Brilon/Marsberg. In Brilon trainiert er die Volleyballer. In Paderborn ist er Caritas-Chef. Warum Ralf Nolte Berge liebt und was sich in der Pflege ändern wird.
Die Caritas ist geprägt vom Grundgedanken der christlichen Nächstenliebe. Und wenn Kirche als helfende Institution wahrgenommen wird, dann vielfach über Menschen und Einrichtungen der Caritasverbände. Wie groß die Aufgaben der Caritas in Anbetracht immer größer werdender sozialer Herausforderungen wird und welche Aufgabe ihr dabei zukommt, das erklärt Ralf Nolte. Viele kennen ihn noch aus seiner Zeit als Gemeindereferent in Brilon. Inzwischen führt er gemeinsam mit Esther van Bebber als Doppelspitze den Diözesan-Caritasverband in Paderborn an.
Bis Ende 2011 waren Sie Gemeindereferent im Pastoralverbund Brilon. Ihre Aufgaben in den Bereichen „Junge Kirche“ oder „Familienpastoral“ bedeuteten sehr viel Arbeit an der Basis, sehr viel direkten Umgang mit Menschen, mit deren Glauben und deren Zweifel. Jetzt leiten Sie – als Doppelspitze gemeinsam mit Frau Esther van Bebber – einen großen Verband. War das immer Ihr Traum und bleibt bei so viel Verwaltungsarbeit noch Freiraum für das Individuelle? Oder, um ein Bild zu bedienen: Früher haben Sie ein Instrument in einem Orchester gespielt. Jetzt sind Sie Dirigent, kommt man da noch zum Musizieren?
Der Schritt in diese Position war damals bei meinem Weggang aus Brilon noch nicht geplant. Sehr wohl habe ich schon früh leitende Funktionen übernommen und Verantwortung übernommen – auch damals schon in der Gemeindearbeit. Ich bin dann Organisationsberater und -entwickler geworden, war in dem Kontext auch schon im Erzbistum unterwegs und habe Veränderungsprozesse unterstützt und begleitet. Ich habe auch während meiner Zeit als Gemeindereferent in Brilon immer schon diözesane Aufgaben mitgetragen, war beispielsweise Sprecher der Berufsgruppe auf Bistumsebene. Und dann kam dieser Wechsel zum Caritasverband Anfang 2012. Dort war ich zunächst in der Projektleitung tätig, habe damals zwei neue Projekte mit aufgebaut und war dann dort schon leitend tätig in der Zusammenarbeit mit vielen anderen Mitarbeitenden, aber auch mit Führungskräften und Trägern im Bereich der Caritas. Dann kam der große Diözesane Bistumsentwicklungsprozess: Da habe ich die Aufgabe übernommen, das strategische Thema Diakonische Kirche zu verantworten und die Zusammenarbeit von Pastoral und Caritas zu gestalten.
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Und die Arbeit an der Basis?
Natürlich ist das jetzt anders, weil ich mehr auf der Meta-Ebene unterwegs war und bin. Aber ich habe immer mit vielen Menschen zusammengearbeitet – mit Einrichtungsleitungen, mit Trägervertretern, mit Mitarbeitenden. Ich sitze ja nicht am Schreibtisch und plane irgendwelche Dinge, die andere umzusetzen haben. Wir entwickeln Dinge gemeinsam, immer im Dialog unter Beteiligung vieler verschiedener Funktionsträger und Arbeitsfelder. Und genauso erlebe ich das jetzt auch als Diözesan-Caritasdirektor. Klar bin ich an vielen Stellen gefragt, letztendlich die Entscheidung zu treffen, aber ich mache das ja nicht einfach so aus der Lamäng, sondern in Abstimmung mit vielen verschiedenen Personen, die natürlich auch einen unmittelbarer Kontakt darstellen. Wir auf Ortsebene haben zum Beispiel oft mit dem Caritasverband Brilon zu tun.
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Aufgaben und Pflichten
Können Sie einmal skizzieren, was Ihre Aufgaben als Caritasdirektor auf Diözesanebene sind?
