Hochsauerlandkreis/Brilon. Jugendämtern haftet oft ein Stigma an. Die Brilonerin Mirjam Schlüter (43) ist neue HSK-Jugendamtsleiterin und will das endlich ändern.
Mirjam Schlüter ist die neue Leiterin des Jugendamtes im Hochsauerlandkreis. Eine verantwortungsvolle, aber auch schwere Aufgabe. Sie spricht mit der Westfalenpost über
Frau Schlüter, Sie sind die neue Jugendamtsleiterin beim Hochsauerlandkreis. Warum haben Sie sich dazu entschieden, diese Stelle anzutreten?
Als die Stelle der Jugendamtsleitung ausgeschrieben war, habe ich meinen „Hut in den Ring“ geworfen. Mich hat einerseits das Interesse gereizt, diese verantwortungsvolle Aufgabe zu übernehmen. Natürlich war das andererseits auch ein Abwägungsprozess. Das Interesse, eine solche Herausforderung auch aufgrund meiner langjährigen beruflichen Tätigkeit anzunehmen, hat überwogen und schließlich den Ausschlag gegeben.
Was macht diese Position so verantwortungsvoll?
Das Jugendamt ist ein Amt mit vielen verschiedenen Aufgabenbereichen und rechtlichen Pflichtaufgaben. Dies erfordert einerseits fundierte Fachkenntnisse und eine stetige Weiterentwicklung und Ausgestaltung der Jugendhilfe. Dieser Aufgabe begegne ich mit einer gehörigen Portion Respekt, denn gerade in der Jugendhilfe und insgesamt in der Arbeit mit Menschen lassen sich bestimmte Ereignisse nicht vorhersehen und trotz aller Standards nicht verhindern. Daher sind ein gutes Team und fachliche Standards sehr wichtig - ein Team, das seine Fachexpertise einbringt im Einklang mit einem gemeinsamen und kollektiven Miteinander. Unsere Aufgabe ist es, das Wohl von Kindern und Jugendlichen sicherzustellen und deren Zukunft unter veränderten gesellschaftlichen und individuellen Bedingungen zu gestalten.
Wie sieht Ihr Arbeitsalltag im Jugendamt aus?
Wir stehen im gemeinsamen Dialog mit Jugendhilfeträgern und Kooperationspartnern, unter anderem Kitas, Schulen, freie Träger der Jugendhilfe, Polizei oder dem Gesundheitsamt. Zu der Position gehört die hausinterne Koordination und Sicherstellung des Dienstbetriebs, die Haushaltsverantwortung und die Arbeit mit unseren Kooperationspartnern. Einen allgemeinen Arbeitsalltag kann ich nicht schildern. Im Jugendamt ist kein Tag gleich. Als Jugendamtsleiterin habe ich viele Bereiche im Blick und alle wichtigen Entscheidungen gehen über meinen Schreibtisch. Im Jugendamt muss man flexibel sein, sich immer auf neue Sachverhalte einstellen. Jeder Fall ist individuell zu betrachten. Auch Unterstützungs- und Hilfeleistungen sind am Bedarf der jungen Menschen und deren Familien zu gestalten.
Diese besonderen Fälle, die Arbeit mit Familien, ist sehr emotional. Wie kann man abends noch abschalten?
Unser Auftrag ist klar, das Kindeswohl steht an erster Stelle. Wir müssen gleichzeitig aber auch den rechtlichen Rahmen sowie die Verwaltung im Blick haben. Diese Fälle bewegen mich natürlich, aber es ist erforderlich, dem mit der notwendigen und professionellen Distanz und entsprechender Resilienz zu begegnen. Dazu braucht es einen Ausgleich für das eigene emotionale Gleichgewicht. Dabei hilft mir schon manchmal die Autofahrt nach Hause, um die Arbeit im Büro zu lassen.
Dem Jugendamt haftet in der öffentlichen Wahrnehmung oftmals ein negatives Stigma an. Wie wollen Sie dem entgegentreten?
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In der Öffentlichkeit und medial wird das Jugendamt leider oftmals nur auf das Handeln bei d Kindeswohlgefährdung reduziert. Dabei ist das Spektrum der Aufgaben und Hilfe- und Unterstützungsleistungen viel größer. Der Auftrag des Jugendamtes ist es, neben dem staatlichen Wächteramt Familien zu erhalten und zu unterstützen. Dabei gilt es, Vertrauen aufzubauen. Zu schauen, was die Familien benötigen, welche Ressourcen gebraucht werden – die Angebote reichen dann von ganz niederschwelligen und präventiven Hilfen bis hin zu eingreifenden Erziehungshilfen.
