir im Hochsauerland 120 Betriebe, jetzt sind es 70 Prozent weniger. Da steckt ein unheimlicher Druck dahinter. In Frankreich werden die Energiepreise für Bäckereien gedeckelt, wir in Deutschland müssen sehr viel mehr bezahlen und das lohnt sich fast nur noch für Bäckereien mit größeren Einheiten. Die deutsche Politik hat kein Herz mehr für Kleinunternehmen“, sagt Liese. Die Stimmung in der Branche sei dementsprechend schlecht. Hinzu komme die Konkurrenz aus den Backstationen der Supermärkte, die oft kostengünstiger arbeiten und verkaufen können. „Das ist ein Sündenfall des deutschen Systems, dass diese Brötchen als frisch gebacken verkauft werden können, dabei sind sie halb gebacken und am nächsten Tag halb aufgebacken.“

Das Bäckerhandwerk ist seit Jahren auf Kante genäht. Vor 23 Jahren hatten wir im Hochsauerland 120 Betriebe, jetzt sind es 70 Prozent weniger. Da steckt ein unheimlicher Druck dahinter.

Jeder, der mit viel Energie arbeiten muss, habe aktuell zu kämpfen. „Das muss in das Bewusstsein der Menschen. Ich denke, in 15 Jahren wird es im Sauerland noch acht Bäckereien geben, die kleinen haben keine Chance. Und wenn der Vater schon rechnen muss, dann überlegt der Sohn sich genau, ob er die Bäckerei übernehmen möchte.“ Die Politik sei zu wankelhaft, um an der Situation etwas zu ändern, findet Liese. Man könne sich kaum auf neue Entscheidungen einstellen. „Dabei können wir nur funktionieren, wenn dauerhaft die Energiepreise niedriger gehalten werden.“

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Jörg Liese bemerkt bei seinen Kunden dementsprechend ein Preisbewusstsein. „Meinen Whisky verkaufe ich mittlerweile in 0,2 Liter Flaschen, zwei Jahre zuvor waren es 0,5 Liter Flaschen. Die Menschen achten auf den Preis.“ Den Kopf will er dennoch nicht in den Sand stecken. „Es nützt doch nichts, in Depression zu verfallen.“