Hochsauerland. Im März 2020 sorgte Corona für den ersten Lockdown. Menschen aus dem Sauerland erzählen, wie hart der Schnitt war und wie er bis heute nachwirkt.

Das Coronavirus hat uns schon mehrere unrühmliche Jahrestage beschert. Aber kein Datum war so einschneidend wie der 22. März 2020. Heute vor drei Jahren, an einem Sonntag, trat auch im Hochsauerland der erste bundesweite Lockdown in Kraft, um die Ausbreitung des Virus zu verlangsamen. Schulen, Geschäfte, Theater und viele andere öffentliche Einrichtungen hatten zu dem Zeitpunkt bereits seit einer Woche geschlossen. Aber weil die Infektionswelle immer mehr Fahrt aufnahm, sah sich der Staat zu einem weiteren Schritt veranlasst. Ohne guten Grund durfte niemand mehr seine Wohnung verlassen. Einige Schlaglichter zum „Lockdown“ und seinen Facetten:

Stadt und Ordnungsämter

„Winterberg ist eine der wenigen Städte, wenn nicht die einzige in NRW, die aufgrund ihrer touristischen Prägung durch die pandemiebedingten Schließungen erhebliche finanzielle Schäden hinnehmen musste. Schäden, die uns bis heute belasten und trotz vieler Hilferufe nicht ausgeglichen wurden“, findet Winterbergs Bürgermeister Michael Beckmann klare Worte. Und Sprecherin Rabea Kappen fügt hinzu: „Den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern unseres Ordnungsamtes hat die Corona-Pandemie alles abverlangt. Während der gesamten Zeit, so auch beim ersten Lockdown, war es dafür zuständig, die Regel-Einhaltung der Coronaschutzverordnung zu kontrollieren.“

Winterberg nach der Sperrung der Zufahrtsstraßen und Skigebiete am Sonntag, 3. Januar 2021. Die Skipisten sind geräumt, die Straßen und Parkplätze leer. Nur noch wenige Tagestouristen sind in der Stadt unterwegs und fahren Schlitten im Kurpark am Oversum, wo der Krisenstab von Stadt, Polizei und Feuerwehr untergebracht ist.
Winterberg nach der Sperrung der Zufahrtsstraßen und Skigebiete am Sonntag, 3. Januar 2021. Die Skipisten sind geräumt, die Straßen und Parkplätze leer. Nur noch wenige Tagestouristen sind in der Stadt unterwegs und fahren Schlitten im Kurpark am Oversum, wo der Krisenstab von Stadt, Polizei und Feuerwehr untergebracht ist. © Max Maurer | Max Maurer

Das Ordnungsamt habe auch eine Beratungsrolle gegenüber den Unternehmen eingenommen, da Einzelhandelsgeschäfte, Übernachtungsbetriebe, Friseure und viele weitere Betriebe geschlossen bleiben mussten und in der Folge eine Vielzahl von Regeln galten, die für die Betriebe zum Teil sehr schwierig umzusetzen waren.

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Beim Rückblick schwingt auch ein Hauch von Kritik in Richtung großer Politik mit. Denn als es im Dezember 2020/Januar 2021 zu einem massiven Ansturm von Menschen aus den Ballungsräumen auf den Raum Winterberg kam, brach rund um den Kahlen Asten das „Winter-Chaos“ aus. Kappen: „Der Bürgermeister hatte bereits im November auf die Problematik hingewiesen. Wir hätten uns gewünscht, dass das Land unsere Sorgen intensiver prüft. So hätten wir die Ausnahmesituation möglicherweise strukturierter angehen können.“ Man habe zu Beginn der Pandemie bereits reagiert und das Ordnungsamt personell verstärkt, die Einsatz-Teams erhöht sowie den seit Wochen ohnehin engen Austausch mit der Polizei noch mal intensiviert. Kappen: „Das besagte Wochenende hat aber gezeigt, dass diese Maßnahmen nicht ausreichend waren und wir unser Einsatz-, Strategie- und Kommunikationskonzept optimieren und ausbauen mussten. Insgesamt ist es uns trotz zum Teil chaotischer Verhältnisse durch ein gutes abgestimmtes Vorgehen gelungen, die Sicherheit der Bürger/innen unserer Stadt zu gewährleisten.“ Die Stadt hatte damals viermal so viele Gäste wie an normalen Wintersport-Wochenenden. Am Ende des Winters wurden mehr als 600 Ordnungswidrigkeiten gezählt.

