Referinghausen. Wie funktioniert Dorfentwicklung? Studenten einer US-Elite-Uni forschen im Sauerland. Referinghausen als Beispiel der Vereinten Nationen in China.

Die Yale-Universität in New Haven ist eine der renommiertesten Universitäten der Welt. Sie ist die drittälteste Hochschule der Vereinigten Staaten. 12.000 Studenten und Studentinnen drücken dort die Bänke der Hörsäle. Und elf von ihnen waren vor wenigen Wochen in Deutschland. Ihre Ziele: Kassel, Berlin und Referinghausen. Der Grund für die weite Reise: Die elf Architekturstudierenden erarbeiten gemeinsam mit dem 213-Seelen-Dorf Zukunftsperspektiven für das Leben im ländlichen Raum – für Referinghausen, aber auch stellvertretend für das gesamte Sauerland. Und sogar die Vereinten Nationen richten ihren Blick bereits auf das Stadtgebiet Medebach…

Studenten aus den USA zu Besuch in Referinghausen.
Studenten aus den USA zu Besuch in Referinghausen. © WP | WP

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Eine 30-köpfige Delegation aus Referinghausen fährt heute Abend nach Meschede-Grevenstein, um für das Dorf den 1. Preis im Kreiswettbewerb „Unser Dorf hat Zukunft“ abzuholen. Eine Woche später geht es ins Haus Düsse nach Bad Sassendorf; dort gibt es die Landessilber-Medaille. Selten wurde das Motto Zukunftsfähigkeit so greifbar in Taten und Projekten wie in Referinghausen. Und es schlägt Wellen. „Es fing eigentlich 2011 mit dem Sommer-Seminar der Architekten an. Damals hatten wir uns um diese Veranstaltung der Stiftung Deutscher Architekten beworben und den Zuschlag bekommen, damit Fachleute von außen einen Blick auf unsere Defizite und auf unser Potenzial werfen konnten“, erklärt Ortsvorsteher Reinhard Figgen. Seitdem hat sich im Dorf einiges getan.

Eine Delegation aus Referinghausen bei der Bekanntgabe des „Unser-Dorf-hat-Zukunft“- Ergebnisses. Der 213-Seelen-Ort hat Landessilber geholt und einen Sonderpreis der NRW -Stiftung bekommen.
Eine Delegation aus Referinghausen bei der Bekanntgabe des „Unser-Dorf-hat-Zukunft“- Ergebnisses. Der 213-Seelen-Ort hat Landessilber geholt und einen Sonderpreis der NRW -Stiftung bekommen. © WP | Privat

Gemeinschaft gestärkt

Eine bauliche Ruine ist Dorfmittelpunkt geworden mit einem eigenen Boule-Platz. Der alte Sportplatz hat den einzigen asphaltierten Pumptrack im ganzen Umkreis. Ein ganzes Dorf ist energetisch unabhängig geworden von fossilen Brennstoffen. Und dies sind nur die großen Projekte. Figgen: „Letztlich haben alle Aktionen unsere Gemeinschaft gestärkt und die Lebensqualität verbessert. Diesmal sind die Studenten aus den USA an uns herangetreten und wir geben gerne Einblick ins Dorfleben und nehmen genauso gerne deren Anregungen auf.“

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Kunst im ländlichen Raum

„Positives zieht Positives an“, freut sich Ortsvorsteher Reinhard Figgen über das Interesse aus den USA. Was ihn und die Dorfgemeinschaft auf dem Weg der Zukunftsfähigkeit voran gebracht hat, seien immer wieder Ideen aus dem Dorf heraus und Impulse von außen gewesen. „Das war immer gute Team-Arbeit. Ein Mitglied der Bewertungskommission ,Unser Dorf hat Zukunft‘ hat mir gesagt, er könne mir auf Anhieb zehn Dörfer nennen, die sich das nicht getraut hätten.“


Mut zahlt sich aber auch aus. Die „Open Mind Places“ - Ruhepunkte, Landmarken, Kunstwerke zum Innehalten von Architekt Christoph Hesse – seien anfangs durchaus kritisch betrachtet worden. „Kritisch sein ist ja auch okay. Aber auch die Objekte sind ein wichtiger Impuls in der Dorfentwicklung gewesen“, so Figgen.