Es ist so, dass die Träger vor Ort alle selbständig sind. Wir sind der Dach- oder Spitzenverband dieser ganzen Ortsverbände und regionalen caritativen Träger. Bei uns sind nicht nur die Orts-Caritasverbände Mitglied, sondern es gibt ja auch die Fachverbände wie die Caritas- und Vinzenzkonferenzen oder SKF und SKM im Bereich der Schuldner-, Sucht- oder Schwangerschaftsberatung. Auch die Malteser gehören zur großen Familie der Caritas oder der Kreuzbund. Sie alle sind uns angeschlossen und wir vertreten sie auf Landes- und Bundesebene. Gleichzeitig verstehen wir uns aber auch als Dienstleister für die örtliche Ebene. Wir bieten z.B. Weiterbildungsangebote für Führungskräfte, haben spirituelle Angebote, wir sind beratend unterwegs für die örtlichen Träger, wir steuern über Fördermittel caritative Schwerpunkte und gleichzeitig haben wir den Kontrollauftrag des Erzbischofs, dass sich die Verbände an kirchliche und rechtliche Vorgaben halten.
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Die Herausforderungen für die Caritas werden immer größer. Stichworte: Alternde Gesellschaft, Flüchtlinge, Armut. Auf der anderen Seite distanzieren sich immer mehr Menschen von Kirche. Wie kann man immer mehr Anforderungen bewältigen bei immer mehr Abneigung gegenüber der Institution?
Das ist eine große Herausforderung. Unser Selbstverständnis ist ganz klar, dass wir ein kirchlicher Wohlfahrtsverband und damit ein wichtiger Teil der katholischen Kirche sind. Gleichzeitig sehen wir, dass das Image von Kirche sehr gelitten hat. Die Frage ist, inwieweit grenzen wir uns von manchen Herausforderungen und Themen ab oder wieweit machen wir deutlich, dass wir Teil dieser Kirche sind? Wir als Caritas sind ein Teil von Kirche, der sehr zu ihrer Glaubwürdigkeit beiträgt. Und wenn wir uns selber als Teil von Kirche verstehen, setzen wir im Grunde auch nochmal deutliche Akzente in dieser Gesellschaft für den Zusammenhalt von dieser Gesellschaft. Auch wenn die Kirche häufig kritisch gesehen wird, so sollte doch gesehen werden, was Kirche und ihre Caritas auch alles im Guten bewegen. Denken Sie einmal an unsere Senioreneinrichtungen, Hospize, Kleiderkammern und Tafeln.
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Glaubwürdigkeit von Kirche
Gelingt das denn tatsächlich?
Wenn man sich einmal Studien anschaut, wird deutlich, dass Kirche ein großes Glaubwürdigkeitsproblem hat. Während Caritas in den Umfragen bei der Glaubwürdigkeit weit oben rangiert. Dadurch, dass wir so vielfältige Dienstleistungen haben, die dem Menschen zu Gute kommen, haben wir ein ganz anderes Renommee.
Oft heißt es im Alltag: Darum muss sich die Caritas kümmern. Vor Ort erleben wir, dass immer mehr Menschen Einrichtungen wie die Tafel oder den Warenkorb in Anspruch nehmen müssen. Es gibt z.B. Aufnahmestopps an den Tafeln. Ist das wirklich Aufgabe der Caritas? Oder sind das nicht auch gesellschaftliche Baustellen, die alle betreffen. Wie kann man solch eine Last gerecht verteilen?
Das sind gesamtgesellschaftliche Aufgaben, die beim Bund, dem Land oder bei den Kommunen liegen. Gerade am Beispiel Tafeln wird das deutlich. Wir verstehen uns als direkter Dienstleister oder Unterstützer, um die unmittelbare Not zu lindern. Das gilt auch da, wo viele Menschen mit ihrem Geld nicht mehr bis ans Monatsende kommen. Wir versuchen unmittelbare Not abzuwenden. Gleichwohl ist unser Auftrag aber auch der, sozialpolitisch aktiv zu werden und zu sagen: Dieses System funktioniert so nicht und es kann nicht sein, dass es selbstverständlich wird, dass ältere oder auch arme Menschen nur noch über die Tafeln versorgt werden. Wir müssen gesamtgesellschaftlich, sozialpolitisch schauen, wie wir Armut vermeiden können. Das gilt auch für Menschen, die an Energiewende oder an bewusster Ernährung teilhaben möchten und es aus eigener Kraft nicht können. Das ist ein allgemeiner Auftrag, da ist die Politik am Zuge – gemeinsam mit der Wohlfahrtspflege, darauf müssen wir einwirken.
