Arnsberg/Ennepetal. Der Ost-Erfolg der Rechtspopulisten stößt auch tief im Westen auf Verständnis: Etwa in der Heimatstadt von Friedrich Merz.

Weit weg ist der Osten, weit weg sind die AfD-Wahlerfolge in Sachsen und Thüringen. Oder doch nicht? Verständnis und Sympathie gibt es auch tief im Westen bei uns in Südwestfalen. Das zeigt eine Zufallsbefragung unserer Redaktion am Tag nach den Landtagswahlen in Sachsen und Thüringen. Aber auch die entsetzten Stimmen werden laut. Umgehört haben wir uns unter den 80.000 Einwohnern in Arnsberg, der Heimatstadt von CDU-Chef Friedrich Merz im Sauerland. Und unter den 30.500 Einwohnern in Ennepetal am Rande des Ruhrgebiets.

Tief im Sauerland: So denken Menschen in Arnsberg

Na klar, hier in Arnsberg ist die CDU noch eine Macht: 39,3 Prozent holte sie bei der Europawahl im Juni in der Heimatstadt ihres Vorsitzenden Friedrich Merz. Aber 13 Prozent sichert sich damals auch die rechtspopulistische AfD - tief im gut-bürgerlichen Sauerland. Und Verständnis gibt es auch weiter für die Partei.

Etwa bei Jörg Bahle. Der Arnsberger hat 38 Jahre auf dem Bau gearbeitet. „Solange, bis die Gesundheit nicht mehr mitmachte, dann habe ich umgeschult auf Maschinenführer“, sagt der 68-jährige Sauerländer. Den Rentner haben die Wahlergebnisse in Thüringen und Sachsen nicht überrascht: „Es war vorauszusehen. Die Ampel hat katastrophal regiert, besser gesagt, nicht regiert.“ Die Migrationspolitik sei seit Angela Merkel in die „falsche Richtung ausgeufert“. „Nichts gegen Ausländer, aber dann bekommen wegen Vergewaltigung verurteilte Afghanen vor ihrer Abschiebung in ihre Heimat noch 1000 Euro vom deutschen Staat. Das ist doch nicht zu fassen angesichts der hohen Sozialausgaben, die jeder Bürger zu tragen hat.“ Dass das Handgeld für die Abgeschobenen der Rechtssicherheit dient, damit sie sich wegen „Verelendung“ nicht mehr einklagen können, kommentiert er nicht. Für Bahle sind die Stimmen für die AfD im Osten zu 60 Prozent Protest. Die Bundesregierung zwinge immer mehr Bürger, die AfD zu wählen. Er jedenfalls würde der AfD eine Chance geben. „Friedrich Merz“, sagt er, „soll sich der AfD öffnen.“

„Ich habe jedenfalls keine Angst, eines Morgens in einer faschistischen Diktatur aufzuwachen.  So weit kommt es nicht.“

Reimund Stögbauer
Radfahrer aus Bochum

In voller Radlermontur ist Reimund Stögbauer aus Bochum in Arnsberg angekommen. Der ehemalige Narkosearzt kann das Wahlergebnis mit dem guten Abschneider der AfD nachvollziehen: „Es fehlt an einer Politik, die Nachhaltigkeit verspricht.“. Als Beispiel nennt der 66-Jährige den Ausstieg aus der Atomkraft. „Das macht ohne ausgebautes Netz von erneuerbarer Energie, keinen Sinn.“ In unsicheren Zeiten wendeten sich viele Bürger denen zu, die am lautesten brüllten. „Und das ist zurzeit die AfD.“ Für ihn, ehemaliger Sozialdemokrat, seien die Politiker rund um Björn Höcke „Rattenfänger“. Wer mehr als 30 Prozent der Wahlstimmen bekomme, müsse aber auch ernst genommen werden. „Die Wähler der AfD können nicht alle verrückt sein.“ Deutschland sei eine erwachsene Demokratie, die könne aus Fehlern lernen. „Ich habe jedenfalls keine Angst, eines Morgens in einer faschistischen Diktatur aufzuwachen. So weit kommt es nicht.“

„Ich bin wütend, ich fühle mich alleingelassen.“

Sabrina Mielke
wählt die AfD

Sabrina Mielke (36), alleinerziehende Mutter, sucht seit zwei Jahren in Arnsberg eine neue Wohnung. „Ich lebe im Dachgeschoss.“ Die Wohnung sei zu klein, im Sommer sei es zu warm. Ukrainerinnen hätten dieses Problem nicht, denen werde schnell geholfen, eine Wohnung zu finden. „Ich wähle die AfD“, sagt sie. Sie habe Migranten als Freunde, aber Deutschland könne „nicht jedem Ausländer helfen“. Wenn durch ein Erstarken der AfD die Migrationsflut gestoppt werde, sei das „eine gute Sache“. „Ich bin wütend, ich fühle mich alleingelassen.“ Ändere sich in der Politik nichts, werde sie „erneut AfD wählen“. Ihr Vater, Horst Mielke (73), pflichtet ihr bei: „Arnsberg ist eine ausländerfreundliche Stadt, aber das Attentat von Solingen zeigt, dass selbst ein Umdenken in der Migrationspolitik bei der CDU zu spät kommt.“

„Ich weiß nicht, ob sie alles besser machen würden, aber die anderen Parteien haben ihre Chance gehabt.“

Adrian Kroll
wählt die AfD

Der Ansicht ist auch Adrian Kroll. Der 37-jährige Koch aus Arnsberg wählt die AfD. „Ich weiß nicht, ob sie alles besser machen würden, aber die anderen Parteien haben ihre Chance gehabt. Schauen Sie sich doch mal unsere kaputten Straßen und Schulen an – und wofür das Geld wirklich ausgegeben wird.“ Für den Sauerländer, der gebürtig aus Polen stammt, gehe es „nicht schlimmer“. Er selbst findet Friedrich Merz „okay“. Die CDU unter Merz sei auf dem richtigen Weg, aber „das Gesamtpaket“ stimme für ihn „eher bei der AfD“. Die CDU sollte mit der AfD zusammenarbeiten. Für den Koch wäre eine solche Koalition „ein Traum“, das sei es, „was Deutschland braucht“. Die AfD nur auf die extreme rechte Schiene zu setzen, findet Kroll nicht fair. „Und Nazis“, sagt er, „gibt es überall, auch in anderen Parteien.“

„Diese dummen Wähler, die wissen gar nicht, was sie anrichten.“

Hildegard Thor (86)
entsetzen die Wahlergebnisse in Ostdeutschland

Hildegard Thor hingegen ist entsetzt über die guten Wahlergebnisse der AfD in Sachsen und Thüringen. „Das ist ganz schrecklich. Wie zur Hitlerzeit“, sagt die 86-Jährige, die in Begleitung ihres Mannes in der Neheimer Fußgängerzone unterwegs ist. Die AfD habe ein verachtendes Menschenbild. „Auch das gute Abschneiden der Putin-Freundin (Sahra Wagenknecht/BSW) kann ich kaum fassen.“ Die Seniorin hat Angst, dass sich Geschichte wiederholt. „Diese dummen Wähler, die wissen gar nicht, was sie anrichten.“ Sie schätze Friedrich Merz. „Der ist besser als alle anderen Politiker.“ Hildegard Thor hofft, dass der CDU-Chef aus ihrer Heimatstadt Arnsberg bald in Berlin regiert und „das richtet, was die Ampel so alles vor die Wand gefahren hat“. Darunter falle auch eine verfehlte Migrationspolitik.

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