Marsberg. Partys feiern trotz Corona, wie in Esshoff, ist keine Seltenheit. Eine Psychologin aus Marsberg erklärt, was in Jugendlichen derzeit vorgeht.

Jugendliche in der Pandemie: Party machen, bis der Arzt kommt? Eigentlich nicht, wie eine Studie belegt. Die große Mehrheit der Umweltprotest-erprobten „Generation Greta“ zeigt sich rücksichtsvoll und lässt sich durch Corona kaum aus der Bahn werfen. Das belegt eine repräsentative Umfrage für die Studie „Junge Deutsche 2021“.

Und dennoch: Für Schlagzeilen sorgte die Party in einem Ferienhaus im kleinen Briloner Ortsteil Esshof auf Karfreitag. Wie berichtet, feierten 19 Menschen im Alter von 18 bis Anfang 20 Jahren mit lauter Musik und viel Alkohol bis zum Abwinken oder bis die Polizei kommt.

Dr. Christiane Götte an ihrem Schreibtisch in der Ambulanz der LWL- Kinder- und Jugendpsychiatrie Marsberg. Seit vielen Jahren leitet sie die Ambulanz. 
Dr. Christiane Götte an ihrem Schreibtisch in der Ambulanz der LWL- Kinder- und Jugendpsychiatrie Marsberg. Seit vielen Jahren leitet sie die Ambulanz.  © LWL-Ambulanz

Die hatte der Party ein schnelles Ende bereitet. Das Haus war für ein Business-Meeting für fünf Personen angemietet. Die jungen Leute hatten sich nach Polizeiangaben per Instagram verabredet. Sie kamen aus ganz Deutschland, zum Beispiel aus Baden-Baden, Oberharz am Brocken oder Duisburg. Auf sie warten jetzt Ordnungswidrigkeitsverfahren, denn laut Corona-Schutzverordnung sind Zusammenkünfte dieser Art derzeit strikt untersagt, um das Coronavirus einzudämmen. Die WP sprach mit Dr. Christiane Götte. Sie ist Oberärztin der Institutsambulanz der LWL Kinder- und Jugendpsychiatrie Marsberg.

Frau Dr. Götte, einerseits ist es ja verständlich, möchte man meinen, ein Jahr lang keine Party, keine Konzerte, nichts, was den Jugendlichen Spaß macht, wo man sich treffen und andere kennenlernen könnte. Sie müssen seit einem Jahr auf alles verzichten. Gehört denn nicht auch zum Erwachsenenwerden hinzu, über die Stränge zu schlagen?

Dr. Christiane Götte Es ist durchaus verständlich den Wunsch zu haben, andere Leute zu treffen, Party zu machen, wieder ein Stück unbeschwerte Normalität zu erleben, wie es vor der Corona-Pandemie möglich war. Zudem ist für die Entwicklung von Autonomie gerade bei Jugendlichen normal, dass Grenzen ausgetestet und auch mal überschritten werden.

Wo sind die Grenzen?

Grenzen sind dort, wo die eigene oder die Gesundheit anderer aufs Spiel gesetzt werden.

Online-Umfrage der Jugendforscher

Eine neue repräsentative Online-Umfrage der Jugendforscher unter 1602 Jugendlichen und jungen Erwachsenen zwischen Mitte Oktober und Mitte November zeichnet das Bild einer solidarisch jungenGesellschaft – allerdings mit Abstrichen.

Zwei Drittel (66 Prozent) verzichten demnach zurzeit bewusst auf Partys, um Familie und Freunde zu schützen. Lediglich acht Prozent geben an, dass sie dazu auf keinen Fall bereit seien. Rund ein Viertel (26 Prozent) antwortet mit „teils teils“.

73 Prozent der Befragten ist es zudem wichtig, sich an die Abstands- und Hygieneregeln zu halten und Masken zu tragen.

Nur vier Prozent sagen hier „nein“. Knapp ein Viertel (23 Prozent) ist unentschlossen.

Werden die Jugendlichen nicht auch irgendwie vergessen in dieser Pandemiezeit? Verlangt man ihnen nicht auch ziemlich viel ab, indem man immerzu Verständnis und Verzicht fordert?

Es wird den Jugendlichen sehr viel abverlangt: soziale Kontakte werden massiv eingeschränkt, Sportmöglichkeiten im Verein gibt es so gut wie gar nicht mehr, die schulische Perspektive ist für viele Kinder und Jugendliche unsicher und mit Ängsten verbunden. Viele Schüler haben Sorgen, ob sie das Schuljahr schaffen oder wiederholen müssen, ob sie den Schulabschluss erreichen können. Durch den Wechsel von Distanzunterricht und Präsenzunterricht haben einige Schüler Probleme, mit dem Schulstoff klarzukommen, erreichen möglicherweise schlechtere Noten als zuvor. Bei vielen ist der Start ins Berufsleben deutlich erschwert durch fehlende Praktika oder fehlende Ausbildungsmöglichkeiten. Sehr viele Kinder und Jugendliche haben zudem Ängste um ihre Familie, besonders um die Großeltern, befürchten eine Ansteckung mit dem Coronavirus. Auch können familiäre Probleme in diesen Krisenzeiten stärker hervortreten mit Stress untereinander, z.B. durch zunehmende finanzielle Belastungen, Jobverlust, Kurzarbeit, ständiges Zusammensein, Home-Schooling...

Welche Auswirkungen wird dieses Corona-Jahr auf die jüngeren Generationen haben?

Es wird sicherlich von der weiteren Dauer der Einschränkungen abhängen, derzeit ist noch kein Ende in Sicht. Zu befürchten sind soziale Probleme, da soziales Lernen fehlt, welches wichtig ist für den Aufbau sozialer Kompetenzen, wie Teamfähigkeit, Aufbau von Empathie und Kommunikationsfertigkeiten. Bei den jüngsten Kindern in den Kitas können die sprachlichen Fertigkeiten leiden, da durch das Tragen der Masken die Mimik der Erzieherinnen nicht erkannt werden kann. Zudem ist bereits eine Zunahme von psychischen Störungen, wie zum Beispiel Ängste, Depressionen, Zwänge, psychosomatische Beschwerden, zu beobachten. Ebenso fehlt vielen Jugendlichen eine Perspektive hinsichtlich der Berufswahl.

Was kann man tun?

Die Kinder und Jugendlichen dürfen mit ihren Ängsten und Sorgen nicht alleine gelassen werden, um die Krisenzeiten bewältigen zu können. Hilfreich kann eine feste Tagesstruktur sein, positive gemeinsame Aktivitäten, aber auch Rückzugsmöglichkeiten.

Auch interessant

Zurück zur Party in Esshoff. Man muss sich fragen, inwieweit kannten sich die jungen Leute eigentlich persönlich, da sie ja aus dem ganzen Bundesgebiet zusammenkamen, um zu feiern. Kann man das auch als Phänomen der Coronazeit verzeichnen?

Möglicherweise sind Jugendliche mehr im Internet unterwegs als zuvor und nutzen soziale Plattformen, da „echte“ Kontakte weniger möglich sind. Das Spielen an Konsolen hat zugenommen, die Kinder spielen vermehrt „online“ miteinander.