Dortmund. Marco Reus hat nach zwölf Jahren das Ende seiner Ära beim BVB angekündigt. Oft begleiteten ihn Zweifel - doch es gab große Auftritte.
Zunächst steht da nur die leere Südtribüne, dann tritt Marco Reus vor die Kamera, reibt sich etwas verlegen die Hände und schon da wird klar, dass dieses Video das Ende einer Ära ankündigt. Eine Ära, nach der sich eigentlich jeder Klub sehnt. Reus, gebürtiger Dortmunder, einer der besten Spieler seiner Generation, findet nach Umwegen zurück zu seinem Heimatverein, bleibt dort eine Ewigkeit, schießt so viele Tore wie fast kein anderer, wird Kapitän. Wie selten so etwas vorkommt.
Nur gehören zu dieser Ära auch Zweifel, Rückschläge, die Misserfolge der vergangenen Jahre wurden meist zuerst dem Ausnahmekönner zu Last gelegt.
„Ja, wie soll ich anfangen?“, fragt Reus in dem Video und fängt an zu erzählen. Davon, dass er zwölf Jahre in diesem wunderschönen Stadion habe spielen dürfen. „Mein halbes Leben habe ich diesem Klub gewidmet, eine Menge Höhen und Tiefen erlebt, aber mehr Höhen, meiner Meinung nach.“ Nun aber seien der Verein und er zu dem Entschluss gekommen, den Vertrag nicht zu verlängern. „Es hat mich unglaublich stolz gemacht, ich bin unglaublich dankbar, so viele Jahre für den Klub gespielt haben zu dürfen.“
BVB-Heimspiel gegen Augsburg - Teil eins der Abschiedsvorstellung von Marco Reus
Das eigentlich ziemlich egale Heimspiel an diesem Samstag (15.30 Uhr/Sky) gegen den FC Augsburg wird dadurch plötzlich wieder bedeutungsschwer – als Teil eins von Reus‘ Abschiedsvorstellung. Vermutlich wird der 34-Jährige in die Startelf rutschen, jetzt, da den Ligaspielen keine große Bedeutung mehr innewohnt. Dortmund hat sich bereits für die Champions League qualifiziert und jede und jeder in der 600.000-Einwohner-Stadt blickt schon jetzt mit Herzrasen auf den kommenden Dienstag. Dann hat der Tabellenfünfte der Bundesliga nach dem 1:0-Hinspielerfolg die große Chance, Paris Saint-Germain aus dem Weg zu räumen und ins Champions-League-Finale in London zu springen.
„Wir haben noch ein riesiges Ziel vor Augen“, sagt Reus. „Wir wollen nach Wembley, wir wollen den Henkelpott wieder nach Dortmund holen. Deshalb ist es einfach wichtig, dass die Entscheidung gefallen ist und dass das Thema damit auch beendet ist. Und dass wir uns alle auf dieses große Ziel konzentrieren.“
Dass sich die schwarz-gelbe Zeit des Offensivspielers dem Ende nähert, dies hatte sich in den vergangenen Wochen bereits angedeutet. Die sportliche Bedeutung des langjährigen Unterschiedsfußballers hat rapide abgenommen. Wenn Reus überhaupt den Rasen betreten durfte, dann wurde er meist erst spät eingewechselt. Andere haben seine Rolle im Mittelfeld eingenommen. Allen voran Julian Brandt, aber auch Marcel Sabitzer riss die Mannschaft zuletzt mit. Trotzdem hätte der ehemalige Kapitän gerne noch ein Jahr dran gehängt. Es waren eher die Verantwortlichen beim BVB, die zu der Überzeugung gelangt sind, dass der Weg freigemacht werden soll für neue Führungskräfte, die aus Reus‘ großem Schatten treten können.
Seit 2012 steht er in Dortmund unter Vertrag. 17,5 Millionen Euro bezahlte der damalige Doublesieger an Borussia Mönchengladbach. Und die gesamte Ära würde heute anders beurteilt werden, wenn Reus nicht gefühlt fast jeder Muskel und jede Sehne einmal gerissen wäre. Oft lag er mit schmerzverzerrtem Gesicht auf dem Boden, die glorreiche Weltmeisterschaft 2014 verpasste er, viele BVB-Spiele mussten ohne ihn angepfiffen werden. Trotzdem hatte er große Momente, im Champions-League-Finale 2013 hätte er seinen Klub fast zum wichtigsten europäischen Mannschaftstitel geführt. Mit ihm hat Dortmund einmal 78 Punkte geholt, einmal 76 Punkte, immer war der FC Bayern übermächtiger. Im vergangenen Mai schien ihn der Weg dann endlich zur ersehnten Meisterschaft zu führen. Stattdessen: wieder Tränen.
Marco Reus: Ein Sinnbild für die bleiernen BVB-Jahre
Reus musste oft als Sinnbild für die bleiernen Dortmunder Jahre hinhalten. Die Erwartungen und die Gehälter stiegen mit jedem Jahr, zweimal wurde der DFB-Pokal gewonnen, aber eine weitere Meisterschale konnte nicht ins Vereinsmuseum gestellt werden. Einige kreideten ihm, dem Großverdiener, an, in entscheidenden Spielen abzutauchen, die Schultern hängen zu lassen. Als Kapitän wirkte er zudem immer ein wenig hineingerutscht in dieses Amt. Ein geborener Unterschiedsspieler, aber keine geborene Führungskraft, keiner für staatstragende Worte, keiner für mitreißende Reden. Hängen blieb vor allem sein „Mentalitätsscheiße“-Interview.
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Und nun? Marco Reus hat zwei Töchter, die Familie lebt im Dortmunder Süden, trotzdem könnte es ihn ins Ausland ziehen. Er suche „nach einem neuen Abenteuer“, heißt es in der Vereinsmitteilung. Ein Angebot aus Saudi-Arabien hat der Dortmunder schon einmal abgelehnt, wahrscheinlicher ist ein Wechsel in die USA. Der Name Reus sorgt weiterhin für Begeisterung. Es existiert sogar ein Gedichtband über ihn, „On Marco Reus“ heißt es, eine Hommage, entstanden im englischen Sheffield. Der BVB verliert seinen derzeit einzigen Weltstar.
„Wir hoffen sehr, dass er im Anschluss an seine Profikarriere zurückkehren wird, denn hier in Dortmund warten genug spannende Aufgaben auf ihn“, sagt Geschäftsführer Hans-Joachim Watzke.
Marco Reus zu den BVB-Fans: „Wir sehen uns“
Zunächst aber bleiben drei Ligaspiele und vielleicht sogar das Champions-League-Finale im Londoner Wembleystadion. Was wäre dies für ein Ende dieser großen Ära, die dann mit dem größtmöglichen Titel enden könnte. „Wir sehen uns noch ein paar Mal hier in diesem wunderschönen Stadion“, sagt Reus in seiner Botschaft. Und noch mal: „Wir sehen uns.“