Gelsenkirchen/Bergamo. Sead Kolasinac spricht im großen Interview über seinen Abschied, Tränen wegen S04 - und erklärt, welche Ikone Schalke in der Klubführung helfen könnte.

Champions League auf Schalke! Am Mittwochabend empfängt der FC Shakhtar Donetsk in der Champions-League-Ligaphase Atalanta Bergamo in der Veltins-Arena (18.45 Uhr/DAZN). Wegen des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine kann der ukrainische Meister Shakhtar seine Heimspiele nicht in der Heimat austragen und weicht deshalb nach Gelsenkirchen aus.

Einer, der sich ganz besonders auf das Spiel freut, ist Sead Kolasinac. Der Ex-Schalker ist Linksverteidiger beim amtierenden italienischen Europa-League-Sieger Atalanta Bergamo und spricht vor dem Duell im Interview mit der WAZ über seine Liebe zu Königsblau, den Abstieg in der Saison 2020/21 und seinen Schalker U19-Trainer Norbert Elgert.

Sead Kolasinac, wie groß ist die Freude, dass Sie mit Atalanta Bergamo Champions League in Ihrem alten Wohnzimmer spielen dürfen?

Kolasinac: Schon seit der Auslosung riesengroß. Als feststand, dass wir auf Schalke spielen, haben mir viele Leute geschrieben: Seo, wir sehen uns auf Schalke!

Und wie viele von denen haben Sie um Karten gebeten?

Kolasinac: Um die 30 Karten habe ich ganz sicher besorgt. Besonders stolz bin ich darauf, dass meine Tochter ein Spiel ihres Vaters in der Veltins-Arena miterleben kann. Sie ist vier Jahre alt und ich erzähle ihr oft von Schalke.

Mit Atalanta Bergamo gewann Sead Kolasinac in der vergangenen Saison die Europa League.
Mit Atalanta Bergamo gewann Sead Kolasinac in der vergangenen Saison die Europa League. © firo Sportphoto / dppi | Jean Catuffe

Sead Kolasinac über Schalke: „Schaue wirklich jedes Spiel“

Und wer bekommt nach dem Spiel Ihr Trikot?

Kolasinac: Mich hat tatsächlich noch niemand gefragt. Das kann eigentlich nur daran liegen, dass jeder denkt, dass mich schon viele danach gefragt haben (lacht). Ich werde das Trikot meinem Vater geben, dem ich sehr viel zu verdanken habe. Er ist am Mittwoch natürlich auch dabei.

Ist die Veltins-Arena Ihr Lieblingsstadion?

Kolasinac: Klar, Schalke ist meine Nummer eins. In der Arena durfte ich meine ersten Schritte im Profifußball gehen. Hier ist der Verein zu Hause, für den mein Herz schlägt. Immer volle Hütte, immer fantastische Stimmung. Aber auch das Emirates Stadium von Arsenal oder das Stade Vélodrome von Olympique Marseille sind Stadien, in denen die Fans alles für ihre Mannschaft geben und die mir ans Herz gewachsen sind.

Hat Atalanta am Mittwoch bei den Fans den Sead-Kolasinac-Vorteil?

Kolasinac: Meine Mannschaftskollegen haben mir genau die gleiche Frage gestellt. Ich hoffe natürlich, dass am Mittwochabend auch viele Schalker kommen und mich und somit Atalanta anfeuern.

Weit entfernt von der Champions League ist hingegen Schalke. Verfolgen Sie die Spiele Ihres Ex-Klubs in der 2. Liga?

Kolasinac: Ja, ich schaue wirklich jedes Spiel. Auch am Samstag habe ich nach unserem 1:1 in Bologna sofort auf mein Handy geschaut und mich riesig über den Sieg in Münster gefreut. Auch mir sind Steine vom Herzen gefallen.

Erfolgreich auch beim FC Arsenal. Sead Kolasinac (vorne, hier mit Granit Xhaka) stand zwischen 2017 und 2022 bei den Gunners unter Vertrag.
Erfolgreich auch beim FC Arsenal. Sead Kolasinac (vorne, hier mit Granit Xhaka) stand zwischen 2017 und 2022 bei den Gunners unter Vertrag. © dpa | Kirsty Wigglesworth

Schalke: Sead Kolasinac wollte S04 nach dem Abstieg nicht verlassen

Haben Sie noch viel Kontakt zum Verein?

Kolasinac: Leider kaum, denn aus meiner Zeit sind ja gar nicht mehr so viele Personen auf Schalke tätig. Den engsten Kontakt habe ich zu Norbert Elgert. Er ist nach wie vor mein Mentor und einer meiner wichtigsten Ratgeber. Der Trainer, wie ich ihn immer noch nenne, meldet sich nicht nur bei mir, wenn es mir gut geht oder ich Erfolg habe. Egal, in welcher Krise ich bislang auch gesteckt habe: Er hat es geschafft, dass ich stärker zurückgekommen bin.

Apropos Krise: Im Januar 2021 sind Sie von Arsenal London auf Leihbasis für ein halbes Jahr zurück nach Schalke gekommen, sind sofort Kapitän geworden. Den Abstieg verhindern konnten aber auch Sie nicht.

Kolasinac: Die fünf Monate waren unglaublich enttäuschend - für mich persönlich und für den ganzen Verein. Es gab viele Leute, die mir dringend von dem Wechsel abgeraten haben. Ich wollte aber unbedingt zurück und helfen, das Ruder doch noch rumzureißen. Nach ein paar Tagen habe ich aber schon gespürt, dass in der laufenden Saison kaum was zu retten sein wird. Für mich stand nach dem Abstieg fest, dass ich Schalke so nicht verlassen will. Ich wäre auf jeden Fall mit in die 2. Liga gegangen. Der Verein hat mir in der Sommerpause aber mitgeteilt, dass ich in der Kaderplanung keine Rolle spiele.

