Hagen. Städte wurden gegründet, um sie kurze Zeit später wieder aufzulösen. Bürger protestierten auch mit Traktoren und Mähdreschern.

Von einer regelrechten „Planungseuphorie“ sprechen Historiker, wenn sie auf die Jahre der Kommunalen Neugliederung von Mitte der 1960er-Jahre bis 1975 schauen. Es wurden geradezu radikal neue Städte gegründet, die aber teils auch recht schnell wieder verschwanden, Zugehörigkeiten von Gemeinden wechselten teils mehrfach. Aus ganz Südwestfalen gäbe es dazu Geschichten zu erzählen. Hier nur sechs Beispiele:

1. Am 1. Juli 1966 wurde im Kreis Siegen die Stadt Hüttental mit gut 39.000 Einwohnern gegründet, die aus Weidenau und einer Reihe weiterer Gemeinden bestand. Doch diese existierte keine zehn Jahre. Am 1. Januar 1975 ging die Stadt im Zuge der Gebietsreform in der Stadt Siegen auf – und bildete dort die Bezirke Geisweid und Weidenau.

2. Der Kreis Olpe, wie wir ihn heute mit seinen sieben Kommunen kennen, wurde bereits 1969 durch ein eigenes Gesetz geformt – teilweise durch Eingemeindungen von Dörfern aus dem Kreis Meschede. Erst damals entstanden Kommunen, deren Namen heute selbstverständlich erscheinen: Finnentrop und Lennestadt. Olpe ist heute der nach der Einwohnerzahl kleinste Kreis in NRW.

3. Auch die Stadt mit dem Namen Bigge-Olsberg im damaligen Kreis Brilon hatte nur eine kurze Geschichte. Sie war am 1. Juli 1969 aus dem Zusammenschluss der beiden bisher selbstständigen Gemeinden entstanden. Doch im Zuge der Kommunalen Neugliederung kamen zum 1. Januar 1975 weitere Ortsteile hinzu – und die Stadt Olsberg entstand. Bigge verschwand aus dem Namen.

Mehr zum Thema

4. Mit Neheim-Hüsten verschwand zum 1. Januar 1975 eine Stadt, die immerhin fast 44 Jahre existierte – nachdem 1941 Neheim und Hüsten fusioniert hatten – und fast 36.000 Einwohner zählte. Sie ging in der Stadt Arnsberg auf, die so zur größten im neuen Hochsauerlandkreis wurde. Damit sollte auch gesichert werden, dass Arnsberg weiter Sitz der Bezirksregierung bleibt.

5. Das Hin und Her dieser Jahre der Planungseuphorie zeigt sich auch an Breckerfeld im Ennepe-Ruhr-Kreis. Im ersten Zug der Gebietsreform wurden kleine Gemeinden aus dem bisherigen Amt aufgelöst, es entstand im Jahr 1970 die Stadt Breckerfeld mit rund 13.000 Einwohnern. Doch knapp fünf Jahre später sollte diese dann schon wieder Geschichte sein: Breckerfeld sollte der Großstadt Hagen zugeschlagen werden, es kam zu heftigen Protesten. 1358 Breckerfelder zogen im Spätsommer 1974 nach Hagen, um gegen die drohende Eingemeindung der Hansestadt zu demonstrieren - mit 528 Fahrzeugen, darunter Traktoren und Mähdrescher. Das war zum Teil erfolgreich. Breckerfeld ist auch heute noch eine eigenständige Stadt, musste allerdings doch größere Teile des Volmetals an Hagen abgeben. Die Einwohnerzahl wurde damals mehr als halbiert und lag nur noch bei 6000.

6. Dass im Zuge der „Planungseuphorie“ alte historische Begebenheiten nicht immer eine Rolle spielten, bekam man auch in Wittgenstein zu spüren: Die Höhendörfer Hoheleye, Mollseifen, Neuastenberg und Langewiese waren seit ihrer Gründung 1713 Teil Wittgensteins und des Amtes Berleburg. Doch die vier Ortschaften mussten gegen viele Widerstände an die Stadt Winterberg und den Hochsauerlandkreis abgegeben werden.