Hagen. Tausende Menschen gehen auch in Hagen und Siegen auf die Straße, um zu demonstrieren. Doch können die Proteste wirklich etwas bewirken?
Nicht nur in Köln, Berlin, Hamburg – nein, auch in Hagen undSiegen sind Menschen auf die Straße gegangen, um gegen Rechtsextremismus zu demonstrieren. Am Donnerstagabend waren es dort jeweils Tausende. Städte wie Menden, Arnsberg oder Brilon werden in den nächsten Tagen folgen. Und das kurz nachdem es schon massive Proteste von Landwirten gegeben hat. Der Politikwissenschaftler und Soziologe Dr. Olaf Jann von der Universität Siegen ordnet die Lage für die Region ein.gehen Tausende Menschen am Donnerstagabend auf die Straße, um gegen den wachsenden Rechtsextremismus im Land zu demonstrieren. Dabei ist der Extremismus schon länger bekannt. Was hat sich nun geändert? Der Politikwissenschaftler und Soziologe Dr. Olaf Jann von der Universität Siegen ordnet ein.
Sind die vielen Demonstrationen ein Zeichen von Instabilität oder Stabilität im Land?
Analytisch gesehen ist es erst einmal ein weiteres Indiz für eine Polarisierung, Emotionalisierung und Moralisierung der Gesellschaft. Dass demonstriert wird, ist grundsätzlich gut für eine Demokratie. Allerdings ist die starke Abfolge von Demonstrationen, die auch immer vor dem Hintergrund vielfacher Krisen stattfinden, ein Zeichen dafür, dass die Gesellschaft nicht sehr gelassen mit Problemen umgeht. So gesehen ist es eher ein Zeichen einer sehr konflikthaften, zurzeit nicht sehr stabilen Gesellschaft.
Es ist ungewöhnlich, dass so viele Demonstrationen in dieser Region stattfinden. Was bedeutet es, dass auch in kleineren Städten, abseits von Berlin oder Hamburg, demonstriert wird?
Es gibt eine sehr starke milieuspezifische Mobilisierung bei diesen Protesten. Die Emotionalisierung und die Moralisierung spielen dabei natürlich eine wesentliche Rolle. Die Menschen sind emotional sehr betroffen von den vielen Krisen, und das bringt sie auf die Straße. Hier kommen auch viele Gruppen zusammen, die vielleicht Differenzen, aber ein gemeinsames Feindbild haben, und das schafft natürlich auch einen hohen Mobilisierungsgrad. Es treffen Gruppen zusammen, die andere Vorstellungen von einer Gesellschaft haben, aber die zusammen gegen etwas demonstrieren, und das schafft eine Gemeinsamkeit.
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Diese Proteste sind sehr dynamisch. Man sieht aber auch, dass es ein gewisses geografisches Gefälle gibt. Im Osten oder auch in Bayern finden viel weniger Demonstrationen statt als beispielsweise in NRW. Das hat auch mit den hohen Umfragewerten der AfD im Osten zu tun und den niedrigen hier im Westen. Hier demonstriert das linke und grüne gut vernetzte Milieu.
Wird sich die AfD von den Protesten beeindrucken lassen?
Die AfD wird sich von den Protesten mit Sicherheit nicht beeindrucken lassen, weil das politische Milieu, das auf den Straßen protestiert, genau den Gegenpol zur AfD abbildet. Da zeigt sich die starke Polarisierung in der Gesellschaft. Die AfD hat in Umfragen nur sehr marginal verloren. Wenn die neuen Spieler, wie das Bündnis Sahra Wagenknecht oder die Werte-Union, in die Parteienlandschaft kommen, kann es eher sein, dass die AfD dadurch Stimmen verliert.
Können die Proteste denn trotzdem Einfluss auf die anstehenden Europawahlen nehmen?
Dass die Wähler anders wählen, glaube ich nicht. Aber auf die Wahlbeteiligung könnte das Einfluss haben, weil die bei der Europawahl in der Regel relativ niedrig ist. Wenn man in der Lage ist, seine Klientel zur Wahlurne zu bringen, wäre dies der größte Effekt.
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Lassen sich die aktuellen Demonstrationen und die Bauernproteste miteinander vergleichen?
Das Signifikante an den Rechtsextremismus-Protesten ist, dass die Regierung mit den Protestierenden zusammen demonstriert. Das ist unüblich. Normalerweise finden Proteste immer gegen die Regierung statt, so wie es bei den Bauernprotesten der Fall ist. Außerdem wurden die Bauernproteste von der Politik negativer bewertet als diese Proteste. Da hat die Regierung von Umsturz und Unterwanderung gesprochen. Von daher gibt es große Unterschiede, einerseits, gegen wen sie gerichtet sind, gegen was sie gerichtet sind, aber auch, wie sie von der Regierung aufgefasst werden.
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Der Januar ist noch nicht um und wir haben jetzt schon viele Demos, Proteste und Streiks. Warum kommt das jetzt alles zusammen?
Es ist tatsächlich so, dass man das Gefühl hat, man wacht auf und der nächste Protest steht vor der Tür – und der eine ist noch gar nicht abgearbeitet. Ich glaube, es hat damit zu tun, dass die Krisen sich immer weiter zuspitzen. Viele Menschen haben das Gefühl, die Politik hat keinerlei Lösungen anzubieten. Und da die Wahlen bevorstehen, ist allen bewusst, dass politische Richtungsentscheidungen getroffen werden; sowohl für Europa als auch für die deutsche Gesellschaft. Ich glaube, deshalb spitzen sich viele Proteste derzeit zu.
Proteste gegen Rechtsextremismus sind nicht neu. Dass sich die AfD rechtspopulistisch zeigt, ist kein Geheimnis. Warum ist der Andrang gerade jetzt so groß? Ist das nur der Enthüllungen über das Geheimtreffen zu verdanken?
Es gibt eine starke mediale Präsenz und eine szenische Aufbereitung. Es war auch sicher ein gutes Timing. Die Diskussion um ein AfD-Verbot ist schon länger im Gange. Das Thema hat hier gezündet, und das hat damit zu tun, dass Migration natürlich das primäre Konfliktthema aller europäischen Gesellschaften ist. In Deutschland ist jede Diskussion darüber sehr stark affektiv, also emotional aufgeladen. Das gilt für Remigration noch besonders, das ist ein Trigger-Punkt.
Wird die Protestwelle anhalten oder wird das Thema in wenigen Tagen oder Wochen wieder in Vergessenheit geraten?
Das ist ein sehr dynamisches Geschehen, sowohl das Protestgeschehen als auch die Parteienlandschaft sind in Bewegung. Diese Protestwellen haben aber in der Regel keinen dauerhaften Bestand, können aber sicher wieder reaktiviert werden. Aber im Moment ist es wirklich kaum prognostizierbar. Es hat auch ein bisschen den Anschein, dass alle politischen Gruppen ihre Milieus nochmal mobilisieren wollen, um zu zeigen, wir sind hier, wir sind die Gesellschaft. Alle reklamieren für sich, dass sie die Mehrheit sind, dass sie für Deutschland sprechen, alle versuchen ihre Position auf die Straße zu bringen.