Hagen/Menden. Die alleinerziehende Mutter aus Hagen ist wie viele Eltern gestresst, bei der Familie aus Menden läuft es. Einblicke ins Kinderzimmer.

Ein bisschen fatalistischen Humor hat sich Nadine Eckelmann (34) bewahrt. „Wir stehen hier nicht direkt immer am Rande eines Nervenzusammenbruchs, aber manchmal eben schon“, sagt die Hagenerin und schmunzelt ein wenig, weil der Satz eine eigenartige Mischung aus Spaß und Ernst ist. Sie und ihre beiden Töchter verzweifeln nicht, aber sie kämpfen in der Corona-Pandemie derzeit jeden Tag mit den Anforderungen des Homeschooling.

Die Belastungen für Eltern und Schüler im Homeschooling sind immens

Lucy, die Große, ist 13 und geht in die siebte Klasse, Lena, die Kleine, ist 11 und geht in die sechste Klasse, beide sind auf der Realschule. Nadine Eckelmann ist alleinerziehend, hat einen Mini-Job in der Pflege. Sie hat sich auf eine neue Stelle beworben: Teilzeit, 30 Stunden in der Woche. „Ich bin im Zwiespalt“, sagt sie. Sie will den neuen Job, allein wegen des Geldes, um nicht mehr auf staatliche Unterstützung angewiesen zu sein. Aber sie weiß auch noch nicht, wie das dann zu Hause werden soll. Die Belastungen sind immens. Nicht nur bei ihr.

2,5 Millionen Schüler gibt es in NRW - sie alle sitzen seit fast zwei Wochen und noch bis mindestens zm 14. Februar zu Hause und lernen - oder versuchen es zumindest. Denn jeder bringt andere Voraussetzungen mit. Und die Art, wie Distanzlernen umgesetzt wird, ist von Schule zu Schule völlig unterschiedlich. Das Schulministerium in NRW rühmt sich zwar dafür, als einziges Bundesland über eine Distanzlernverordnung zu verfügen, teilt aber gleichsam mit:  "Die Schulleitung ist für die Ausgestaltung des Distanzunterrichts im Rahmen eines organisatorischen und pädagogisch-didaktischen Plans verantwortlich."

Mit anderen Worten: Während die Lehrer in der einen Schule Video-Unterricht nach Stundenplan anbieten und fast rund um die Uhr für Nachfragen erreichbar sind, müssen in anderen ausgedruckte Arbeitsmaterialien an der Schule abgeholt werden. Weil es die Schulleitung so will, weil Tablets oder anderes technisches Equipment fehlen, weil die Kinder für selbstständiges Arbeiten am Bildschirm womöglich noch zu klein sind.

Manchmal arbeiten die Kinder von 8 bis 17 Uhr an den Aufgaben

„Dass sich meine Kinder morgens um 8 Uhr hinsetzen und um 13.20 Uhr fertig sind – das kommt eigentlich nicht vor“, sagt Nadine Eckelmann. Es gab Tage, da brüteten die beiden auch um 17 Uhr noch über Flächenberechnungen, Aggregatzuständen und Englisch-Vokabeln. Das bedeutet Stress für alle. „Am schlimmsten ist das Gefühl, irgendwie allein gelassen zu werden mit den Aufgaben“, sagt Nadine Eckelmann. 

Denn Distanz-Unterricht an der Schule ihrer Kinder bedeutet, dass die Lehrer Arbeitsmaterialien und Aufgaben auf einer Lernplattform namens Padlet einstellen. Manchmal, sagt Nadine Eckelmann, tun sie das am Abend vor dem nächsten Unterrichtstag, manchmal am selben Morgen, manchmal aber auch noch im Laufe des Tages und mit einer Frist.

Alltag: ausdrucken, eklären, einscannen, abschicken

Sie war nach einem stressigen Vormittag viel zu spät fürs Mittagessen einkaufen, als um 15 Uhr eine Mail kam mit dem Hinweis, dass Aufgaben bis 16 Uhr zu erledigen seien. Alles, was später ankomme, könne nicht mehr bewertet werden. Sie schrieb eine wütende E-Mail zurück. Missverständnis, antwortete die Schule. Aber der Puls war erstmal oben.

Nadine Eickelmann druckt die Papiere für ihre Kinder aus. Diese müssen die Aufgaben lesen, verstehen, bearbeiten. Rückfragen an die Lehrer seien schwerlich möglich: Diese Funktion biete die Plattform nicht, die meisten Lehrer seien über E-Mail nicht zuverlässig zu erreichen. Also landen die Fragen bei ihr. „Ich verbringe einige Stunden am Tag damit, den Kindern zu helfen." Papiere einscannen und hochladen, im Internet recherchieren, wenn der Arbeitsauftrag nicht klar ist. Laptop, Scanner, Drucker - hat sie alles. "Aber ich frage mich, wie das bei anderen ist, die diese Möglichkeit nicht haben."

