Herning. Deutschland und Italien spielen bei der Handball-WM ums Viertelfinale. Domenico Ebner singt beide Hymnen – hält aber nur für ein Land.
Auch Domenico Ebner hat das in seiner Handball-Karriere erfahren: Es gibt so viele Faktoren neben Talent und Fleiß, die über die Karriere eines Sportlers entscheiden. Sich in seinem Umfeld wohlzufühlen, sich gut zu entwickeln, gehört dazu. Weshalb sich der Torwart der italienischen Handball-Nationalmannschaft insgeheim einen Anteil an der rasanten Entwicklung des potenziellen Irgendwann-mal-Weltstars der deutschen Auswahl hat.
Handball-WM: Wie Domenico Ebner den Werdegang von Renars Uscins beeinflusste
Auch interessant
Als Renars Uscins, der Irgendwann-mal-Weltstar in spe, im Sommer 2022 zur TSG Hannover-Burgdorf kam, „habe ich mich um ihn gekümmert“. Sagt der italienische Torhüter, was man beim Vornamen Domenico vermutet, beim Nachnamen Ebner weniger. Der Vater kommt aus Deutschland, die Mutter, die ihn vor 30 Jahren in Freiburg zur Welt brachte, aus Apulien. Vor zweieinhalb Jahren spielte Ebner auch für die TSG in der Bundesliga und traf dort auf Uscins. „Ich sollte ihn einleben, wir waren oft Kaffee trinken, haben uns abends getroffen. Renars kannte ja niemanden in Hannover.“ Einen Beitrag zu den großartigen Leistungen des mittlerweile 22 Jahre alten Shootingstars im deutschen Handball bei der Heim-EM oder dem olympischen Turnier im vergangenen Jahr würde Domenico Ebner, das wird dieser Tage bei der Weltmeisterschaft im dänischen Herning klar, nie für sich reklamieren. Nur die Freundschaft zu Uscins, „deswegen freue ich mich ja so auf dieses tolle Duell“.
Wenn Deutschland und Italien an diesem Donnerstag (18 Uhr/ZDF) im zweiten WM-Hauptrundenspiel in der Jyske Bank Boxen aufeinandertreffen, wird die emotionale Komponente der Partie von der niemals für möglich gehaltenen sportlichen Bedeutung bei jeweils 4:2 Punkten überlagert. Die Auswahl von Bundestrainer Alfred Gislason kann mit einem Sieg ihre Teilnahme am Viertelfinale in Oslo klarmachen, stimmt. Titelverteidiger Dänemark ist ab 20.30 Uhr dazu bestimmt, mit einem Sieg gegen die Schweiz die erweiterten Fakten dafür zu schaffen.
Handball-WM: Fünf Länderspiele zwischen Deutschland und Italien - fünf deutsche Siege
Auch interessant
Die Deutschen können allerdings im Falle einer Niederlage aus dem Titelrennen ausscheiden. Was unbedingt zu verhindern wäre, betonten sämtliche DHB-Spieler, als sie sich am Dienstagabend von der 30:40-Lehrstunde gegen die Dänen wieder aufrichteten. Wie, ist Kapitän Johannes Golla egal, „Hauptsache, wir kriegen eine bessere Leistung hin“. Linksaußen Timo Kastening, der die deutsche Siebenmeterkrankheit in Herning mit sechs Treffern besiegte, fordert op Platt seine Kollegen auf, an ihre Allerwertesten zu denken: „Wir kriegen jetzt alle den Pöter hoch.“ Und dann? „Gewinnen“, erst gegen Italien, am Samstag gegen Tunesien, „und ins Viertelfinale einziehen.“
Das Selbstverständnis des olympischen Silbermedaillengewinners rechtfertigt diese Forderungen allemal. Schließlich sind die Azzurri erst zum zweiten Mal bei einer WM, 1997 wurden sie 18. in Japan. Ein Jahr später, bei der EM in Meran und Bozen, traf Italien das bisher letzte von fünf Malen seit 1984 (alles Niederlagen) auf Deutschland. Die Herren Fußballer beider Nationen standen sich übrigens bereits 37 Mal gegenüber, mit mehr Siegen für Italien (15) als Deutschland (9). Jürgen Prantner, heute Assistent von Handball-Nationaltrainer Riccardo Trillini, war am 30. Mai 1998 selbst auf der Platte, als es gegen die nördlich des Brenners ansässige Übermacht um Daniel Stephan und Stefan Kretzschmar ein 18:26 gab. Golla war damals ein halbes Jahr alt, hat also keine persönliche Erfahrungen mit Italien: „Ich kenne ein paar Jungs aus der Bundesliga, muss mich noch schlau machen. Aber wir müssen endlich mal eine gute Leistung von der ersten bis zur letzten Minute zeigen und das Viertelfinale klarmachen.“
Bundestrainer Alfred Gislason über Italien bei Handball-WM: „längst kein Fallobst mehr“
Auch interessant
Besagter Jürgen Prantner ermöglichte, dass der inzwischen beruflich zum SC DfHK Leipzig weitergezogene Domenico Ebner die schönste WM-Geschichte maßgeblich mitschreibt. Via Facebook warb er den Torhüter 2017 für das Pallamano-Team, wie Handball in Italien genannt wird, an. Ebners erster Medizincheck sei deutschen Tests nicht würdig gewesen, die Trikots hätten sich wie aus Plastik angefühlt. Aber: „Italien hat eine Sportart wiederentdeckt, die 30 Jahre in Vergessenheit geraten war“, sagte der Torhüter vor seinen 14 Paraden beim 25:18 über Tschechien. „Acht Jahre habe ich gekämpft, dass Strukturen und Trainingsbedingungen professioneller werden. Mein Traum, einmal bei einem Turnier gegen Deutschland zu spielen, wird real – und ich möchte nicht böse aus ihm erwachen.“
Ebners Mannschaft, für Alfred Gislason „längst kein Fallobst mehr“, werde dem Favoriten zeigen, keine Eintagsfliege zu sein: „Wenn man sieht, wie clever die Jungs schon sind, welches Spielformat wir haben, zeigt das unsere Variabilität, unser Können, unsere Mentalität.“ In der Qualifikation für die nächste Europameisterschaft ist Italien so gut dabei, dass es 2026 erneut nach Herning reisen dürfte. „Die dänischen Fans haben uns in ihre Herzen geschlossen, weil wir mit Spaß spielen und ein bisschen Dolce Vita mitbringen.“
Handball-WM: Ebner singt beide Hymnen – bis die Italiener ihm „einen in die Rippen verpassen“
Auch interessant
Emotional ist Domenico Ebner ein Vollblut-Italiener, kommunikativ ein Deutscher. „Hm, Grammatik und Wortschatz“, grummelt er, seien noch nicht so gut. Für den Text von „Fratelli d’Italia“ könne man ihn aber im Schlaf wecken, „ein Italiener, der die Hymne nicht mitsingt? Das grenzt an Hochverrat.“ Weil zwei Herzen in seiner Brust schlagen, werde er am Donnerstag auch „Einigkeit und Recht und Freiheit“ anstimmen. Jedenfalls so lange, bis ihm die Mannschaftskollegen „einen in die Rippen verpassen“. Also die italienischen. Renars Uscins steht ja etwas weiter von Domenico Ebner entfernt.