Hochsauerlandkreis. Die USA-Wahlen werden entscheidend sein für den Westen, so Militärexperte Patrick Sensburg. Er sagt, worauf sich Deutschland einstellen muss.

Gefühlt wird immer weniger über den Krieg in der Ukraine gesprochen, dabei mahnt der Sauerländer Militärexperte dringlich davor, die Ukraine nicht zu vergessen oder Putin zu unterschätzen. Im Interview spricht Patrick Sensburg nun über die aktuelle Lage im Krieg, Putins Pläne und die Wahlen in Amerika.

Wie würden Sie die aktuelle Lage im Ukraine-Krieg beschreiben?

Die militärische Lage lässt sich als Pattsituation beschreiben. Aufgrund der Bedeutung von Drohnen in diesem Krieg, ist ein Überraschungsangriff von einer der beiden Seiten sehr schwierig. Aktuell setzt Russland wieder auf die volle Wucht von Luftschlägen auf zivile und militärische Ziele. Die Zivilbevölkerung soll zermürbt werden. Der Ukraine fehlen aktuell vor allem Kräfte in der Luft und ausreichend Munition, um die russischen Stellungen wirksam zu bekämpfen. Dies wird sich vermutlich erst mit dem Eintreffen der zugesagten F-16 und dem Ringtausch der Taurus Marschflugkörper ändern. Die Lage bleibt dynamisch.

Sollten die USA durch einen neuen Präsidenten oder eine neue Präsidentin ihre Unterstützung der Ukraine einstellen, brechen wirklich harte Zeiten an.
Patrick Sensburg

Derzeit hört man weniger von der Lage in der Ukraine als noch vor dem Angriff der Hamas auf Israel, das Thema wurde in der Wahrnehmung teils verdrängt. Wie gefährlich ist es, überspitzt ausgedrückt, die Ukraine zu vergessen?

Die Ukraine gerät nicht in Vergessenheit, es sind nur weitere Krisenherde dazugekommen. Das ist ja nicht nur der brutale Angriff der Hamas und die israelische Reaktion darauf, da sind auch noch die Attacken der Huthi auf Handelsschiffe im Roten Meer; der Iran, der mit dem Beschuss von Zielen im Irak versucht, die Amerikaner immer tiefer in den Konflikt hineinzuziehen, die Spannungen im ostasiatischen Raum und viele Konflikte mehr, bis in die instabile Situation im Kosovo. Die Welt ist unsicherer geworden. Das heißt für uns aber auch im Umkehrschluss, dass wir eine starke Bundeswehr und starke Bündnispartner brauchen. Sollten wir heute den russischen Angriff auf die Ukraine vergessen oder verdrängen, ist zu befürchten, dass wir uns in ein paar Jahren selbst vor der Aufgabe sehen, das NATO-Gebiet zu verteidigen. Wir wissen nicht genau, was Putin noch vorhat oder plant, weshalb wir ihn in der Ukraine unbedingt aufhalten müssen, indem wir die Ukraine unterstützen. Wir wissen auch nicht, wer und was nach Putin kommt. Eines der außenpolitischen Ziele Russlands ist es, den Westen, insbesondere die EU und Deutschland ideologisch zu spalten, um den demokratischen Westen sozusagen durch Mittel der hybriden und psychologischen Kriegsführung von innen zu schwächen. Sollte aus dem Ukraine-Krieg das Signal ausgehen, dass das „Recht des Stärkeren“ sich in unserer multipolaren demokratischen Welt durchsetzt, wird Russland weitermachen, Staaten wie Georgien und Moldawien sind jetzt schon gefährdet. Eine ukrainische Niederlage könnte zur größten geopolitischen Katastrophe für Europa seit Ende des Zweiten Weltkrieges führen.

Spekuliert Putin aktuell damit, dass der Westen das Interesse an dem Krieg in der Ukraine verliert?

Auch wenn hierzulande andere Nachrichten das tägliche Kriegsgeschehen überlagern, verfolgen die Bundeswehr und ihre Bündnispartner ganz genau, wie sich der Krieg entwickelt. An Putins Stelle würde ich nicht auf ein nachlassendes Interesse spekulieren. Putin hat sich zu Beginn schon einmal verschätzt, weil er nicht mit einer solchen geschlossenen Reaktion des Westens gerechnet hat. Vielmehr haben sich Schweden und Finnland der NATO angeschlossen. Die Ukraine verteidigt auch europäische Sicherheitsinteressen. Deshalb dürfen wir nicht nachlassen.

Glauben Sie, dass die Unterstützung der Ukraine nachlassen wird?

Sollten die USA durch einen neuen Präsidenten oder eine neue Präsidentin ihre Unterstützung der Ukraine einstellen, brechen wirklich harte Zeiten an. Wir als Europäische Union müssen daher endlich selbst ein strategisches Ziel entwickeln, mit dessen Hintergrund wir die Ukraine auch im Falle einer Nichtunterstützung durch die USA, beistehen. Aber in erster Linie müssen wir daran arbeiten, dass wir bestehende bürokratische Hürden abbauen, Rüstungskapazitäten aufbauen und so die Ukrainer schneller mit Munition und Waffen unterstützen können.

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Was benötigt die Ukraine derzeit, um weiterzukommen?

Die Ukraine benötigt für den Schutz von Zivilistinnen und Zivilisten, kritischer Infrastruktur und militärischen Verbänden vor allem eine wirksame Flugabwehr und die dafür benötigte Munition. Generell ist Munition ein Thema, wie beispielsweise Munition für die Artillerie, da Russland in diesem Bereich aus den vollen schöpfen kann und wir als Unterstützer der Ukraine unsere Produktion nicht entsprechend ausgebaut haben.

Wie werden sich die Wahlen in Russland auf den Krieg auswirken?

Wenn man den Prozess überhaupt als Wahlen bezeichnen kann, wird Putin seine aggressive Rhetorik gegen die Ukraine und gegen den Westen nicht ändern, weil die Projektion des „Kampfes gegen den dekadenten Westen“ schon immer ein probates Propagandamittel war, um in Russland „die Reihen zu schließen“ und die Bevölkerung zu mobilisieren. Die Probleme werden nicht weniger, sondern mehr.