Arnsberg-Neheim. Im Bund liegt die AfD im Umfragehoch. Und wie ist die Lage bei uns in der Region? Zu Besuch am Partei-Stand der AfD in Neheim – am Bioladen.
Es geht zweifelsohne mit dem Land bergab, wenn jetzt sogar die AfD Schwierigkeiten mit der deutschen Pünktlichkeit hat. Ab 10 Uhr wollte die Partei an diesem Samstagmorgen an einem Info-Stand in der Neheimer Innenstadt empfangen. Nun ist es 10:02 Uhr – und der Aufbau des AfD-Stands noch nicht abgeschlossen. Die nächste Auffälligkeit: Sie stehen hier zwischen arabischem Markt und Bioladen „Regenbogen“.
Der Standort wird in dieser Geschichte – in der es um das Hoch der AfD in bundesweiten Umfragen und ihr Wirken in Südwestfalen geht – noch eine Rolle spielen. Aber zunächst kommt Otto Strauß zu Wort, der Vorsitzende der AfD-Fraktion im Arnsberger Stadtrat.
Der 69-Jährige, Dachdeckermeister und früher mal bei den Republikanern, sagt: „Wir sind eine Volkspartei. Das kann niemand mehr bestreiten.“ Zudem kündigt er an: „Die etablierten Parteien haben sich den Staat zur Beute gemacht. Wir jagen ihnen diese Beute ab, um sie dem deutschen Volk zurückzugeben.“
In Umfragen liegt die Partei im Bund bei Werten um 20 Prozent. Wie aber sieht’s in der Region aus, die bisher keine AfD-Hochburg ist?
Jochem Hunecke, Fraktionschef der CDU im Arnsberger Stadtrat, berichtet, dass konservative Anhänger seiner Partei der AfD zuliefen. Über den Rivalen vom rechten Rand sagt er: „Die haben großen Zuspruch, das macht mir Angst.“
Sein Rats-Kollege Frank Neuhaus, stellvertretender Vorsitzender der SPD-Fraktion, sagt: „Die Umfragewerte im Bund beflügeln die AfD auch in Arnsberg. Sie sind auch hier im Aufwind, aber nicht in den Sphären, in denen sie sich wähnen.“
Die AfD im Aufwind – obwohl die Partei vom Verfassungsschutz als rechtsextremistischer Verdachtsfall eingestuft wird, wogegen sie sich juristisch wehrt.
AfD-Zollstock ist „nicht für linke Hände“
Am – inzwischen fertig aufgebauten – AfD-Stand in Neheim haben sich derweil etwas mehr als ein halbes Dutzend Partei-Vertreter versammelt, darunter auch ein Künstler. So stellt sich Gerd-Dieter Künstler vor. Für den Schriftführer des AfD-Kreisverbandes ist der Rückenwind für seine Partei „der Ampel geschuldet“ – was Otto Strauß auf den Plan ruft: „Das ist nicht nur die Ampel. Das ist nicht nur Protest. Es ist für den Bürger klar zu erkennen, dass wir gute Lösungen anbieten.“
Am Stand – den sie seit Jahresbeginn regelmäßig samstags betreiben – bieten sie Einkaufswagenchips mit D-Mark-Aufdruck auf der einen und Partei-Logo auf der anderen Seite oder Zollstöcke mit dem Slogan „Nicht für linke Hände“ an, dazu Plakate mit Parolen wie „Unsere Söhne kriegt ihr nicht. Ihr rot-gelb-grün-schwarzen Kriegshetzer“.