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Das Coronavirus war für alle neu und die Politiker musste im Sinne der Gesundheit aller Menschen schnell und konsequent handeln. Rabea Kappen: „Im Nachhinein ist es leicht darüber zu diskutieren, ob die Maßnahmen im Einzelnen angemessen waren, da wir jetzt Erkenntnisse haben, die wir zu Beginn der Pandemie nicht hatten und so frühere Entscheidungen in einem anderen Licht erscheinen.“

Friseurbetriebe

„Rückblickend kann ich manchmal immer noch nicht begreifen, was alles passiert ist. Auf mich hat die Politik den Eindruck hinterlassen, auf solche Situationen nicht vorbereitet zu sein, keinen Notfallplan zu haben“, sagt die Obermeisterin der Friseurinnung Brilon/Meschede, Nicole Bunse (Foto). „Hilflos dabei zusehen zu müssen, wie die eigene Existenz plötzlich kopfloser Entscheidungen unterworfen war – das war und ist auch heute für mich noch absolut unbegreiflich. Auch, dass es mir verboten wurde, meinen Job auszuüben und damit nicht nur meine Existenz sondern auch die meiner Mitarbeiter bedroht wurde…“

Friseurbetriebe werden im Lockdown mit Arbeitsverbot belegt.
Friseurbetriebe werden im Lockdown mit Arbeitsverbot belegt. © dpa | Jens Kalaene

Noch heute frage sie sich: Wie kann es sein, dass es Traditionsunternehmen, auch außerhalb ihrer Branche, nur aufgrund politischer Entscheidungen nicht durch diese Zeit geschafft haben? Bunse: „Wir durften unseren Salon teilweise nicht voll besetzen, unsere Mitarbeiter mussten in Schichtsystemen arbeiten, um die räumlichen Kapazitäten anzupassen. Plötzlich konnten wir nicht mehr als Team zusammen, sondern nur noch aneinander vorbei arbeiten. Staatliche Hilfen, die zuerst zugesichert waren, sollen jetzt doch in fast vollem Umfang zurückbezahlt werden. Da fühlt man sich von der Politik absolut im Stich gelassen!“ Aufgeben sei für sie keine Option! Aber diese Zeit habe etwas mit allen Menschen gemacht. Und die Auswirkungen spüre man deutlich: „Viele Kunden wollen sich nicht mehr terminlich festlegen, der Besuchsrhythmus wird länger herausgezögert. Viele Kundinnen haben die Coronazeit genutzt, um sich die Haarfarbe rauswachsen zu lassen. Gleichzeitig führen steigende Kosten, die sich natürlich auch in den Preisen bemerkbar machen, zu einem hohen Preisbewusstsein und zusätzlichen Unsicherheiten und Ängsten.“

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Auch „nach“ Corona gebe es neue Herausforderungen. „Aktuell beschäftigt uns die immer weiter rückläufigen Azubizahlen. Ich würde mir für die nahe Zukunft wünschen, dass das Handwerk im Allgemeinen wieder mehr an Zuspruch gewinnt. Dass sich auch unsere Politiker mehr auf die Bedürfnisse einzelner Branchen konzentrieren und effektiv dabei unterstützen, dem Nachwuchs- und Fachkräftemangel entgegen zu wirken.“

Kirchen

„Die Kirchenbesucherzahlen haben sich nach dem Lockdown nicht mehr erholt und bleiben auf niedrigem Niveau“, analysiert Pfarrer und Dechant Richard Steilmann die Situation. Zusätzlich habe die Energiekrise dazu geführt, dass sich viele Kirchenbesucher sagen: Ich gehe nicht in die Kirche, da ist es mir zu kalt. Im Lockdown haben man zumindest an den hohen Festtagen Gottesdienste über das Internet übertragen. „Dabei haben sich im ersten Jahr viele eingeloggt und so den Gottesdienst mit gefeiert. Ich weiß, dass einige Kirchengemeinden jeden Sonntag einen Gottesdienst übertragen. Ich glaube aber nicht, dass diese Form der Übertragung viele Menschen heute noch erreicht. Man hat sich heute daran gewöhnt, den Gottesdienst nicht mehr zu besuchen. Es geht für viele Menschen auch ohne Kirche.“

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Dicht gedrängte Menschenmengen, die aus voller Kehle Kirchenlieder singen - das hat es seit und nach Corona kaum noch gegeben. Dechant Steilmann: „Es geht für viele Menschen auch ohne Kirche.“
Dicht gedrängte Menschenmengen, die aus voller Kehle Kirchenlieder singen - das hat es seit und nach Corona kaum noch gegeben. Dechant Steilmann: „Es geht für viele Menschen auch ohne Kirche.“ © dpa | Arne Dedert

Dass die Gemeinden im Lockdown keine präsenten Gottesdienste mehr feiern konnten, sei vielleicht im Nachhinein betrachtet falsch gewesen. „Aber es ging ja nicht anders. Wir Priester haben im Lockdown jeden Tag zusammen den Gottesdienst in St. Martin Bigge gefeiert und für die Anliegen der Menschen gebetet - auch dafür, dass der Lockdown schnell zu Ende geht und wir wieder zur Normalität finden.“

