Hochsauerlandkreis/Arnsberg. Zwei Töchter samt Partnern sollen versucht haben, ein Haus anzuzünden, in dem ihre Mutter schläft. Es geht um den Vorwurf des versuchten Mordes.

Der vermeintliche Goldzahn in der Frikadelle eines Möbelhaus-Restaurants am Rande des Ruhrgebietes dürfte wohl unter die Rubrik „Kurioses“ fallen. Ein Mann verlangt Schmerzensgeld, weil er sich angeblich beim Verzehr des Fleischbällchens einen Backenzahn abgebrochen hat. In erster Instanz ist er mit seiner Forderung gescheitert und geht nun in die Berufung. Aber das Landgericht in Arnsberg muss sich leider auch mit vielen anderen, tragischen und traurigen Fällen beschäftigen. Das wurde bei der Rückschau auf 2023 und beim Ausblick auf 2024 deutlich. Ein solcher Fall soll sich Ende Januar 2022 im Altkreis Brilon zugetragen haben. Es geht um den Vorwurf des versuchten Mordes.

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Prozess soll im Frühjahr starten

Vier Personen sind angeklagt. Sie sollen versucht haben, das Wohnhaus einer Frau anzuzünden – wohl wissend, dass diese zum Tatzeitpunkt in dem Gebäude schlief. Angeklagt sind laut Landgericht die beiden Töchter der Frau sowie ein Ehemann bzw. ein Lebensgefährte der Töchter. Die Anklage spricht davon, dass der Schlaf der Frau heimtückisch für die Tat ausgenutzt worden sei. Nachts um 3 Uhr soll versucht worden sein, das Feuer zu legen. Das Verfahren findet gar nicht erst an einem Schöffengericht statt. Denn sollte sich der Tatvorwurf erhärten, wäre mit einer Freiheitsstrafe zu rechnen, die über vier Jahre hinaus geht. Und die kann ein Schöffengericht zuständigkeitshalber nicht verhängen. Das Verfahren wurde im September 2023 auf Antrag der Staatsanwaltschaft vom AG Brilon ans Schwurgericht nach Arnsberg verwiesen.

Kurios: Die zuständige Feuerwehr hat zum vermeintlichen Tatzeitpunkt keinen Einsatz vermerkt. Der zuständige Feuerwehrsprecher hat in den Einsatzberichten recherchiert: Fehlanzeige. Offenbar soll es der Frau gelungen sein, das Feuer noch rechtzeitig zu löschen. Auch das Gericht in Brilon soll ursprünglich nicht von einem versuchten Tötungsdelikt ausgegangen sein. Wie sich die Tatvorwürfe verdichtet haben, wird wohl erst in der Verhandlung vor dem Schwurgericht deutlich werden, die im späten Frühjahr dieses Jahres stattfinden soll.

Wieder Studierende am Landgericht

Das Jahr 2023 war für das Landgericht Arnsberg bei aller Arbeitsbelastung aber auch von Entspannung nach der Corona-Pandemie geprägt. Nach mehrjähriger Pause konnte wieder die „Praktische Studienzeit“ stattfinden. Knapp 60 Studierende der Universitäten Bochum und Münster erhielten im Herbst einen umfassenden Einblick in die Justiz. Neben Vorträgen und dem Besuch von Verhandlungen stellten Staatsanwaltschaft, Ambulanter Sozialer Dienst, Bezirksregierung und Vertreter der Anwaltschaft ihre Tätigkeiten vor. Ihre neu erworbenen Kenntnisse durften die Studierenden im Rahmen eines zivilrechtlichen Moot Courts (ein simuliertes Gerichts- bzw. Schiedsverfahren) unter Beweis stellen. Das Feedback der Studierenden war ausgesprochen positiv. Aus Sicht des Landgerichts war das Praktikum ein wichtiger Beitrag, um langfristig qualifizierter Kräfte für den Bezirk Arnsberg uu gewinnen.

Zu Beginn dieses Jahres wird am Landgericht Arnsberg die Ausstellung „Grundrechte – mehr als nur Worte“ zu sehen sein. Gezeigt werden großformatige Fotografien mit begleitenden Texten des Direktors des Arbeitsgerichts Köln und Mitglieds des Verfassungsgerichtshofs Dr. Dirk Gilberg, mit denen an den „Wert einer freiheitlichen Verfassung in seiner persönlichen alltäglichen Realität“ erinnert werden soll.

