Brilon. In der Coronakrise erleben Einrichtungen für Menschen mit Behinderungen eigene Herausforderungen in Brilon. Hilfsmittel werden zu Hindernissen.
Angelika Gerke ist schwerhörig. Bei einer Unterhaltung schaut sie auf die Lippen ihres Gegenübers, um sich zu helfen, wenn manches Wort nicht bei ihrem Ort ankommt. Doch wegen Corona wird ihr diese Brücke erschwert. Es ist nur eines von vielen Problemen, die Menschen mit Behinderungen während der Coronakrise erleben.
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„Gesprochene Worte werden durch den Mundschutz unsichtbar, das Mundbild kann nicht mehr gesehen werden. Lippenabsehen ist durch üblichen Mundschutz nicht möglich. Die Kommunikation erfordert Geduld auf beiden Seiten“, erklärt Gerke.
Keine Teilnahme bei Protesttag Brilon
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Sie ist Vorsitzende der Briloner Interessenvertretung für Menschen mit Behinderung (BIV). Normalerweise würden sie und ihre Mitglieder am Samstag Präsenz zeigen, denn am 5. Mai ist jährlich der Europäische Protesttag zur Gleichstellung von Menschen mit Behinderung.
„Die BIV setzt sich größtenteils aus Privatpersonen, Vereinen und Verbände zusammen, daher nehmen wir später am Protesttag teil“, erklärt Claudia Artz, Vorstandsmitglied der BIV. Im vergangenen Jahr machten sie auf dem Marktplatz Waffeln, verteilten Flyer und gaben Informationen zur Thematik.
Hilfestellung bei Hansetagen geplant gewesen
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Wegen Corona ist das in diesem Jahr nicht möglich. Eigentlich wollten sie sich auch bei den Hansetagen um Menschen mit Behinderungen kümmern und diese beispielsweise vom Flughafen Thülen bis in die Stadt bringen.
Dennoch möchte die BIV ihren eigentlichen Protesttag nicht verstreichen lassen, ohne auf Defizite aufmerksam zu machen. „Barrierefreiheit findet auch beim Gucken, Hören und Teilnehmen statt“, sagt Artz und erklärt, dass es nicht nur um barrierefreie Zugänge zu Gebäuden und Sitzmöglichkeiten auf der Bahnhofsstraße geht.
Probleme von Schwerhörigen
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Das findet auch Gerke. „Betroffene sollen offen ihre Bedürfnisse ansprechen. Bei Schwerhörigen zum Beispiel, dass der Gegenüber langsam und deutlich reden soll, aber nicht laut. Oder einen Sticker oder gar ein Schild um den Hals hängen mit ‚Ich bin schwerhörig, langsam und deutlich sprechen. Bitte nicht schreien‘.“
Als Hörgeschädigte, die auch die Lippen ihres Gegenübers anschaut ist gerade die Maskenpflicht hinderlich. Hier empfindet sie es als hinderlich, dass Supermärkte, Geschäfte, Banken und auch Ärzte nicht über induktive Höranlagen verfügen. Mit Hörgeräten, die eine spezielle eingebaute Empfangsspule haben, könnten die Tonsignale störungsfrei verstärkt empfangen werden.
Kontakt- und Beratungsstelle in Brilon
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Auch der Initiativkreis psychosozialer Hilfen in Brilon (Ipsylon) merkt die Auswirkungen des Coronavirus. Die kreisfinanzierte Kontakt-und Beratungsstelle inklusive aller Gesprächs-und Gruppenangebote musste vorerst ihren Dienst auf Telefonate und Emails beschränken. „Eine Beratung oder ein Krisengespräch per Telefon hat natürlich eine ganz andere Qualität als ein Gespräch von Angesicht zu Angesicht“, sagt Diplompädagogin Kirsten Gerth, die bei Ipsylon tätig ist.
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Sie bemerkt in ihrem beruflichen Alltag, dass das Virus die Einrichtung ziemlich durcheinander gebracht hat. Psychisch kranke Menschen haben ihrer Erfahrung nach, aufgrund ihrer Behinderung noch mehr Schwierigkeiten mit der Informationsflut bezüglich der Pandemie und den Gefahren umzugehen. Gerth: „Das hat große Ängstegeschürt und auch der Lockdown und die dadurch resultierende Einsamkeit macht allen sehr zu schaffen.“
Das ambulant betreute Wohnen
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Mike Steinhanses, Regionalleiter Ambulant Betreuten Wohnen des Sozialwerks St. Georg, setzt in der von Einschränkungen geprägten Zeit auf eine Vielzahl von Angeboten für die Klienten. So gibt es neben Video-Konferenzen auch Einkaufsfahrten mit Spuck-Schutz in den Autos, damit beispielsweise Fahrten zu Ärzten nicht wegfallen müssen. Telefonische Seelsorge und Beratung findet ebenso statt wie Freizeitgestaltung auf Abstand und die Herstellung von Mundschutz.
Ganz eigene Erfahrungen machte auch Björn Besting, Leiter der Franziskusschule in Brilon. Er merkt an, dass viele der Schüler auf individuelle Unterstützung angewiesen sind und teilweise Unterrichtsmaterial benötigen, das eigentlich einer ganzen Klasse zur Verfügung steht und entsprechend nicht in ausreichender Zahl vorhanden ist, um es jedem Schüler daheim individuell zur Verfügung zu stellen.
Auswirkungen auf die Franziskusschule in Brilon
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„Da unsere Schule auch nach den Ferien noch geschlossen blieb und die weitere Perspektive weiterhin unklar war, haben wir engen Kontakt zu den Schülerinnen und Schülern und deren Erziehungsberechtigten gehalten. Die Rückmeldungen, die wir dabei erhielten waren sehr differenziert“, sagt Besting.
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Einige Familien konnten seiner Aussage nach die gemeinsame Zeit genießen, bei anderen kam Langeweile auf und teilweise kam auch Überforderung dazu. Eine Problematik, die speziell die Schülerschaft der Franziskusschule betrifft, kam aber zum Vorschein: „Die Kontakte zu Spielpartnern beschränken sich häufig auf die Schule. Außerschulische Kontakte bestehen bei unseren Schülerinnen und Schülern eher selten“, erklärt Besting.
Durch die große räumliche Distanz im Hochsauerlandkreis sei es Eltern nicht möglich, die angebotene Notbetreuung in Anspruch zu nehmen. Der Schülerspezialverkehr fiel ebenfalls aus, so dass es für die Eltern keine andere Möglichkeit gegeben hätte, die Kinder zur Schule zu bringen.