Winterberg/Arnsberg. Die zehnfache Mutter, die ihr Kind nicht hinlänglich mit Nahrung versorgte, so dass es starb, gibt womöglich dem HSK-Jugendamt eine Mitschuld.
Die zehnfache Mutter aus dem Raum Winterberg tritt in dem Berufungsverfahren am Landgericht Arnsberg ab Dienstag nicht nur als Zeugin auf. Sie ist auch Nebenklägerin. Das heißt: Die rechtskräftig zu einer Haftstrafe verurteilte Mutter, die zwei ihrer Kinder nicht ausreichend mit Nahrung und Flüssigkeit versorgt hat, gibt der Sozialarbeiterin eine mögliche Mitschuld daran, dass ihr zweijähriger Sohn an Unterversorgung starb und die jüngere Schwester nur in letzter Sekunde gerettet werden konnte.
Verteidiger: Es geht uns um Aufklärung
Die Vorwürfe sind hart und klingen im ersten Moment grotesk. Stephan Lucas aus München, der die Mutter in dem Mammut-Prozess vertreten hatte und ihr jetzt als Nebenklägervertreter zugeordnet ist, erklärte auf Anfrage unserer Zeitung: „Es geht überhaupt nicht darum, dass meine Mandantin ihre Verantwortung auf die Sozialarbeiterin abschieben möchte. Sie stellt sich dieser Verantwortung und sie hat jeden Tag daran zu knacken, was damals passiert ist.
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Sie möchte aber verstehen, warum es so weit kommen konnte.“ Bei der persönlichen Aufarbeitung stellten sich ihr viele Fragen, so Lucas. Und eine davon sei eben auch die: wieso eine durch Steuergelder finanzierte Behörde nicht rechtzeitig die Bremse gezogen und sie dazu gebracht habe, früher mit den Kindern zum Arzt zu gehen.
Drei mögliche Beteiligte
Lucas sieht in der gesamten Schuldfrage drei mögliche Beteiligte. Neben seiner Mandantin und der Sozialarbeiterin lässt ihn die Rolle des Ex-Lebensgefährten nicht los. „Wenn die Staatsanwaltschaft der Sozialarbeiterin eine Mitschuld gibt und ihr das Urteil aus Medebach mit sechs Monaten noch zu milde ist, dann muss auch der Ex zur Verantwortung gezogen werden.“ Er hatte im Gericht ausgesagt, er habe im fraglichen Tatzeitraum das Gefühl gehabt, der Junge zerbreche, hatte aber nichts weiter unternommen. Für seine Mandantin ändere sich durch die Rolle der Nebenklägerin nichts; das Urteil gegen sie ist rechtskräftig und unabänderbar. Lucas: „Eine Nebenklage basiert immer auf drei Säulen: höheres Strafmaß, Schadensersatz oder lückenlose Aufklärung – uns geht es nur um den letzten Punkt.“
Erwartungen contra Rechtsgrundsätze
Die Jugendamtsmitarbeiterin war vom Amtsgericht Medebach wegen fahrlässiger Tötung in Tateinheit mit fahrlässiger Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe auf Bewährung verurteilt worden. Völlig zu Unrecht, hatte ihr Verteidiger Thomas Mörsberger gesagt. In dem Medebacher Verfahren seien allgemeine Erwartungen an eine Behörde fälschlicherweise mit Rechtsgrundsätzen gleichgestellt worden. Die Staatsanwaltschaft hatte ebenfalls Berufung eingelegt, weil der Urteilsspruch ihrer Ansicht nach zu milde ausgefallen war. Klaus Neulken hatte in Medebach eine Bewährungsstrafe von neun Monaten gefordert.
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Die juristische Aufarbeitung um die Vorfälle in der Großfamilie sind aber selbst mit dem auf sechs Tage angesetzten Verfahren vor der Berufungskammer nicht abgeschlossen. Im November muss sich der Ex-Lebensgefährte vor dem Briloner Schöffengericht verantworten. Ihm wirft die zehnfache Mutter Vergewaltigung vor.