Was die AfD darüber hinaus anbietet, das ist eine der strittigen Fragen. Nichts oder nicht viel, antworten in Arnsberg die Rats-Fraktionen von SPD, CDU, Grünen und FDP. Das Auftreten der Rechtspopulisten im Stadtrat wird als meist zurückhaltend beschrieben. Am deutlichsten wird Grünen-Fraktionschefin Verena Verspohl. „Ich kenne keine gestalterischen Anträge der AfD, keine gestalterische Arbeit der Fraktion, nicht mal bei Kernthemen der AfD wie Zuwanderung“, sagt sie und erklärt: „Wenn sich jemand von der AfD verspricht, dass irgendetwas passiert, der wird enttäuscht.“
Nur ein Antrag in fast drei Jahren
In der seit November 2020 laufenden Wahlperiode haben die übrigen Fraktionen im Rat laut Angaben der Stadt 99 Anträge gestellt (teils fraktionsübergreifend). Die AfD hingegen: einen (alleine). Bei der Zahl der Anfragen lautet das Verhältnis: 44:12.
Die Fraktionen von CDU, SPD, Grünen und FDP sind (teils erheblich) größer. Aber erklärt das allein, dass die zwei Ratsmitglieder der AfD um Otto Strauß nur einen Antrag in fast drei Jahren einbrachten?
„Was Frau Verspohl unter ‘gestalterischer Arbeit’ versteht, ist oftmals eine zeitliche Belastung für die Verwaltung und/oder löst auch manchmal nur Kopfschütteln aus. Es werden viele Anträge gestellt, die entweder nicht weiterverfolgt werden oder mangels finanzieller Mittel von vornherein sinnlos sind“, erklärt Otto Strauß: „Wir haben eine ganze Reihe von Anfragen gestellt, die für die Finanzen und die Zukunft der Stadt eine wichtige Rolle spielen. Anträge stellen, um Aktivität zu vermitteln, ist eher kontraproduktiv.“
Eine andere Antwort auf die Frage, was die AfD in Arnsberg anbietet, findet sich außerhalb des Rates, auf der Straße.
Normalisierung über Präsenz erreichen
Weil in Neheim das Jägerfest stattfindet, ist die AfD diesmal nicht an ihrem bevorzugten Standort vor dem Dom anzutreffen. Heute stehen sie in Sichtweite des Bioladens, am Rande der Einkaufszone. Es ist wenig los, kaum ein Passant bleibt stehen. Hauptsache aber, sie sind sichtbar.
„Die AfD kann gerade durch ihre Präsenz in der Stadt und auf dem Land eine Normalisierung erreichen“, sagt die Politologin Paula Tuschling. Gehe man durch den Heimatort und sehe einen Nachbarn oder einen Arbeitskollegen am Stand der AfD, dann relativiere man vielleicht seine Haltung und nehme die AfD als normale Partei wahr. „Über Bekanntschaften und persönliche Nähe lässt sich im lokalen Raum schneller eine gesellschaftliche Etablierung erreichen“, sagt die Rechtspopulismus-Expertin der Uni Bonn.
Tuschling warnt vor der AfD und deren Strategie, über politische Institutionen eine Regierungsbeteiligung zu erreichen. Sie warnt aber ebenso vor Panikmache im Umgang mit den Rechtsaußen. Aus dem derzeitigen Zuspruch für die AfD leite sich noch keine allgemeine Stärkung der Partei ab; Zahlen der NRW-AfD zur Mitgliederentwicklung (siehe Infografik) zeigen zwar einen gewissen Zuwachs, liegen aber oft noch unter dem Niveau früherer Jahre.
Die AfD, sagt Tuschling, sei weder eine Mitglieder- noch eine Programmpartei, sondern in erster Linie eine „professionalisierte Wählerpartei“. Sie konzentriere sich auf die Wählermobilisierung und Öffentlichkeitsarbeit. Dazu gehöre etwa, dass die AfD kommunalen Wahlkampf mit bundespolitischen Themen führe, obwohl Bürgermeister oder Landräte über diese Themen gar nicht entscheiden. „Das ist für die Glaubwürdigkeit der AfD aber egal, sie kann die Konfrontation suchen und die Proteststimmung aufgreifen“, sagt Tuschling.
Es geht nicht um lokale Themen
Beim gut dreistündigen Besuch am AfD-Stand in Neheim geht es nicht um lokale Themen. Strauß, Künstler und Co. geben sich umgänglich, sie vermeiden in der Regel allzu schrille Töne. Der Ukraine-Krieg und deutsche Waffenlieferungen treiben sie um, die Zuwanderung, das Gendern, die Woke-Bewegung, Geschlechterdebatten, Sexualerziehung bereits im Kindergarten, das Bildungsniveau, die EU, Corona.
