Hagen/Holzwickede. Digitalen Unterricht soll es überall geben. Aber funktioniert er? Ein Grundschullehrer zeigt, wie die Zukunft aussieht – und wird ausgezeichnet.
Einmal Israel und zurück, in nur einer Unterrichtsstunde. Ein virtueller Schulausflug mit Lehrer Jan Günther: „Google Earth“ macht’s möglich. Seit Corona ist digitaler Unterricht kein Randthema mehr. Was aber macht ihn wirklich aus? Der Hagener Grundschullehrer entwickelt und gibt Lehrerfortbildungen zu dem Thema, für das Schulamt im Kreis Unna und die Bezirksregierung Arnsberg. Für seine innovativen Ansätze wurde er von der „Zukunft Digitale Bildung GmbH“ ausgezeichnet. Er sagt: „Unterricht mag zwar digital sein, wenn man ihn eins zu eins mit der Kamera überträgt – das heißt aber noch lange nicht, dass er gut ist.“
Der Preis, der den 32-Jährigen auszeichnet, wird in der Kategorie „Individualpreis für Grundschulen“ bundesweit nur einmal vergeben, für „beeindruckende Lehransätze im Bereich digitaler Bildung“. Was die zehnköpfige Expertenjury besonders begeisterte: Günthers YouTube-Kanal „Du Herrn Günther“, den er zu Pandemiebeginn startete – kurze Erklärvideos zum aktuellen Unterrichtsstoff.
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Breites Angebot an Lern-Apps
Als nur Homeschooling möglich war, griff der junge Pädagoge zudem auf ein breites Angebot an Lernapps zurück. Die „Anton-App“, ein Klassiker für die Grundschule, nutzten schon seine Erstklässler. Sie belohnt Kinder mit virtuellen Münzen und kurzen Spielen – und stellt dem Lehrer eine Auswertung über den Lernstand der Schüler bereit.
Im Lockdown habe sich vor allem die App „Bipacour“ vom Land NRW als nützlich erwiesen. Ausgerüstet mit Tablet oder Handy konnten die Grundschüler der Dudenrothschule damit interaktive Stadtrallyes machen – zum Beispiel durch die Kirche am Markt in Holzwickede. „Bipacour“ bietet Schülern dabei auch die Möglichkeit, Videos und Audiodateien hochzuladen.
Die Lernapps seien jedoch eher motivierende Ergänzung. „Wichtiger ist, dass die Kinder selbst etwas produzieren“. Mithilfe von „Book Creator“ lasse Günther seine Schüler eigene eBooks erstellen. Ihr Arbeitsauftrag: Gegenstände mit bestimmten Anfangsbuchstaben fotografieren und im eBook dokumentieren. Die Ergebnisse seien oft kreativ: „Das ist das Tolle an digitaler Transformation von Schule“, sagt Günther, „wir öffnen den Raum für Talente und machen die noch größer.“ Schnell hätten die Kinder auch das Produzieren eigener Videos gelernt. Mit Playmobil-Figuren drehten sie so die Ostergeschichte nach. Selbst etwas in einem Video zu erklären hält Günther für besonders sinnvoll: Besser als durch Arbeitsblätter könne er so überprüfen, ob ein Kind etwas tatsächlich verstanden habe: „Da kann ich nachfühlen, wie sicher oder unsicher ein Kind spricht“ – ein klarer Vorteil beim Homeschooling.
Nicht nur Notlösung für Distanz
Doch die neuen Ansätze seien mehr als nur Notlösung für den Distanzunterricht: „Digitales Lernen sollte nicht nur in Pandemiezeiten hochgehalten werden“, so Günther. Die Voraussetzung: „Die Kinder müssen damit schon in der Schule in Berührung gekommen sein. Ich kann den Eltern nicht zumuten, dass sie sich das zuhause selbstständig erarbeiten.“ Denn längst nicht alle könnten das leisten.
Chancengerechtigkeit im Digitalen
Die Frage der „sozialen Schere“ trete nach Günthers Meinung vor allem im Distanzunterricht auf, wenn die Schulen geschlossen seien: „Dann ist es nicht von der Hand zu weisen, dass solche Kinder, die zuhause eine lernförderliche Umgebung haben – ein eigenes Zimmer, Eltern die auch mal helfen können – einen Vorteil haben.“
Prof. Dr. Julia Schütz bestätigt diese Einschätzung: „Die Bildungsungerechtigkeit hat sich in der Corona-Pandemie deutlich verschärft.“ Nicht alle Kinder hätten von Hause aus die gleichen Möglichkeiten. Das Problem sei strukturell: „Es gibt immer noch viele Schulen, ohne W-Lan.“Schütz forscht und lehrt an der FernUniversität in Hagen am Institut für Bildungswissenschaft und Medienforschung und befragte nach den Schulschließungen unter anderem Lehrkräfte und Landesschülersprecher für eine Studie. Ein Bewusstsein sei durchaus vorhanden – „die meisten gehen nur aktuell auf dem Zahnfleisch“.
Sozialisation im Internet
Schule, so betont Schütz, sei zudem auch Ort der Sozialisation. Die große Pause auf dem Schulhof falle im Digitalen weg. Eine wissenschaftliche Beobachtung zeige, dass die jüngere Generation der „Digital Natives“ immer weniger Unterschiede empfinde, zwischen digitalen Verabredungen – etwa zum Online-Gaming mit Freunden – und Begegnungen in der analogen Welt. Auch hier gelte es, gesellschaftliche Normen einzuhalten – die sogenannte „Netiquette“: gutes Benehmen im Internet. In der Lehrkräfteausbildung müsse auch das eine größere Rolle spielen, digitale Bildung als grundlegende Kulturtechnik angesehen werden.
Jan Günther ist nicht mit dem Internet aufgewachsen. Ein Bewusstsein für dessen Gefahren gibt er trotzdem weiter, an seine Grundschüler, die bereits soziale Medien wie „Tik Tok“ nutzen. Beispielhafte Situationen wie diese, bespreche er schon mit seinen Zweitklässlern: Ein Kind rutscht beim Fußballspielen aus und wird dabei gefilmt – „Die Grundlage von Datenschutz“. Das Problem verstünden sie schnell: „Die sind da schon erstaunlich sensibel.“ Oftmals wüssten Schüler schon mehr als ihre Eltern. Stolz erzählten sie ihm: „Ich hab’ Mama und Papa etwas gezeigt, das die nicht konnten. Die Kinder werden gegenüber ihren Eltern zu Experten“ – Momente, die ihn als Lehrer motivierten.
>> INFO: Zukunft Digitale Bildung
- Die Zukunft Digitale Bildung gGmbH ist eine gemeinnützige Organisation, die Lehrkräften bei dem digitalen Wandel an Schulen unterstützten möchte.
- Sie bietet Fortbildungen und zeichnet durch dotierte Wettbewerbe Lehrkräfte aus, die sich besonders für digitale Konzepte an ihren Schulen einsetzen.