In der öffentlichen Wahrnehmung fallen oft ohnehin nur die Fälle mit besonders negativer Strahlkraft auf. Ist es schwer, mit dieser Wahrnehmung umzugehen?
Es gibt durchaus blinde Flecke. Wir versuchen diesen durch fachliche Standards und kollegiale Beratungen entgegen zu wirken, aber uns ist bewusst, dass diese Fälle kommen können. Es handelt sich nach der Beachtung aller rechtlichen Vorgaben auch um subjektive Einschätzungen. Unser Beruf geht mit einem medialen Interesse einher und wir müssen zeigen, was wir leisten. Wir arbeiten mit vielen Kooperationspartnern zusammen, versuchen über Netzwerke, Qualitätsdialoge und gemeinsame Veranstaltungen eine Sensibilität und Kenntnis der wechselseitigen Angebote zu schaffen und Hemmschwellen abzubauen und Zugänge zu erleichtern.
Viele Familien haben trotz Schwierigkeiten tatsächlich Hemmungen, beim Jugendamt und seinen Kooperationspartnern nach Hilfe zu fragen.
Deswegen ist es wichtig, dass Familien flächendeckend Kenntnis über die vielfältige Angebots-Landschaft in der Kinder- und Jugendhilfe erlangen. Als Kreisjugendamt sind wir in allen zuständigen Kommunen vertreten und beraten mit dem Allgemeinen Sozialen Dienst in regelmäßigen Sprechstunden. Wir sind vor Ort, gehen auf die Familien zu, bauen Hemmschwellen ab und verfügen über die Netzwerke zu weiteren Ansprechpartnern. Die Angebote sind vielfältig und setzen früh begleitend und präventiv an. Beispiele sind das „Starke Kinder-Starke Jugend“- Programm, das Angebot von Familienhebammen oder das Modellprojekt BEAGLE – Begleitung von Anfang an – wir wollen Überforderungssituationen in Familien gar nicht erst entstehen lassen. Natürlich gibt es diese negativen Fälle in der medialen Öffentlichkeit. Wir haben aber schon vielen Menschen helfen können.
Was haben Sie sich für ihre Zukunft als Jugendamtsleiterin vorgenommen?
Die Ausgestaltung dieser Position ist eine große Herausforderung. Ich möchte, was mein Vorgänger Bernd Wagner angestoßen hat, zukunftsorientiert weiterentwickeln. Wir wollen Chancengleichheit beim Aufwachsen bieten. Wir wollen präventiv arbeiten, Serviceorientierung und die Digitalisierung in der Jugendhilfe vorantreiben. Wichtig sind mir klare strategische Ziele. Das Jugendamt weiter optimal strategisch auszurichten und mit meinen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern für die Stabilität uns den Ausbau bestehender und neuer Angebote zu sorgen, sind meine Schwerpunkte der kommenden Zeit. Wie mein Vorgänger möchte ich, dass die Kooperationspartner sich kennen und die Wege untereinander kurz sind, damit wir in der Jugendhilfe effizient und konstruktiv gemeinsam arbeiten können. Immer im Blick habe ich dabei das Wohl der uns anvertrauten Kinder und Jugendlichen.
Zur Person:
- Mirjam Schlüter ist 43 Jahre alt und kommt aus dem Raum Brilon.
- Nach dem Studium der Sozialpädagogik absolvierte sie 2003 ihr Anerkennungsjahr beim Jugendamt des Hochsauerlandkreises. In diesem Rahmen durchlief Mirjam Schlüter verschiedene Standorte im Allgemeinen Sozialen Dienst.
- 2004 begann Schlüter ihre Laufbahn im Allgemeinen Sozialen Dienst am Standort Medebach, 2006 wechselte sie nach Marsberg.
- 2009 wechselte sie in den seinerzeitigen Spezialdienst „Kinderschutz“ und baute diesen maßgeblich mit auf.
- 2019 trat sie die Stelle der Qualitätsentwicklung innerhalb des Jugendamtes an. Ein Jahr später wurde Mirjam Schlüter die stellvertretende Sachgebietsleistung der Sozialen Dienste übertragen.
- Seit Sommer dieses Jahres ist sie die Leiterin des Jugendamtes im Hochsauerlandkreis. Es ist zuständig für neun Städte und Gemeinden im Hochsauerlandkreis. Die Städte Arnsberg, Sundern und Schmallenberg haben eigene Jugendämter.