Ist der Abstieg mit Schalke bislang der bitterste Moment Ihrer Karriere?

Kolasinac: Der bislang bitterste Moment ist der Tag, als ich mir im August 2014 beim Spiel in Hannover das Kreuzband gerissen habe und neun Monate ausgefallen bin. Das hat mir als junger Spieler den Boden unter den Füßen weggerissen. Aber gleich danach folgt der Abstieg mit Schalke, ganz klar.

Sead Kolasinac: 141-mal für Schalke am Ball

Sead Kolasinac kam im Januar 2011 aus der Jugend des VfB Stuttgart nach Schalke. 2012 wurde er mit der Schalker U19 Deutscher Meister. Sein erstes Bundesligaspiel für die Profis absolvierte der 58-malige Nationalspieler Bosnien-Herzegowinas im September 2012.

Im Sommer 2017 wechselte er zu Arsenal London, kam im Januar 2021 auf Leihbasis für ein halbes Jahr zurück zu den Königsblauen. Im Januar 2022 ging es zu Olympique Marseille. Seit Sommer 2023 steht Sead Kolasinac bei Atalanta Bergamo unter Vertrag. Für die Schalker Profis absolvierte er insgesamt 141 Partien und erzielte fünf Tore.

Schalkes Wiederaufstieg: Tränen und Jubel bei Sead Kolasinac

Bereuen Sie es im Nachhinein, zurückgekommen zu sein?

Kolasinac: Nein, ich habe noch nie etwas bereut und bereue auch diese fünf Monate nicht.

Was macht Schalke so einzigartig?

Kolasinac: Schalke liebt oder hasst man: Ich liebe Schalke halt. Es gibt unzählig viele Menschen, die ihr letztes Hemd für den Verein geben. Die Arena ist immer voll und selbst jetzt in der 2. Liga fahren mehr als 10.000 Fans mit zu den Auswärtsspielen. Das gibt es nicht oft. Wie sehr die Kraft der Fans gefehlt hat, hat man in Corona-Zeiten gesehen, als die Stadien leer waren. Wie groß der Zusammenhalt ist, hat man dann wiederum beim direkten Wiederaufstieg erlebt.

Wo haben Sie den Wiederaufstieg erlebt?

Kolasinac: Am Tag des Spiels gegen St. Pauli hatte ich mit Olympique Marseille ein Spiel in Lorient. Im Hotelzimmer habe ich sofort eingeschaltet, das Spiel lief auf meinem Handy allerdings etwas zeitverzögert. Schon kurz vor Abpfiff haben mich Freunde aus der Arena per FaceTime angerufen. Wir haben zusammen geweint und dann zusammen gejubelt. Sogar ziemlich laut.

Sead Kolasinac im Trikot von seines Herzensklubs Schalke 04.
Sead Kolasinac im Trikot von seines Herzensklubs Schalke 04. © FUNKE Foto Services | Tim Rehbein/RHR-FOTO

Sead Kolasinac wünscht sich Norbert Elgert in der Schalke-Führung

Wer könnte dem Verein helfen, wieder in die Spur zu finden?

Kolasinac: Wie bereits erwähnt, schätze ich Norbert Elgert sehr und kann nicht verstehen, dass seine Kompetenzen in der Profiabteilung nicht genutzt werden. Er ist der beste Ausbilder der Welt, macht jeden Spieler besser und es wird kaum jemanden auf Schalke geben, der eine so starke Verbindung mit dem Verein und den Fans hat. Er ist ein absoluter Leader und sehr charakterstark. Ich denke, das ist genau das, was der Verein in der Führungsetage jetzt gut gebrauchen kann.

2017 standen Sie, als Sie gelbgesperrt waren, bei einem Auswärtsspiel mit S04-Fischerhut und Oldschool-Jacke zwischen den Ultras. Ist es möglich, Sie erneut im Fanblock zu sehen?

Kolasinac: Absolut! Die Sachen trage ich ab und zu noch Zuhause und von meinen Jungs bekomme ich auch immer noch die neuesten Shirts geschickt. Ich gebe aber zu, dass ich die Spiele mittlerweile lieber von einem Sitzplatz aus verfolge – vor allem dann, wenn ich vorher selbst gespielt habe. Es ist aber genauso gut möglich, dass ich spontan sonntags bei der U19 vorbeischaue.

Mit Fischerhut im Schalke-Fanblock: Sead Kolasinac macht aus seiner Liebe zu S04 keinen Hehl.
Mit Fischerhut im Schalke-Fanblock: Sead Kolasinac macht aus seiner Liebe zu S04 keinen Hehl. © firo Sportphoto | firo Sportphoto/ Christopher Neundorf

Sie sind 31 Jahre alt. Können Sie sich vorstellen, ein weiteres Mal nach Schalke zurückzukehren?

Kolasinac: Wenn ich gesund bleibe, will ich auf jeden Fall noch ein paar Jahre spielen. Unter bestimmten Voraussetzungen kann ich mir das aber natürlich vorstellen. Aber eine Rückkehr wäre ja auch nach meiner Laufbahn denkbar.

Inwiefern?

Kolasinac: Ich habe Norbert Elgert schon ein paar Mal gesagt, dass er auf jeden Fall noch einige Jahre U19-Trainer bleiben muss, weil ich unbedingt sein Co-Trainer werden möchte. Er lacht dann immer und sagt, dass er mir das nicht versprechen kann.

Schalke 04 – Mehr News und Hintergründe: