Bestwig. Der Mega-Streik im Personenverkehr nervt viele Pendler. Was aber machen derweil die Lokführer? Zu Besuch bei der GDL-Gruppe Bestwig.

Der Streik, der viele Bahnreisende in Deutschland tagelang massiv treffen wird, läuft bereits seit mehr als zehn Stunden. Doch noch hat nicht jeder mitbekommen, welches Ausmaß der Ausstand erreichen wird.

Am Bahnhof Bestwig im Hochsauerland zieht eine ältere Frau ihren Einkaufstrolley vorbei an der Gruppe der Lokführer und Zugbegleiter, die sich hier zum Arbeitskampf versammelt hat. „Morgen ist wieder Streik?“, fragt die Seniorin. Ja, sagen, die Gewerkschafter, auch am Donnerstag werde gestreikt. „Wie lange noch?“, fragt die Dame.

Bis Montag.

Schweigen, Augenrollen, die Seniorin zieht wortlos von dannen.

Die Begeisterung über den sechstägigen Streik, den die Gewerkschaft Deutscher Lokomotivführer (GDL) in der Auseinandersetzung mit der Deutschen Bahn angesetzt hat, hält sich nicht nur bei der älteren Dame in Grenzen. Fast eine ganze Woche soll nach dem Willen der Gewerkschafter wenig bis gar nichts gehen, um den Druck auf den Tarifpartner drastisch zu erhöhen.

Das wirft Fragen auf, beispielsweise diese: Wie verbringt eigentlich ein streikender Lokführer den Tag?

Die Streikenden in Bestwig: Margarete Bürger-Straube, Jörg Deckert, Silvio Koralke, Andre Mester, Oliver Schonnop und Claudia Zimmermann (v.l.).
Die Streikenden in Bestwig: Margarete Bürger-Straube, Jörg Deckert, Silvio Koralke, Andre Mester, Oliver Schonnop und Claudia Zimmermann (v.l.). © FUNKE Foto Services | Andreas Buck

Streikschicht statt Fahrdienst

Die Kurz-Antwort gibt Lokführerin Claudia Zimmermann von der GDL-Ortsgruppe Bestwig: „treffen, reden, Kaffeetrinken, diskutieren.“ Zu diskutieren gibt‘s ja einiges, sollte man meinen, allerdings sind die Fronten in diesem Arbeitskampf verhärtet, weshalb zwischen den Tarifparteien nicht verhandelt wird. Und das, finden die GDL-Vertreter in Bestwig, ist die Schuld der Deutschen Bahn. Da gibt‘s bei ihnen keine Diskussion.

„Die wollen sich nicht mal mit uns an den Tisch setzen“, sagen die GDLer hier in Bestwig über die Bahn. Sagt allerdings umgekehrt auch die Bahn über die Gewerkschafter. Beide Seiten werfen sich überzogene Forderungen, Taktiererei, Irreführung der Öffentlichkeit oder mangelnde Gesprächs- wie Kompromissbereitschaft vor. Zumindest in der Hinsicht sind sie nah beieinander.

„Es ist zu oft Streik“

Am ersten Streiktag ist es am Hagener Bahnhof ungewöhnlich still. Die Schülerinnen Genta Zenuni, Dunya Elias und Walaa Haeji wollen von Düsseldorf nach Münster, zu einer Infoveranstaltung an der Uni. Die Abfahrtszeit ihres Zugs rückt immer weiter nach hinten... Für die Rückfahrt hätten sie schon mit ihren Eltern gesprochen, die könnten sie abholen – „als Notfallplan“.

Eine Gruppe, die auf dem Weg zu einer Karnevalsveranstaltung in Köln ist,kritisiert den erneuten Streik der GDL. Sechs Tage am Stück seien einfach zu lang. Auch Synchronsprecherin Cindy Kepke ist genervt. Sie muss beruflich alle paar Wochen von Wickede nach München. Diesmal musste sie zwei Stunden früher los, ihre Rückfahrt am Freitag wird ausfallen. „Es ist zu oft Streik“, sagt sie. (kd)

In Bestwig hat sich die GDL-Ortsgruppe am Bahnhofsgebäude getroffen. „Ihr streikt hier, oder was?“, fragt im Vorbeigehen ein Mann in Bahn-Arbeitsuniform. Offensichtlich kein GDL-Gewerkschafter.

Die streikenden Lokführer, die normalerweise im Schichtdienst arbeiten, verbringen statt ihrer Arbeitszeit nun am Bahnhof ihre jeweilige Streikschicht. Also nicht alle auf einmal. Sie müssten sich bei ihren Streikposten melden, erzählt Lokführerin Claudia Zimmermann. Sie gibt an, seit 3:29 Uhr dabei zu sein, zu der nächtlichen Uhrzeit hätte sie normalerweise ihren Fahrdienst aufgenommen. Nun streikt sie, eigentlich bis 11:40 Uhr, da hatte sie Feierabend. Aber um 14 Uhr ist sie noch immer vor Ort.

Früher habe die Bahn Hausverbot ausgesprochen

Während im Hintergrund der Regionalexpress 17 Richtung Hagen trotz Streik zur Mittagszeit stündlich den Bahnhof verlässt, haben sich acht GDL-Mitglieder hier versammelt. Neben Claudia Zimmermann sechs weitere Lokführer sowie eine Zugbegleiterin. Sie sagen, dass es ihnen in dem Arbeitskampf vor allem um eine Absenkung der Arbeitszeit gehe. Den Kurs ihres umstrittenen Bundesvorsitzenden Claus Weselsky stützen sie „100-prozentig“, wie etwa der stellvertretende Ortsgruppenleiter Michael Gerhards sagt.

Treffen, reden, Kaffeetrinken, diskutieren.
Lokführerin Claudia Zimmermann über den Streikablauf

Die streikenden Lokführer berichten von ständig wechselnden Arbeitszeiten im Schichtdienst und mitunter hunderten Überstunden, auch von der Belastung, wenn Menschen sich vor ihre Züge werfen. Im Schnitt erlebe jeder Lokführer in seiner Dienstzeit 2,7 Suizide, sagt Michael Gerhards, was sein GDL-Mitstreiter Christoph mit den Worten kommentiert: „Die habe ich schon voll.“

Sie tragen grüne GDL-Westen, sie haben eine GDL-Fahne dabei, die zunächst an einer Mülltonne befestigt ist und später über den Bahnsteig fliegt. Es ist windig an diesem Mittwochmittag, weshalb sie keinen Stand mit Pavillon aufgebaut haben. Zu gefährlich.

Wenig bis gar nichts geht mehr: Der Streik der GDL läuft im Personenverkehr von Mittwoch bis Montag.
Wenig bis gar nichts geht mehr: Der Streik der GDL läuft im Personenverkehr von Mittwoch bis Montag. © FUNKE Foto Services | Andreas Buck

Früher, erzählt Michael Gerhards (67), der im Ruhestand ist, aber seine Kollegen im Arbeitskampf unterstützt, hätten sie von der Bahn auch schon mal während eines Streiks Hausverbot für den Bahnhof erteilt bekommmen. Dann hätten sie sich vom Roten Kreuz ein Zelt geliehen und das hinter den Gleisen aufgebaut. Zu anderen Zeiten hätten sie die Kantine im Bahnhof nutzen können, aber dort befindet sich inzwischen eine Kneipe, die zur Mittagszeit nicht geöffnet hat. Alkohol sei im Übrigen tabu. Bierchen im Streik? Wäre schlecht für die Außenwirkung, außerdem könne es ja passieren, dass der Streik jederzeit beendet werde, sie dann arbeiten müssten. Danach sieht‘s derzeit allerdings nicht aus.

Als Aufenthaltsort bleibe ihnen die Bäckerei gegenüber – oder eben der Platz an der Sonne, die an diesem bewölkten Tag jedoch nicht zu sehen ist. Vielleicht ist das Wetter am Montag besser, dem finalen Tag des Streiks, da wollen sie hier draußen grillen. Vorher, am Freitag, fahren sie zur Kundgebung nach Dortmund.

Wir haben die Liebe zur Bahn. Die fehlt mir bei den Vorständen der Bahn.
Christoph, ein streikender Lokführer, der seinen Nachnamen für sich behält.

Fahrgäste reagieren „teils durchwachsen“

Und wie finden Pendler das, wenn sie stranden, weil die Lokführer streiken – und grillen? Vor dem Bahnhof in Bestwig sitzt eine junge Frau an der Bushaltestelle. Heute, sagt sie, sei sie nicht auf die Bahn angewiesen. Am Freitag aber schon. Und dann? „Mein Papa fährt mich“, sagt sie, die die streikbedingten Auswirkungen recht entspannt zu nehmen scheint.

Die streikende Lokführerin Claudia Zimmermann berichtet, dass es „teils durchwachsene“ Rückmeldungen von Fahrgästen gebe, aber teils auch positive. „Beim Bäcker hat mir eine Frau viel Erfolg gewünscht“, erzählt sie.

Prominente Politiker wie CDU-Chef Friedrich Merz oder Bundesverkehrsminister Volker Wissing (FDP) haben sich da weniger verständnisvoll geäußert, die GDL kritisiert. Sogar der sozialdemokratische Bundeskanzler Olaf Scholz mahnte, vom Streikrecht maßvoll Gebrauch zu machen.

In Bestwig stoßen solche Äußerungen auf offene Ablehnung.

„Die Politiker haben sich rauszuhalten. Tarifautonomie!“, sagt etwa Lokführer Christoph, der seinen Nachnamen für sich behalten möchte. Er und die anderen betonen, dass sie ihre Arbeit mögen, von einem „Traumberuf“ ist mehrfach die Rede. „Wir“, sagt Christoph, „haben die Liebe zur Bahn. Die fehlt mir bei den Vorständen der Bahn.“