Kultur und Kulturarbeit

„Es darf nicht noch einmal passieren, dass eine komplette Branche einfach vergessen wird“, sagt Thomas Mester, selbst Musiker, Sänger, Veranstaltungsfachmann und Leiter von Brilon Kultour. „Es gab für uns ein Verbot, unseren Beruf auszuüben. Finanzielle Hilfen müssten schneller, direkter und einfacher ankommen. Inzwischen haben viele in der Kultur- und Eventszene ihre gesamte Existenz verloren. Das betrifft Künstler/innen, Techniker/innen und Veranstalter/innen.“ Das Ergebnis spüre man noch heute; viele seien nicht in die Kultur- und Eventszene zurückgekehrt. Mester: „Wir werden auch noch einige Zeit benötigen, bis sich die Branche komplett erholt hat. Die Entscheidungen zum Lockdown seien schon richtig gewesen. Es habe keinerlei Erfahrungswerte mit diesem Virus gegeben, daher hätten schnell viele Entscheidungen in der Pandemie getroffen werden müssen. Auch das Verbot für Veranstaltungen aller Art, um größere Menschenansammlungen zu vermeiden, sei erstmal wichtig gewesen, zumal es zu Beginn noch keinerlei Impfstoff gegeben habe.

Leere Sitzreihen: Corona und die damit verbundenen Lockdowns haben der Kulturszene nachhaltig einen schweren Schlag versetzt.
Leere Sitzreihen: Corona und die damit verbundenen Lockdowns haben der Kulturszene nachhaltig einen schweren Schlag versetzt. © dpa | Klaus-Dietmar Gabbert

Mester: „Nach dem Boom-Jahr 2022 - in dem einfach viel, teilweise zu viel wieder veranstaltet wurde - merken wir in diesem Jahr, wie schlecht es teilweise um die ganze Szene steht. Keine Hilfen für Künstler und Veranstalter – das merkt man sehr intensiv. Das Kaufverhalten der Menschen bei den Tickets ist anders geworden. Viel kurzfristiger werden Karten gekauft – das heißt aber auch, dass viele Veranstalter im Vorfeld aufgeben. Planungssicherheit geht anders. Die Kultur braucht die Menschen, aber die Menschen brauchen die Kultur!“ Die Politik ist seiner Meinung nach immer noch in der Pflicht, die Branche zu unterstützen. „Wir sind noch nicht durch das Tal durch. Ich weiß auch, dass der „Förder-Topf“ nicht unendlich ist. Daher meine Bitte an alle Kulturinteressierten: Geht ins Theater, ins Kino, in Konzerte, in die Museen. Kauft frühzeitig Tickets und unterstützt so die Künstler/innen und Vereine!“

Hotel- und Gastronomie

„Der Lockdown hat in der Hotel- und Gaststättenbranche für große Probleme gesorgt. Auch wenn man im Moment langsam vorsichtig optimistisch sein kann, ist das Gastgewerbe noch mit einem realen Umsatzminus in Höhe von 21,2 Prozent belastet“, sagt der Hauptgeschäftsführer des Deutschen Hotel- und Gaststättenverbandes DEHOGA in Hamm, Dr. Wolfgang Henke, auf Nachfrage unserer Zeitung. Obwohl für das vergangene Jahr in der Hotellerie bei den Übernachtungen ein deutliches Plus zu verzeichnen gewesen sei, bestehe ein deutlicher Nachholbedarf zu 2019. Gravierend sei die Kostenexplosion in den Bereichen Energie (plus 80,1 Prozent), Lebensmittel (77,4 Prozent) und Personal sowie der Personalmangel, welche die Unternehmen stark belasten.

Dustere Aussichten

Auch die Abwanderung geringfügig Beschäftigter lasse sich nur langsam kompensieren. Die geburtenstarken Jahrgänge hätten mehr und mehr das Rentenalter erreicht, sodass die Personaldecken ausgedünnt seien. Dies spiegele sich auch zum Teil in reduzierten Angeboten und Öffnungszeiten des Gastgewerbes wider. Dr. Henke: „Nach wie vor gilt es dafür Sorge zu tragen, dass die Betriebe nicht mit immer neuen Auflagen und Reglementierung belastet werden, sondern der Erholungsprozess nachhaltig unterstützt wird. Zentrale Branchenanliegen sind der Abbau von Bürokratielasten, mehr Flexibilität bei der Arbeitszeit sowie die dauerhafte Geltung des reduzierten Mehrwertsteuersatzes für Speisen in Restaurant.“ Ohne derartige Unterstützungen werde es ein sehr reduziertes Angebot auch in der Anzahl von Betrieben des Gastgewerbes geben