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Legendäres Mitternachtsurteil

Gleich sechs Verhandlungstage sind für einen Prozess vor der 4. Großen Strafkammer im Januar anberaumt. In Brilon endete das Verfahren 2021 mit dem legendären „Mitternachts-Urteil“, das nach einem langen Verhandlungstag noch spät in der Nacht gefällt wurde. In dem juristisch ausgesprochen komplexen Verfahren muss sich ein Ex-Betreuer wegen des Vorwurfs der Untreue verantworten. Es geht um die Aufkündigung einer Lebensversicherung und um 180.000 Euro, die angeblich auf dessen Konto abgezweigt worden sein sollen. Das Verfahren wurde im Oktober 2018 vor dem Schöffengericht Brilon eröffnet, ans Landgericht verweisen, von dort zurück nach Brilon beordert, es gab eine Revision, das Urteil wurde aufgehoben und kommt nun erneut aufs Tapet. Zwischenzeitlich ging es darum, dass der Angeklagte streng genommen für etwas verurteilt worden sei, für das er gar nicht angeklagt war.

Insgesamt ist die Zahl der erstinstanzlichen Strafverfahren am Landgericht im Vergleich zum Vorjahr gleichgeblieben. Die dafür zuständigen, drei Großen Strafkammern befassten sich mit 67 Verfahren (2022 waren es 70 und 2021 exakt 69). 21 davon standen in Zusammenhang mit einem Verstoß gegen das Betäubungsmittelgesetz, bei 16 Verfahren ging es um Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung, 16 Mal ging es um Raub bzw. räuberische Erpressung, sechs Prozesse hatten (versuchten) Mord und Totschlag zum Gegenstand. U.a. wurde das Verfahren wegen versuchten Mordes auf der Landstraße zwischen Brilon-Wald und Willingen noch einmal verhandelt. Fünfmal ging es um Wirtschaftsstrafsachen.

Erneut gestiegen ist die Zahl der Berufungsverfahren. Mit 247 Fällen in 2023 waren es 30 mehr als im Vorjahr. 2021 waren es nur 161 und 2020 lediglich 159. Zum Jahresende waren für 2024 schon 263 Verfahren gemeldet. Im Zivilbereich stagnieren die Eingangszahlen der erstinstanzlichen Verfahren. Bis zum Jahresende waren 1386 neue erstinstanzliche Zivilverfahren (2022: 1391 Verfahren, 2021 waren es 1974 Verfahren) eingegangen.

Vervierfachung bei Zahl der Strafvollzugssachen

Insgesamt hat das Landgericht Arnsberg, das auch für den Altkreis Brilon zuständig ist, im vergangenen Jahr so viel Mehrarbeit auf den Tisch bekommen, dass die Zahl der Richter aufgestockt werden musste und vorübergehend ein Richter von Bielefeld nach Arnsberg geschickt wurde. Ein markanter Grund: Eine Vervierfachung bei der Zahl der sogenannten Strafvollzugssachen. Bislang wurden pro Jahr rund 400 Anträge gestellt, im vergangenen Jahr war es 1786 Verfahren. Zu den Strafvollzugssachen gehören Anträge auf Lockerungen, Ausgangsregelungen oder Einwände gegen Maßnahmen im Strafvollzug. Eine Erklärung für den rasanten Anstieg hat Landgerichtssprecher Dr. Alexander Brüggemeier nicht. Das Landgericht Arnsberg ist auch für die Beurteilung der sogenannten Sicherungsverwahrung zuständig. Die Fortdauer der Sicherungsverwahrung wird regelmäßig überprüft. Im vergangenen Jahr waren allein das 103 Anträge. Sie wurden zwischenzeitlich von der 1. Strafvollstreckungskammer zurückgewiesen und liegen nunmehr nach sofortiger Beschwerde beim Oberlandesgericht Hamm.

Im Krisenfall findet Justiz bei der Polizei Unterschlupf

Seit dem Beginn des russischen Angriffskrieges auf die Ukraine müssen sich Staat und Gesellschaft erneut und verstärkt mit Maßnahmen der Notfall- und Krisenvorbereitung befassen. Dazu gehört auch die Vorbereitung auf eine Gas- und bzw. oder Strommangellage, die den Geschäftsablauf der Justiz erheblich beeinträchtigen würde. Um der verfassungsrechtlichen Bedeutung der Justiz nachzukommen, wurde daher schon im vergangenen Jahr ein dezentraler Bereitschaftsdienst eingerichtet. Da die Justizeinrichtungen des Bezirks nicht über eigene Notstromversorgungen verfügen, würden dafür im Fall der Fälle drei Polizeidienststellen genutzt. Der Bereitschaftsdienst würde – wie bereits im vergangenen Jahr – für den Bezirk „HSK/Ost“ der Amtsgerichte Brilon, Marsberg und Medebach in der Polizeiwache Brilon eingerichtet.