Herning. 18 Paraden von Andreas Wolff hieven die deutschen Handballer ins WM-Viertelfinale. Dort erwartet der Torhüter eine Leistungssteigerung.

Wenn Andreas Wolff mehr zu tun bekommt, als ihm lieb ist, erfahren das seine Mitspieler. Erst recht, wenn der Torwart der deutschen Handball-Nationalmannschaft seine Chancen zur Abwehr eines Wurfs minimiert sieht, weil die Vorderleute ihren Deckungspflichten nicht ausreichend nachkommen. Bei der Weltmeisterschaft in Dänemark sah das bisher so aus, dass der 33-Jährige noch für einen Moment auf dem Hallenboden der Jyske Bank Boxen sitzenblieb, in Richtung Mannschaftsbank seinen Unmut kundtat. Im zweiten WM-Hauptrundenspiel am Donnerstagabend verhinderte der Europameister von 2016 satte 18-mal einen Einschlag, 42 Prozent der italienischen Würfe parierte der 1,98-Meter-Koloss. Umso mehr verblüffte Andreas Wolff, als er nach dem 34:27 über das Überraschungs-Team des Turniers sagte: „Das hat phasenweise Spaß gemacht.“

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Damit drückte der Torhüter des THW Kiel nicht allein seine Erleichterung über den Verbleib im Turnier aus, Deutschland ist Platz zwei hinter Dänemark und damit das Viertelfinale am 29. Januar in Oslo nicht mehr zu nehmen. Wolffs Worte waren aber auch voller Anerkennung, weil er und sein Gegenüber sich ein packendes Giganten-Duell auf dieser so wichtigen Position geliefert hatten. „Er spielt schon ein herausragendes Turnier“, sagte der Schlussmann über Italiens Domenico Ebner, der sich in der Bundesliga seine Meriten und sein Geld beim SC DHfK Leipzig verdient.

So haben ihn Bundestrainer Alfred Gislason und die deutschen Handball-Fans am liebsten: Andreas Wolff ballt nach einer Parade gegen Italien die Hand zur Faust.
So haben ihn Bundestrainer Alfred Gislason und die deutschen Handball-Fans am liebsten: Andreas Wolff ballt nach einer Parade gegen Italien die Hand zur Faust. © dpa | Sören Stache

„Er hat gezeigt, dass er unsere Jungs gut kennt“, so Wolff, der froh war, dass Franz Semper im zweiten Durchgang dessen Leipziger Teamkollegen fünfmal „richtig einen einschenken“ konnte. Ebner, seit acht Jahren mit italienischem Pass ausgestattet mit einer der besten Keeper in Herning, kam nach dem für ihn emotionalen Duell mit seinem Geburtsland aus dem Grinsen nicht mehr heraus: „Ich bin stolzer Deutscher, aber auch stolzer Italiener“, sagte der 30-Jährige, der sich vom 27:34 nicht das WM-Märchen der Squadra Azzurra kaputtreden lassen wollte: „Wir haben zwei Spiele verloren – gegen die Mannschaften, die letztes Jahr im Olympia-Finale standen. Von was reden wir? Woher kommen wir?“

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Es war bei diesem erst sechsten Vergleich zwischen den beiden Ländern klar, dass vieles auf die Torhüter ankommen würde. Alfred Gislason quittierte Wolffs Leistung mit dem Label „überragend“, was gleichermaßen für Ebners nur zwei weniger gezählte Paraden gelten musste. In diesen sah der Bundestrainer jedoch eher einen Kritikansatz bei seinen Spielern: „Wir haben wieder 19 Fehlwürfe – das kann uns noch viel kosten.“ Grundsätzlich weiß der 65 Jahre alte Isländer, dass er sich auch am Samstag (20.30 Uhr/ZDF) im letzten Hauptrundenspiel gegen Tunesien und dann in der K.-o.-Phase auf ein starkes Duo, Andreas Wolff und David Späth (entschärfte gegen Tschechien 47 Prozent der Torabschlüsse) verlassen kann. „Wer anfängt, zeigt in der Regel eine gute Leistung. Und wenn es mal nicht läuft, ist sofort der andere da, auf den man sich verlassen kann“, skizzierte Wolff das Zusammenspiel mit Späth. „Ich bin froh, dass ich so einen überragenden Mann an meiner Seite habe.“

Johannes Golla (links) und Timo Kastening (2. von rechts) leisten die Vorarbeit, damit Andreas Wolff (rechts) glänzen kann: Italiens Davide Bulzamini kann den Wurf nicht mit einem Tor abschließen.
Johannes Golla (links) und Timo Kastening (2. von rechts) leisten die Vorarbeit, damit Andreas Wolff (rechts) glänzen kann: Italiens Davide Bulzamini kann den Wurf nicht mit einem Tor abschließen. © dpa | Sören Stache

Das Torhüter-Duo wird erst recht von Bedeutung sein, wenn am Sonntag der Spielort gewechselt wird, Dänemark und Deutschland mit einer Chartermaschine vom Midtjylland Airport in Karup in Norwegens Hauptstadt übersetzen. Die Gruppe 3, aus der sich der Viertelfinalgegner rekrutiert, ist noch sehr offen, am ehesten landet Portugal, Schweden oder Spanien am Ende auf Rang eins. So oder so, befand Franz Semper nach seinem ersten WM-Einsatz, „geht es jetzt ans Eingemachte“.

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Die deutsche Turnier-Malaise, in den ersten 30 Minuten oftmals zurückzuliegen, den eigenen Ansprüchen nicht zu genügen, nerve alle, sagte der 27-Jährige, „es ist ja keine schlechte Eigenschaft, wenn man in der zweiten Halbzeit aufdrehen kann.“ Andreas Wolff will sich darauf aber nicht in Oslo verlassen müssen: „Ich weiß nicht, woran das liegt. Es wäre gut, wenn wir das im Viertelfinale vermeiden würden“, sagte der Torhüter über die dauerhaften Probleme in den ersten 10, 20 Minuten. „Das gilt es aufzuarbeiten, dass wir auch mal ein Spiel von Anfang an mit voller Kraft spielen, um gegen stärkere Gegner nicht in Rückstand zu geraten.“

Nun aber erst einmal Tunesien und die Frage, wie mit dieser sportlich bedeutungslosen Partie umgegangen wird. Alfred Gislason will am Samstag Vielspieler wie dem ausgelaugten Renars Uscins, dem immer stärker werdenden Julian Köster und Johannes Golla eine Verschnaufpause gönnen, außerdem muss Juri Knorr noch gesund werden. „Wir machen da aber kein Freundschaftsspiel draus“, sagte der Bundestrainer, „es geht ja auch darum, sich ein bisschen für das Viertelfinale einzuspielen.“ Andreas Wolff bezeichnete die fünf Tage bis zum K.-o.-Spiel als „zweischneidiges Schwert“, man müsse jonglieren zwischen Spannungsabfall und Erhalten der Betriebstemperatur. „Die Trainer werden sich schon ihre Gedanken machen“, sagte er. Ohne dabei auf dem Boden zu sitzen und grimmig dreinzublicken.