Hagen. Ein stiller Löwe, ein lauter Bösewicht, fliegende Teppiche: Warum sich das Weihnachtsmärchen in Hagen für Familien lohnt.
Wenn der große Fliege-Zauber wirklich Wunder wirkt, sich der Teppich dann erhebt, über der Bühne schwebt oder der fiese Herrscher Rao auf ihm von der Seite reingeflogen kommt, dann zieht die Magie ins Theater ein. Links und rechts umgeschaut: Die Kinder-Hälse recken sich nach vorne, die Augen sind weit aufgerissen, hier und da steht der Mund offen. Die Magie wirkt. Und das, obwohl hier nichts so perfekt ist wie in einem digital hergestellten Animationsfilm.
Hier im großen Saal des Theaters Hagen sieht man natürlich, dass der Teppich an Seilen hängt und hochgezogen wird. Und dass die Schildkröte, die aus dem großen Wollknäuel befreit wird, nicht tatsächlich dort heraus steigt, sondern mit viel Nebel aus dem Untergrund der Bühne heraufgefahren wird. Alles egal, was hier zählt, ist nicht die Perfektion, sondern die Phantasie. Und die wird reichlich beflügelt bei der Premiere von „Gut gebrüllt, Löwe - der Traum vom Fliegen“, dem diesjährigen Weihnachtsmärchen im Theater Hagen, das bis zum Weihnachtsfest wohl bis zu 30.000 meist junge Zuschauerinnen und Zuschauer gesehen haben werden. Belohnt wird die künstlerische Leistung am Samstag bei der Premiere mit lang anhaltendem Applaus und Bravo-Rufen.
Stück wurde auch von Augsburger Puppenkiste gespielt
Wer das Stück von Max Kruse (1921 bis 2015), dem Sohn der bekannten Puppen-Künstlerin Käthe Kruse, noch in der Bearbeitung der Augsburger Puppenkiste vor Augen hat, der muss sich umgewöhnen. Lisa Könnecke hat es in der Bearbeitung für das Theater Hagen gestrafft, Charaktere gestrichen, neue Schwerpunkte gesetzt. Aber im Kern geht es weiter um den Traum vom Fliegen, den ein fliegender Teppich ermöglicht. Den gibt es auch in der Hagener Aufführung. Zuhal (Zeynep Topal) und ihr Löwe (Lisa Birnkott) kommen mit ihm angeflogen, machen Halt bei Panja (Serdar Altan), der im Schloss Firifalo lebt, gleich gegenüber von seinem reichen, machthungrigen Onkel Rao (Julius Schleheck).
In Bildern: „Gut gebrüllt, Löwe“ am Theater Hagen
Als durch eine Ungeschicklichkeit der Schildkröte Franziska der Teppich aufgeribbelt wird und neu gewebt werden muss, wittert Rao seine Chance. Er besticht Teppich-Meister Sassamar (Richard van Gemert) und seine Auszubildende Fädchen (Vanessa Stoll), dass sie ihm den Teppich geben, der aus der flugfähigen Wolle gewebt ist – und Zuhal und dem Löwen nur ein wertloses Duplikat. Sassamar und Fädchen hingegen wollen beiden gerecht werden - und auch von beiden Seiten kassieren. Sie teilen die magische Flug-Wolle auf. Eine schlechte Idee, wie sich zeigen wird.
Der Löwe gibt dem Stück den Namen, kämpft aber um Präsenz
Begleitet wird dieses Durcheinander von der eingängigen, aber keineswegs eintönigen Musik, die unverkennbar die Klangschrift von Andres Reukauf als Komponist trägt, der aber erstmals nicht selbst spielt, sondern die musikalische Leitung der „Märchen-Band“ an Andreas Vogelsberg abgegeben hat. Schauspielerisch dominiert wird die Aufführung für Kinder ab fünf Jahren von Julius Schleheck, der als fieser Rao die größte Bühnenpräsenz zeigt. Nicht nur durch seine herrlich-hochgetürmte Frisur, das goldene Hemd und die goldenen Schuhe. Sondern noch mehr, weil er Rao zum einen laut und donnernd in all seiner unsympathischen Machtgier zeigt. Zum anderen aber auch als „Weichei“, der ohne seinen Berater gar nichts ist, der sich körperlich quält, als er einmal „Entschuldigung“ sagen und sich später eingestehen muss, dass er Angst hat auf dem fliegenden Teppich.
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Auch Vanessa Stoll als Teppichweber-Azubi prägt nach ihrem Auftritt als Kater Findus zum zweiten Mal hintereinander das weihnachtliche Märchen. Und der Löwe, der dem Stück den Namen gibt? Der scheint auf den ersten Blick seine Rolle erst suchen zu müssen. So still und zurückhaltend ist er, dass Lisa Birnkott im Löwen-Kostüm fast um Aufmerksamkeit kämpfen muss. Der Anlass für den großen, markdurchdringenden Löwen-Schrei zum Ende (effektvoll inszeniert und zu Recht mit Szenenapplaus bedacht in dem stimmungsvollen, von Jan Bammes und Sophia Lindemann verantworteten Bühnenbild) wirkt da schon fast konstruiert.
Blechbüchsensoldaten zeigen militärischen Unsinn
Doch am Ende passt es dann doch: Der Löwe, der ganz entgegen allen Klischees nicht der Starke, der Laute ist, der aber doch immer schon einen Schritt voraus war, der die Gefahren gesehen, gewarnt und die Lösung mit ermöglicht hat. Man muss die entscheidende Rolle des Schüchternen erst erkennen. „Doch es gibt Millionen andere Wege ein Löwe zu sein, ich habe es verstanden“, singt Zuhal. Wie ohnehin die Botschaften in dieser Inszenierung von Frances van Boeckel nicht mit dem Holzhammer kommen. Sondern mal lustig, wenn Raos Armee aus Blechbüchsensoldaten zeigt, dass das ständige Wiederholen von militärischen Unsinns-Ritualen nicht gleich eine schlagkräftige Truppe formt.
Oder mal nachdenklich, wenn es zu Beginn zwar ganz klar Gut und Böse in diesem Stück gibt, aber es nicht einfach dabei bleibt. Am Ende wird der böse Rao ganz weich und die Probleme werden von allen gemeinsam besprochen, so dass man allen Wünschen gerecht werden kann. Das Schlusslied – wie immer mit Gassenhauer-Mitsing-Qualitäten – heißt: „Abgemacht, so machen wir’s“. Im Grunde genommen ein Loblied auf den Kompromiss, der zuletzt gesellschaftlich wie politisch immer mehr in Verruf zu geratenen scheint. Also auf die Verständigung zwischen scheinbar unversöhnlichen Positionen, von der am Ende alle Seiten profitieren. Wenn diese subtile Botschaft schon bei den Kindern hängen bleibt, dann ist das Hagener Stück weihnachtlicher als jede Inszenierung mit Schnee und Christbaumkugeln.
Weitere Aufführungen gibt es bis zum 25. Dezember (1. Weihnachtstag), die Aufführung dauert 1 Stunde, 40 Minuten, nach ca. 35 Minuten gibt es eine Pause. Infos zu Karten unterwww.theaterhagen.de