Hagen/Siegen. Nach der Attacke am Rande des Siegener Stadtfestes benötigen Opfer Unterstützung. Notfallseelsorgerin berichtet vom Einsatz am Freitag.
Rund 40 Menschen in einem Bus, sechs von ihnen verletzt, drei davon schwer, dutzende Augenzeugen einer Gewalttat, darunter Kinder und Jugendliche: Kaum vorstellbar, was die Fahrgäste des Sonderbusses am Freitagabend in Siegen durchleben mussten, als eine 32-jährige Deutsche mit einem Messer offenbar wahllos auf andere Fahrgäste eingestochen haben soll.
Drei Tage nach der Messerattacke am Rande des Siegener Stadtfestes sind beim Opferschutz der Polizei die ersten Hilfsanfragen von Betroffenen eingegangen. Dies bestätigte die Kreispolizeibehörde Siegen-Wittgenstein am Montag auf Anfrage der WESTFALENPOST.
„Wir haben mehrere Bedarfsanfragen bekommen. Wir sortieren nun, wie wir vorgehen“, sagte ein Polizeisprecher, der darauf verwies, dass von dem Vorfall am Freitagabend eine große Zahl von Menschen betroffen gewesen sei. „Unser Anspruch und unser Vorhaben ist es, jedem, der Hilfe benötigt, Hilfe zu ermöglichen, auch zeitnah“, so der Polizeisprecher.
Im Kommissariat Prävention und Opferschutz stünden Polizeibeamte zur Verfügung, die für die Betreuung von Betroffenen solcher Einsätze geschult seien, zudem Sozialarbeiter. Auch könnten grundsätzlich externe Notfallseelsorger hinzugezogen werden. Diese halfen auch am Freitagabend bei der Erstversorgung der Betroffenen, die vom Tatort in Siegen-Eiserfeld zur Betreuung in die Siegerlandhalle gebracht worden waren.
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Notfallseelsorger mit zahlreichen Kräften im Einsatz
Das Notfallseelsorgeteam des evangelischen Kirchenkreises Siegen-Wittgenstein war mit Unterstützung von Notfallseelsorgern aus Olpe mit insgesamt 16 Kräften vor Ort, wie Einsatzleiterin Martina Schmitt im Gespräch mit der WESTFALENPOST berichtete. „Einsatzende war gegen fünf Uhr morgens. Wir haben sehr gut im Team zusammengearbeitet“, sagte Schmitt und erklärte: „Wir Notfallseelsorger wissen, dass solche Erfahrungen bei den Betroffenen erst einmal sacken müssen. Wir haben den Menschen am Freitag erklärt, welche Reaktionen sich bei ihnen einstellen können. Körper und Geist müssen ein solches Ereignis verarbeiten. Das kann dauern.“
„Körper und Geist müssen ein solches Ereignis verarbeiten. Das kann dauern.“
Die Nachbetreuung von Betroffenen ist eigentlich nicht Aufgabe der – meist ehrenamtlich tätigen – Notfallseelsorger, die für die Akutbetreuung in den ersten Stunden nach solchen Ereignissen zuständig sind. Schmitt betonte aber, dass man den Opferschutz der Polizei auch bei der Nachbetreuung der Betroffenen unterstütze, wenn man gebraucht werde. Der Opferschutz der Polizei sichte derzeit die Hilfsanfragen von Betroffenen und koordiniere das weitere Vorgehen.
„Es können auf verschiedenen Ebenen Angebote entstehen, beispielsweise wird sich die Schulberatung um betroffene Kinder und Jugendliche kümmern“, so Schmitt, „es gibt viele Betroffene, der Fall ist komplex, wir werden versuchen, Hilfsangebote zu machen, möglicherweise Gruppengespräche anbieten.“
Betreuung in Siegerlandhalle bis in die Morgenstunden
Auch Siegen-Wittgensteins Kreisbrandmeister Thomas Tremmel erklärte im Gespräch mit der WESTFALENPOST, dass nicht alle Zeugen eines solchen Vorfalls im ersten Moment Unterstützung benötigten. Das komme aber häufig später. Betroffene würden dann schlecht schlafen, erlebten das Geschehen erneut, die Bilder kämen hoch. Es werde sichergestellt, dass auch diese Personen Ansprechpersonen haben, an die sie sich wenden könnten.
Am Freitagabend seien in der Siegerlandhalle, welche die Stadt gemäß Veranstaltungskonzept für eine solche Situation vorsehe, alle Betroffenen zunächst registriert worden – um später jedem, der noch Hilfe in Anspruch nehmen wolle, auch die individuelle Betreuung vermitteln zu können.
„„Es gibt viele Betroffene, der Fall ist komplex, wir werden versuchen, Hilfsangebote zu machen, möglicherweise Gruppengespräche anbieten.““
Ab 22 Uhr lief die Betreuung in der Siegerlandhalle an, Siegens Feuerwehrchef Thomas Jung übernahm die Leitung dieser Einsatzstelle. Bis spät in die Nacht seien noch Menschen vor Ort gewesen – nicht alle hätten zwingend Betreuungsbedarf gehabt, sondern teils noch von der Polizei befragt werden müssen. Dabei werde größter Wert auf einen ruhigen, störungsfreien Rahmen gelegt, betonte Thomas Tremmel. Manche Betroffene seien nach relativ kurzer Zeit gegangen, oft in Begleitung Angehöriger. Es werde dabei auch sichergestellt, dass beispielsweise eine alleinstehende Person nicht allein nach Hause entlassen werde.
Staatsanwaltschaft äußert sich
Für die Messerattacke, welche sich auf der Bus-Fahrt in die Innenstadt im Stadtteil Siegen-Eiserfeld zugetragen hatte, soll eine 32-Jährige verantwortlich sein, die laut Auskunft der Behörden eine Deutsche ohne Migrationshintergrund ist. Die Frau stammt nach Informationen der WESTFALENPOST aus dem Kreis Olpe und war bereits vor der Tat vom Freitag wegen Drogendelikten polizeibekannt.
Die zuständige Staatsanwältin Tabea Schneider bestätigte am Montag, dass die Tatverdächtige in einer Justizvollzugsanstalt in Untersuchungshaft sitzt – und nicht in einem Justizvollzugskrankenhaus oder einer Psychiatrie untergebracht ist. Für eine solche Unterbringung müssten grundsätzlich „gesicherte Erkenntnisse“ vorliegen, dass ein Beschuldigter psychisch krank sei. NRW-Innenminister Herbert Reul hatte am Samstag bei seinem Besuch in Siegen erklärt, dass „der Verdacht sehr naheliegt“, dass die mutmaßliche Täterin „psychische Probleme“ habe. Tabea Schneider wollte sich dazu ebenso wenig äußern wie zu weiteren Fragen rund um die Tat. „Die Ermittlungen zu Motiv und Hintergründen laufen“, sagte die Staatsanwältin.