Berlin. In Sachsen und Thüringen streben CDU und BSW Koalitionen an. Doch die Hürden sind hoch – und das Kalkül von Merz provoziert Ärger.

Nach den Landtagswahlen in Sachsen und Thüringen steht Deutschland vor einem riskanten Polit-Experiment: Wird die CDU wirklich zusammen mit der Partei der früheren Linken-Ikone Sahra Wagenknecht (BSW) regieren? Finden die Konservativen und die Ex-Kommunistin in Dresden und Erfurt zusammen? Beide Seiten zeigten sich am Tag nach den Landtagswahlen mangels Alternativen entschlossen, den Versuch zu wagen. Aber es wird extrem schwierig.

CDU-Chef Friedrich Merz muss neuen Streit in seiner Partei fürchten. Er kritisiert das BSW schon als „Kader-Partei“ und eine „black box“. Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU) bereitete die Bürger am Montag auf lange Koalitionsverhandlungen mit dem Bündnis Sahra Wagenknecht vor. „Es wird ein langer Prozess“, sagte Kretschmer, ähnlich beschrieb es auch der Thüringer CDU-Spitzenkandidat Mario Voigt: „So etwas entscheidet man nicht über Nacht“.

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Es wird schwierig, ist aber möglich – so der Tenor in Dresden und Erfurt. Dort, auf Landesebene gibt es bei CDU und BSW seit Monaten Überlegungen, wie ein Koalitionskompromiss aussehen könnte. In Sachsen heißt es, Beamte christdemokratisch geführter Ministerien arbeiteten schon längst an Papieren für die Koalitionsverhandlungen. Kretschmer sagt: „Wenn man die Interessen des eigenen Landes in den Mittelpunkt stellt, ist es bestimmt möglich, Schnittmengen zu finden.“

Parteienforscher: „Gibt Schnittstellen zwischen BSW und CDU“

Auch der Bonner Parteienforscher Frank Decker meint: „Es gibt durchaus Anschlussmöglichkeiten und Schnittstellen zwischen BSW und CDU“. Die CDU sei eben auch Sozialstaatspartei, Gemeinsamkeiten gebe es auch in der Wirtschaftspolitik oder bei der Migration – und beim Thema Russland und Ukraine-Krieg habe sich die CDU vor allem in Sachsen sehr weit auf das BSW zubewegt, sagt Decker unserer Redaktion.

Wagenknecht nach Landtagswahlen: "Wir haben Geschichte geschrieben"

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    Wagenknecht hatte im Wahlkampf Widerstand gegen die Stationierung von US-Raketen und einem Stopp der Waffenlieferungen an die Ukraine zur Bedingung für eine Koalition erklärt; jetzt schwebt ihr dazu als Kompromiss eine – völlig aussichtslose – Bundesratsinitiative aus Thüringen oder Sachsen vor. In Sachsen ist Kretschmer bei diesem Thema sowieso auf Wagenknecht-Linie, im Widerspruch zur Bundes-CDU.

    Und in Thüringen sagt Mario Voigt, „eine CDU-geführte Landesregierung würde sich natürlich auch für Diplomatie in diesem Land einsetzen“. Aber: „Weltpolitik wird nicht in Thüringen entschieden.“ Wagenknecht bemüht sich umgekehrt, plötzlich landespolitische Themen in den Vordergrund zu stellen: Bildung, Bürokratie, ländliche Räume, innere Sicherheit. Sie fordert für die Koalitionsvereinbarungen mehr Lehrer gegen den Unterrichtsausfall und klagt über Smartphones an den Schulen, will zusätzliche Polizisten und bessere Busverbindungen auf dem Land. Die Bürger müssten merken, dass sich schnell etwas ändere.

    Warum spricht CDU mit der früheren „Stalinistin“ statt mit AfD?

    Aber reichen rhetorische Annäherungen und Planspiele am grünen Tisch? Gegen ein funktionierendes Bündnis spricht der tiefe Graben, der die Parteien im politischen Grundsatz trennt, dass Misstrauen, langjährige Gegnerschaften. Vor allem in der sächsischen CDU, die traditionell ziemlich weit rechts agiert, sind auch die  persönlichen Vorbehalte gegen die Ex-Kommunistin und ausgewiesene Populistin Wagenknecht enorm.

    Der sächsische Ministerpräsident Michael Kretscher (CDU). Er will jetzt in einer Koalition mit BSW und SPD weiterregieren. Ob das gelingt, ist aber noch offen, Kretschmer rechnet mit langen Koalitionsverhandlungen.
    Der sächsische Ministerpräsident Michael Kretscher (CDU). Er will jetzt in einer Koalition mit BSW und SPD weiterregieren. Ob das gelingt, ist aber noch offen, Kretschmer rechnet mit langen Koalitionsverhandlungen. © dpa | Robert Michael

    Die BSW-Gründerin aber will bei den „großen Linien“ und der Richtung der Koalition mitentscheiden, wie sie am Montag betont: „Wer mit dem BSW koalieren will, muss auch mit mir sprechen.“ Doch für manche Christdemokraten ist das eine Horrorvorstellung. Warum spricht die CDU mit der früheren „Stalinistin“, aber nicht mit der AfD? „Diese Diskussion wird in der Sachsen-CDU sehr schnell aufkommen. Das Bündnis mit dem BSW ist toxisch für die CDU“, sagt ein Mitglied der Landesregierung in Dresden.

    An der kommunalen CDU-Basis in Sachsen gibt es ohnehin zunehmend Forderungen, die Brandmauer zur AfD zu schleifen. Jetzt kommt die Befürchtung hinzu, dass die AfD in der Opposition der große Profiteur eines fragilen CDU-BSW-SPD-Bündnisses werde. SPD-Spitzenkandidatin Petra Köpping wirft Wagenknecht „Betrug am Bürger und Populismus pur“ vor. Die sächsische BSW- Spitzenfrau Sabine Zimmermann versichert zwar, bei zahlreichen Themen sei sie mit Kretschmer „nicht weit auseinander“, doch unterstrich die Ex-Linke den Ruf als wenig kompromissfähige Politikerin am Montag mit der Forderung, „CDU und SPD müssen ihre Politik grundsätzlich ändern, sonst gibt es keine Koalition.“

    Als Hürde könnte sich die dünne Personaldecke des BSW erweisen

    In Thüringen ist die Lage noch komplizierter, weil eine CDU-BSW-SPD-Koalition auf Unterstützung der Linken angewiesen wäre. BSW-Frontfrau Katja Wolf gilt aber immerhin als pragmatische Realpolitikerin, die schon im Wahlkampf mit einem Regierungsamt geliebäugelt hat. Voigt schätzt Wolf als „pragmatische Kommunalpolitikerin“ und sieht inhaltliche Schnittmengen mit dem BSW.

    Der CDU-Spitzenkandidat in Thüringen, Mario Voigt, will Ministerpräsident werden.
    Der CDU-Spitzenkandidat in Thüringen, Mario Voigt, will Ministerpräsident werden. © dpa | Hannes P. Albert

    Als Hürde könnte sich die dünne Personaldecke des BSW erweisen: Wegen Wagenknechts strenger Kontrolle der Parteieintritte hat das BSW bundesweit nur 839 Mitglieder, jeweils weniger als hundert sind es in Thüringen und Sachsen. „Es ist die Frage, ob das BSW personell überhaupt die Kapazitäten für eine Regierungsbeteiligung hat“, sagt der Politikwissenschaftler Uwe Jun von der Uni Trier. Auch Wagenknecht selbst hat keinerlei Regierungserfahrung.

    Dafür steht sie unter enormem Druck: Um das BSW langfristig zu etablieren, ist die Bundestagswahl im kommenden Jahr von großer Bedeutung, die Ost-Wahlen sind für sie nur eine Zwischenetappe. Im Idealfall demonstriert die neue Partei jetzt, dass sie etwas für die Bürger durchsetzen kann – geht es schief, ist das BSW im Eiltempo entzaubert als Truppe, die zu viel versprochen hat. Wagenknecht würde auch die Kontrolle über den Aufbau der Partei verlieren, wenn in Sachsen und Thüringen BSW-Funktionäre Ministerposten besetzen und eigenes Personal rekrutieren. Gut möglich, dass Wagenknecht die Koalitionsverhandlungen am Ende lieber scheitern lässt.

    Das Kalkül von CDU-Chef Friedrich Merz könnte nicht aufgehen

    Das alles weiß auch Merz: Er hatte im Juni noch versucht, CDU-Bündnisse mit dem BSW (Merz: „Sie ist in einigen Themen rechtsextrem, in anderen wiederum linksextrem“) zu verhindern, lenkte dann wegen des Widerstands von Kretschmer und Voigt ein. Seitdem gilt im Konrad-Adenauer Haus eine „Wir-sind-da-raus“-Strategie: Auf Bundesebene sei eine Zusammenarbeit mit Wagenknecht völlig ausgeschlossen, bekräftigt CDU-General Carsten Linnemann.

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    Was in den Ländern passiere, müssten die Landespolitiker entscheiden. Einem Teil der CDU geht schon das zu weit: „Eine Zusammenarbeit auf jeder Ebene ist mit dem Kreml-Ableger undenkbar, denn das BSW widerspricht allen Werten, für die die CDU steht“, hat etwa der baden-württembergische Bundestagsabgeordnete Roderich Kiesewetter bereits erklärt.

    Sachsen-Anhalts CDU-Ministerpräsident Reiner Haseloff nennt Wagenknechts „demonstrative Nähe zu Putin“ ein „No-Go für die CDU“. Die CDU-Spitze um Merz kalkuliert offenbar anders: Die CDU soll ihre Landesregierungen ruhig mit den Schmuddelkindern bilden, wenn nur die Merz-Weste sauber bleibt. Aber das Kalkül geht wohl nicht auf: In Thüringen wäre ein CDU-Ministerpräsident auch auf die Hilfe der Linkspartei angewiesen – für die gilt in der CDU bislang noch ein Unvereinbarkeitsbeschluss. Ändern könnte ihn nur die Bundes-CDU.