Otto Strauß, der als politisches Vorbild einen anderen Strauß (Franz Josef) und Helmut Schmidt nennt, sagt, die sexuelle Orientierung eines Menschen sei ihm egal: „Ich habe vier Kinder. Kinder brauchen Liebe, Fürsorge und Verständnis. Wenn gleichgeschlechtliche Paare das ihren Kindern geben, ist das okay. Aber dass diese Themen immer so betont werden, dieses Nach-Vorne-Stellen, das ist das Problem.“
Er sagt, sie seien keine Menschenfeinde, sie hassten keine Ausländer, „aber das Wohl Deutschlands kommt zuerst“.
Er sagt, der Einfluss anderer Kulturen könne „eine Bereicherung“ für eine Gesellschaft sein, „aber es gibt Zuwanderergruppen, die lehnen unsere Kultur ab“.
Dann sind aber auch andere Töne zu hören.
Höcke? Nur „etwas national eingestellt“
„Es ist unverantwortlich, wie wir mit Migration und dem eigenen Volk umgehen. Wir erleben Messerstechereien, Vergewaltigungen und Terror in unserem Land, Terror gegen die Zivilbevölkerung. Frau Baerbock würde sicher nicht in Berlin durch den Görlitzer Park gehen, die Tochter von Cem Özdemir auch nicht“, sagt Strauß. Oder: Die EU sei „so ein korrupter Haufen“, wenn sie nicht reformiert werden könne, „dann kommt die Abrissbirne“. Einige Äußerungen aus dem Gespräch mit dieser Zeitung gibt er nicht für die Veröffentlichung frei. Beiträge von AfD-Vertretern, die nach Verschwörungsideologien oder einem gezielten Bevölkerungsaustausch durch Massenzuwanderung klingen, treffen bei ihm und seinen Mitstreitern am Stand größtenteils auf Zustimmung.
Im Übrigen sieht Strauß im Programm seiner Partei, dem er zu 80 Prozent zustimme, nichts, was verfassungsfeindlich wäre. Ach so, Björn Höcke, der laut Gerichtsbeschluss als Faschist bezeichnet werden darf, sei nur „etwas national eingestellt“.
Und nun noch mal zum Bioladen „Regenbogen“.
„Die Grünen sind ein armseliger Haufen“
Inhaber des Bioladens ist Thomas Wälter, ehemaliger Grünen-Fraktionschef im Arnsberger Rat. Er und die AfD kamen sich unter anderem im vergangenen Jahr verbal in die Quere, wie beide Seiten bestätigen. Auslöser war wohl, dass der AfD-Stand (zu) nah am Bioladen gestanden haben soll. „Was die AfD vor meinem Bioladen macht, empfinde ich als geschäftsschädigend“, sagt Wälter. AfD-Fraktionschef Otto Strauß erklärt: „Der Inhaber des Bioladens ist ein Grüner. Die Grünen sind ein armseliger Haufen.“
Wieso der Ausweichstandort der AfD erneut am Bioladen liegt? Eine gezielte Provokation? Strauß sagt: „Den Standort zwischen Bioladen und arabischem Markt hat uns die Stadt zugewiesen.“
Die Stadt verweist auf Anfrage an die Kreispolizeibehörde. Die teilt mit, dass der Veranstalter (die AfD) „einen Alternativstandort (Engelbertstraße 9) beantragt“ habe. Engelbertstraße 9, das ist die Adresse des Bioladens. In Abstimmung mit der AfD und unter Beteiligung der Stadt Arnsberg habe man den Standort schließlich verlegt, zwei Hausnummern weiter, so die Polizei.
Ein Streifenwagen patrouilliert in der Gegend um den AfD-Stand. Ein Polizist schaut zwischendurch nach dem Rechten und den Rechten.
Diesmal bleibt alles ruhig.