Hochsauerland. Der Januar ist für Familien ohnehin ein teurer Monat. Doch 2024 könnte es eine böse Überraschung am Konto gegen. Grund: der Hackerangriff.

Weihnachten ist das Fest der Liebe. Und schließlich wünscht man sich ja auch ein „gnadenreiches Fest“. Selbst die Behörden zeigen seit Jahren an Weihnachten ein weiches Herz und lassen schon mal vorübergehend „Fünfe gerade sein“ und Gnade vor Recht ergehen. Unter dem nahezu himmlischen Begriff „Weihnachtsfrieden“ verkneifen es sich zum Beispiel die Finanzämter in NRW, noch etwa eine Woche vor dem Fest Mahnungen oder andere Zahlungsaufforderungen zu verschicken.

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„Der Minister der Finanzen, Dr. Marcus Optendrenk, hat auch in diesem Jahr einen Weihnachtsfrieden für die gesamte Finanzverwaltung von Nordrhein-Westfalen zwischen dem 17. und 31. Dezember ausgerufen. In dieser Zeit wird auf Vollstreckungsmaßnahmen und die Einleitung von Betriebsprüfungen verzichtet“, erklärt Gianluca Fischer vom Referat für Kommunikation und Strategie bei der Oberfinanzdirektion in Düsseldorf. Wie viele Mahnbescheide sonst so im Jahresverlauf das Briloner Finanzamt verlassen, vermag er nicht zu beziffern.

Weihnachtsfrieden: Zwischen dem 17. und dem 31. Dezember verschicken die Finanzämter keine Mahnbescheide.
Weihnachtsfrieden: Zwischen dem 17. und dem 31. Dezember verschicken die Finanzämter keine Mahnbescheide. © dpa | Oliver Berg

Der Hochsauerlandkreis wäre froh, wenn er nach dem Cyberangriff auf die Südwestfalen IT überhaupt wieder Bescheide versenden könnte. Beim Verkehrsdienst zum Beispiel stapeln sich die Fälle. „Natürlich werden Tempo-Sünder auf den Straßen weiterhin geblitzt. Aber von dem Foto ist momentan kein Kennzeichenabgleich über das Kraftfahrtbundesamt möglich“, sagt Kreissprecher Martin Reuther. Daher können momentan gar keine Knöllchen verschickt werden. Das sollte aber nicht als Ermunterung zum Rasen verstanden werden. Für die Kasse des Hochsauerlandkreises steht zu hoffen, dass das Problem bald gelöst wird. Denn drei Monate nach der „Blitzaufnahme“ muss der Autofahrer/die Autofahrerin einen Bescheid über das Vergehen bekommen. Sonst verfällt die Angelegenheit. Ähnlich sieht die Situation bei Falschparkern aus. In Winterberg zum Beispiel wurden eigens Zettel gedruckt, die auf das Vergehen hinweisen und eine postalische Zahlungsaufforderung in Aussicht stellen. In Sachen „Weihnachtsfrieden“ lautet beim Kreis seit Jahren die Marschroute: Ab 15. Dezember werden keine Zahlungserinnerungen oder Mahnungen mehr verschickt.

Zwangsweise Weihnachtsfrieden

„Bei uns herrscht seit Wochen Weihnachtsfrieden“, muss Rabea Kappen lauthals lachen. Wie alle anderen Kommunen kann auch Winterberg aufgrund der Cyberattacke in Hemer bzw. Siegen seit sechs Wochen keine Bescheide oder Mahnungen verschicken. Wie in den anderen betroffenen Städten konnten auch die vierteljährlichen Steuerabschläge der Bürger im November nicht eingezogen werden. Ob das im Dezember klappt, ist fraglich. „Bei den Steuerabschlägen ist die Summe in der Regel noch halbwegs überschaubar. Aber wenn monatelang kein Kindergartenbeitrag abgebucht wurde, kann das bedeuten, dass sich mancher in falscher Sicherheit wiegt. Denn irgendwann werden auch die rückständigen Beiträge fällig und dann sind es auf einen Schlag gleich ganz andere Summen.“ Eine Stadt wie Winterberg verschickt übrigens pro Jahr um die 3500 Mahnbescheide – das reicht vom Parkknöllchen bis zur Säumnis bei der Steuer. Aber selbst wenn die Stadt technisch in der Lage wäre, Mahnungen zu verschicken, orientiert sie sich zeitlich am „Weihnachtsfrieden“ des Finanzamtes. Da kommt also nach dem 17.12 erstmal nix.

Vor Gericht sieht es da ganz anders aus. Noch am 22. Dezember, dem Freitag vor Weihnachten, finden am Landgericht diverse Hauptverhandlungen statt. „Wir sind froh, dass wir weitere Verfahren vom Tisch bekommen“, sagt die stellv. Sprecherin, Richterin Leonie Maaß. Man müsse das Ganze auch mal von einer anderen Seite betrachten. „Für viele Menschen schwebt so eine Verhandlung wie ein Damoklesschwert über ihnen. Ich denke, dass einige froh sind, wenn so ein Verfahren dann noch vor Weihnachten abgeschlossen werden kann. Das kann ja auch etwas Befreiendes haben.“

Weihnachtsamnestie

Im Strafvollzug gibt es die sogenannte Weihnachtsamnestie oder Weihnachtsgnade. Bei Ersatzfreiheitsstrafen – also wenn jemand zum Beispiel die 30 Tagessätze zu je 40 Euro nicht zahlt und stattdessen 30 Tage in Haft geht – sei es möglich, bis kurz vor Weihnachten entlassen zu werden – auch wenn die Haft regulär noch länger andauern würde. Der Häftling muss sich allerdings gut geführt haben, erklärt Oberstaatsanwalt Thomas Poggel in Arnsberg. Juristisch ausgedrückt heißt das: „Die Vollstreckungsbehörden werden ermächtigt, aus Anlass des Weihnachtsfestes aufgrund einer Prüfung der Umstände des Einzelfalles im Gnadenwege die vorzeitige Entlassung von Strafgefangenen (…), nach folgenden Grundsätzen zu veranlassen: Gefangene, deren Entlassung in der Zeit vom 16. November 2023 bis zum 5. Januar 2024 ansteht, weil z.B. das endgültige Strafende in diese Zeit fällt.“ Mörder, Sexualstraftäter und Kapitalverbrecher haben keine Chance auf vorzeitige Freilassung. Bei ihnen gibt es auch kein Pardon, was den Haftantritt vor Weihnachten anbelangt. 2022 hat NRW 291 Häftlinge vorzeitig frei gelassen.