Der Schöpfer der Open-Mind-Places war mit sogenannten „Reflecting Points“ auch auf der documenta-Ausstellung in Kassel vertreten. Reinhard Figgen: „Es hat einige Anfragen aus Städten gegeben, die diese Kunst-Installationen nach der documenta gern für sich haben wollten. Wenn wir einen geeigneten Platz gefunden haben, werden sie zu uns nach Referinghausen kommen.“

Dass eine große Uni in den fernen Staaten ihren Focus auf ein Dorf im Sauerland richtet, ist einem guten Netzwerk zu verdanken. Architekt Christoph Hesse - er stammt aus Referinghausen und hat u.a. die „Open Mind Places“ rund um das Dorf geschaffen - lernte bei einer Ausstellung in Berlin die chinesische Architektin Tiantian Xu und deren Kollegin Tei Carpenter kennen. „Xu ist Hauptdozentin an der Uni in New Haven und sie genießt großes Ansehen für ihre Arbeiten auf dem Gebiet ,Entwicklung des ländlichen Raumes`. Wir kamen ins Gespräch und stellten fest, dass wir beruflich viele Berührungspunkte haben“, so der Sauerländer, der selbst in Harvard studiert hat. Die Rede kam auch auf sein Heimatdorf und darauf, dass dort in den vergangenen Jahren viel passiert sei. Schnell wurde daraus ein Projekt für die elf Studenten in den USA. Hesse hat inzwischen an der Yale-University die Rolle eines Gastkritikers übernommen und betreut das „Zukunftslabor Referinghausen“.

Der aktuelle Dorfkalender von Referinghausen zeigt den Pumptrack, der auf dem ehemaligen Sportplatz entstanden ist.
Der aktuelle Dorfkalender von Referinghausen zeigt den Pumptrack, der auf dem ehemaligen Sportplatz entstanden ist. © WP | WP

Am Anfang stand eine Analyse: Was macht den Ort aus, was sind die Perspektiven? Dann wurden mehrere Themenfelder umrissen: Landwirtschaft, Energie, Arbeit, Kultur, Geschichte. Hesse: „Die Studenten beschäftigen sich nicht mit dem Dorf, um ihre Idee dort hineinzutragen. Sie kommen mit offenen Ohren, wollen hören. Es geht nicht um komplette Phantasien, sondern um realistische Visionen. Die Studenten verstehen sich als verlängerter Arm der Menschen, die die Ideen der dort lebenden Bürger greifbar machen.“

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Warum könnten in Zeiten von Corona und Home-Office leerstehende Gebäude nicht zur Co-Working-Spaces werden und so auf Dauer dank einer neuen Nutzung überleben? Kulturprojekte wie eine bewegliche Bühne sind denkbar, aber auch in Richtung Landwirtschaft und Biodiversität gibt es viele Ansätze, die jetzt in den USA konkretisiert werden.

Kontakte geknüpft

In Referinghausen knüpften die Studenten dann nicht nur individuelle Kontakte zu den Bürgern, die ihnen Ortsheimatpfleger Frans van Hulten vermittelte. Auch Bürgermeister Thomas Grosche, die Wirtschaftsförderer Frank Linnekugel (HSK) und Michael Aufmhof (Medebach) sowie Leader-Manager Christoph Hammerschmidt und Deifelds Ortsvorsteher Ernst Welticke kamen mit den Architekten ins Gespräch. Seitdem stehen die Referinghäuser und ihre USA-Studenten in regem Austausch miteinander.

Mit den „Open Mind Places“ (hier die Landmarke „Sonnenklang“) haben künstlerische Ideen im Dorf Einzug gehalten.
Mit den „Open Mind Places“ (hier die Landmarke „Sonnenklang“) haben künstlerische Ideen im Dorf Einzug gehalten. © Christoph Hesse Architekten | Laurian Ghinitoiu

Und wie geht es nun weiter? Im Dezember gibt es eine erste Ergebnispräsentation, an der u.a. auch einer der documente-Kuratoren, Iswanto Hartono, dabei sein wird. Im Frühjahr sollen die Ergebnisse in der Versammlung der Dorfgemeinschaft präsentiert werden. Und Ende 2023 fährt möglicherweise eine Delegation aus Referinghausen bzw. dem Sauerland nach China. Denn dort tagt eine Arbeitsgruppe der Vereinten Nationen – die UN Habitat. Dahinter steckt das Siedlungsprogramm der Vereinten Nationen, das sich mit menschlichen Wohn- und Lebensformen der Zukunft beschäftigt – auch mit dem ländlichen Raum im Hochsauerland.

USA, China, Sauerland - die Welt ist klein...