Leistungs- und Notendruck bleibt bestehen

Vor allem versucht sie, den Überbick zu behalten, schaut sie, dass ihre Töchter alle Aufgaben erledigen. Aber egal wie sorgfältig alle daran arbeiten, nichts zu versäumen: Im Unterbewusstsein bleibt die Sorge, dass es nicht genug sein könnte, dass man den Anschluss verlieren könnte: "Die Anforderungen von Lehrern bleiben ja die gleichen wie vorher auch. Die Noten müssen weiter stimmen. Ich habe das Gefühl, dass sich da viel Druck aufbaut von allen Seiten. Druck, den sich meine Kinder auch selber machen. Ich finde das problematisch, dass man nicht mit einfließen lässt, ob das Kind Probleme mit der derzeitigen Situation hat."

Dass es auch darauf ankommt, wie alt die Kinder sind, die in der Ferne lernen, zeigt ein Blick nach Menden im Sauerland. „Meine Söhne kommen aufgrund ihres Alters und ihrer Technikaffinität sehr gut zurecht“, sagt Michael Birke aus Menden. Seine Jungs besuchen das Walburgis-Gymnasium in Menden. Jeden Morgen setzen sich die 17 und 15 Jahre alten Schüler an ihre PCs, bestreiten Videokonferenzen und arbeiten die erteilten Aufgaben ab. „Als Elternteil mit so großen Kindern ist die Beeinträchtigung relativ gering. Ich werde selten gestört, wenn ich selbst arbeiten muss.“

Abitur 2021 - und die Hoffnung, dass alles fair bewertet wird

Maximilian, der Ältere, hat Physik und Mathematik als Leistungskurse. Er macht in diesem Jahr Abitur und hofft, dass alles fair bewertet wird. „Das ist ja im Vergleich zum ersten Lockdown im vergangenen Jahr der Unterschied: Was jetzt im Unterricht geschieht, wird auch bewertet.“ Trotz der Umstände fühlt er sich gut vorbereitet.

Seine Schule habe sich weiterentwickelt, habe eine Video-Plattform (Microsoft Teams) in Vollversion in Benutzung, über die sich alles regeln lasse: Unterrichtsstunden per Video, die bei Maximilian nicht mehr Unterricht heißen, sondern Besprechungen, dazu Aufgabenlisten bearbeiten, Hausaufgaben hochladen und kontrollieren, chatten mit Mitschülern, Lehrern, Klassenverbänden. „Wir können nicht immer ganz so in die Tiefe gehen, aber das System ist ganz leicht, sehr übersichtlich. Ich bin positiv überrascht. Selbst in Stunden, in denen viel diskutiert werden muss, funktioniert das gut.“

Homeschooling kein dauerhafter Ersatz für Präsenzunterricht

Mathe hat er erledigt und hochgeladen, in Deutsch muss er bis morgen eine Kurzgeschichte interpretieren. Je nach Fach und Lehrer werden die Unterrichtsstunden per Video vorzeitig beendet, damit die Schüler sich in Gruppen- oder Einzelarbeit an die Aufgaben begeben.

Ähnlich ist es bei seinem Bruder Benedikt, auch er sitzt morgens gemäß Stundenplan an seinem Schreibtisch. Zwei Bildschirme, Kopfhörer auf den Ohren. Tower, bitte kommen – so sieht das ein bisschen aus. „Die meisten Lehrer sind viel besser geworden in Sachen Distanzunterricht, generell ist die Organisation viel besser.“ Er kann für jedes Fach die Liste der Aufgaben einsehen. Dort steht, bis wann er was erledigt haben muss.

„Den Präsenzunterricht kann das Homeschooling auf Dauer nicht ersetzen, aber das hier hat auch Vorteile.“ Eigenständiges, modernes Arbeiten, kein Weg zur Schule, dadurch längeres Schlafen. „Aber man muss schon zusehen, dass man sich motiviert und selbst organisiert. Die Versuchung, ein Computerspiel zu starten, wenn man schon dasitzt, ist manchmal groß“, lacht Benedikt.

<<< HNTERGRUND >>>

- Einheitliche Vorgaben vom Land gibt es für den Distanzunterricht kaum. Das Schulministerium teilt auf Nachfrage mit, dass NRW das einzige Bundesland sei, das über eine Distanzlernverordnung verfüge und "Distanzunterricht in jeder Klassenstufe möglich" sei.

- Es habe schon vor Monaten Materialsammlungen, Handreichungen und didaktische Konzepte für die Schulen bereitgestellt, die "sehr gut angenommen" worden seien. Letztlich aber gilt: "Die Schulleitung ist für die Ausgestaltung des Distanzunterrichts (...) verantwortlich."

- Das Land bietet allen Schulträgern und ihren Schulen zudem die Lernmanagement-Plattform LOGINEO NRW zur kostenfreien Nutzung an. Die Nutzerzahln seien zuletzt sark gestiegen. Es wäre "angebracht und wünschenswert", wenn das System in allen Schulen Nordrhein-Westfalens zum Einsatz käme". Das ist aber bei weitem noch nicht der Fall.