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Was kann man da konkret tun? Ist eine pauschale Abgabe für jedermann denkbar?
Das Bürgergeld geht in die Richtung. Man muss aber auch schauen, wie Familien oder Alleinerziehende in prekären Situationen unterstützt werden können. Die Kindergrundsicherung könnte ein Weg sein, der ausbaufähig wäre. Man muss aber auch schauen, wie man Menschen in den Arbeitsmarkt integrieren kann, damit sie selber über Einkommen verfügen.
Pflege wird sich verändern
Wenn Sie die Entwicklung in der Pflege sehen – die Schwierigkeiten, Pflegekräfte zu finden - haben Sie da Angst vor dem Älterwerden?
Es wird eine große Frage sein, wie wir dauerhaft, gerade im Pflegesektor die älter werdende Gesellschaft gut versorgen können. Da wird es neue Modelle brauchen. Es wird nicht mehr allein über die stationären Versorgungsangebote funktionieren. Es wird Kreativität bedürfen, um neue Lösungsansätze zu finden. Wie kann man das umsetzen, wie kann man es finanzieren, welche Vorstellungen haben die politischen Ebenen und welche innovativen Ideen gibt es in der Zivilgesellschaft. Es kann auch nicht sein, dass unsere Einrichtungen demnächst nur noch für sehr gut Verdienende zur Verfügung stehen. Da haben wir einen gesellschaftlichen Auftrag. Es muss jedem möglich sein, diese Versorgungsangebote bei Bedarf in Anspruch nehmen zu können. Gleichwohl haben wir steigende Baukosten, steigende Energiepreise und immer die Diskussion, wieweit die Refinanzierung unserer Dienste gesichert ist. Mehr und andere Formen der Tagespflege sowie die Möglichkeit, dass die Pflegebedürftigen abends wieder in ihr häusliches Umfeld zurückkehren, sind denkbar. Das ist ein Zukunftsthema, das über stationäre Einrichtungen allein nicht mehr lösbar sein wird.
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Liest man die Liste Ihrer Hobbys, fragt man sich, wie und wann schafft er das? Und ganz nebenbei studieren Sie auch noch in Münster. Was fasziniert Sie an den Bergen, warum spielen Sie Volleyball und was reizt Sie am Bogensport?
Den Studiengang habe ich angefangen mit der Perspektive, noch mehr und stärker Führungsverantwortung wahrnehmen zu wollen und mich stärker mit dem Thema Management von Non-Profit-Organisationen zu beschäftigen. Beim Volleyball und beim Bergwandern kann ich Gemeinschaft pflegen, kann Abstand zum Berufsalltag bekommen. Durch die Pflege von Hobbies oder auch einem ehrenamtlichen Engagement tue ich etwas völlig anderes Körperliche Aktivitäten halte ich für wichtig, um gesund und fit zu bleiben und um für meine Resilienz zu sorgen. Beim Bogensport war ich jahrelang im Vorstand aktiv, selbst zum Training kam ich kaum. Ursprünglich habe ich Fußball gespielt, bin dann zum Volleyball gewechselt und bin seit Jahren Übungsleiter in Brilon, was mir sehr viel Spaß macht.
Faszination Berge, warum?
Ich finde die Spannung zwischen körperlicher Herausforderung und gleichzeitigen Naturerlebnissen in den Bergen faszinierend. Diese Gipfelerlebnisse die man hat, die Herausforderungen auch mal einen Klettersteig zu gehen oder Wind und Wetter ausgesetzt zu sein, Nervenkitzel zu erleben, gute Gespräche mit netten Menschen und das einfache Leben auf den Hütten – all das mag ich sehr. Unterwegs zu sein, Menschen zu begegnen, der Natur ausgesetzt zu sein und in Anbetracht der monumentalen Berge die eigene Winzigkeit zu wahrzunehmen zeigen, dass Berge gute Lehrmeister sind. Ich habe auf meinen Bergtouren immer einen Psalmvers aus der Bibel im Kopf. Da heißt es: „Was ist der Mensch, dass Du an ihn denkst?“ – Letztlich kann ich in den Bergen wirklich gut abschalten.