Hagen. Bilderstreit an der Fernuniversität Hagen: Warum viele Museen eine Neubewertung von Kunstwerken mit schwarzen Protagonisten suchen.
Die Expressionisten sind immer für Superlative gut. Die teuersten Auktionspreise, die längsten Schlangen vor den Museumskassen, die größte Beliebtheit. Doch seit einigen Jahren werden die Publikumsmagneten zunehmend mit negativen Schlagzeilen konfrontiert: Rassismus, Sexismus, Exotismus. So lauten die Vorwürfe. Wenn Museen sich kritisch mit Bildmotiven auseinandersetzen, die zum Beispiel schwarze Menschen zeigen, gibt es in der Regel lebhafte Diskussionen. Inzwischen ist diese Problematisierung jedoch auch ein Modereflex geworden. Wie ein Echo auf solche Neuverortungen wirkt zum Beispiel der Bilderstreit an der Fernuniversität Hagen, nachdem die Hochschule ein Glasgemälde von Hans Slavos mit einer mattierten Scheibe verhängte. Die Begründung: „Die Fenster stellen Szenen der Kaffeeernte in einer idealisierten Form dar, die rassistische und sexistische Stereotype bedient“, heißt es seitens der Uni.
Am Beispiel von Ernst Ludwig Kirchner, Otto Mueller und weiteren Vertretern der klassischen Moderne wird die komplizierte Bewertungslage sichtbar. Denn die Expressionisten verabschieden sich vom traditionellen Personal akademischer Gemälde. Sie malen gesellschaftliche Randgruppen, Prostituierte, Jockeys, Zirkusartisten. Und sie artikulieren ihre tiefe Sehnsucht nach fernen Welten, indem sie schwarze oder indigene Protagonisten wählen. Die Bilder mit diesen Sujets wurden heftig befeindet, erlitten Spuckattacken, wurden später als entartete Kunst aus den Museen geraubt, geplündert und vernichtet.
Maler auf Wanderschaft
Kulturtransfer ist seit der Steinzeit der Motor aller Kunst, Maler mussten schon im Mittelalter auf Wanderschaft, das Fremde beflügelt die Phantasie. Doch um die Wende zum 20. Jahrhundert sind die Künstler besonders bedürftig. Entwurzelt durch die ungebremste Industrialisierung, die Auflösung vieler sozialen Bindungen, die Landschaftszerstörung durch die extrem wachsenden Städte sehnen sie sich nach Einfachheit, nach Menschen, die im Einklang mit der Natur leben, nach dem Paradies, das sie in Übersee vermuten, in den Kolonien.
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Jetzt rückt die Stadt Hagen ins Zentrum des europäischen Kunstgeschehens. Denn der Mäzen und Kunstpionier Karl Ernst Osthaus hat eine Vision: den Dialog der Künste. Osthaus ist zwar nicht der erste Sammler, der Kunst aus Afrika und Ozeanien erwirbt, aber er ist der erste, der diese Objekte als Kunst erkennt und in seinem neu gegründeten Museum Folkwang ausstellt – zusammen mit den aktuellen Werken der Expressionisten. Das ist der Grund, warum die Maler in Scharen nach Hagen pilgern, um diese Artefakte zu studieren, sich davon inspirieren zu lassen. August Macke beschreibt 1908, wie revolutionär die Gegenüberstellung wirkt: „Er hat nicht nur die besten Modernen, auch alte Sachen, viel Ägyptisches, Griechisches, Indisches, Gotisches und Italienisches. Wir waren ganz jeck, wie man hier sagt.“
Nur: Über die Herkunft dieser Kunstwerke macht man sich damals keine Gedanken, ob sie geraubt oder erworben waren, ob sie aus religiösem oder profanem Kontext stammten. Museumsmitarbeiter in ganz Europa untersuchen daher seit Jahren ihre Sammlungen, um festzustellen, ob sich kolonial belastete Kunst in ihrem Besitz befindet und woher diese stammt.
Frage nach den Sujets
Die Frage nach den Sujets ist hingegen neueren Datums. Auffällig wird sie zum Beispiel, als das Museum Ludwig in Köln im November 2019 Otto Muellers „Zwei Zigeunerinnen mit Katze“ mit dem Dokumentarfilm „Zigeuner** sein“ von Peter und Zsóka Nestler konfrontierte. Die Kombination erzeugt erschütternden Erkenntnisgewinn – übrigens ohne das Mueller-Gemälde zu verhüllen oder den Blick darauf zu manipulieren. Es wird deutlich, welche Klischees und Stereotype Mueller bedient, es bleibt aber auch präsent, dass es sich bei seiner Arbeit um ein wichtiges Bild handelt.
Das Ostwall-Museum im Dortmunder U zeigt mit der Ausstellung „Expressionismus jetzt!“ noch bis 18. Februar die Sammlung Horn im Dialog mit zeitgenössischen Arbeiten. Mit-Kuratorin und Künstlerin Natasha A. Kelly forscht unter anderem zu den schwarzen Modellen in den Gemälden von Ernst Ludwig Kirchner. Von ihr stammt der Satz, dass es zwar Forschungen über Kirchners Kater gibt, dass man aber über diese Modelle fast gar nichts weiß.
Später Nachhall
Das Hagener Glasgemälde „Die Kaffeepflückerinnen“ ist motivisch ein später Nachhall auf die schwarzen Protagonistinnen etwa eines Paul Gauguin. Aber seine Entstehung 1952 als Auftragsarbeit für das Hussel-Verwaltungsgebäude in Hagen beschreibt einen anderen Kontext. Hans Swiatkiewicz alias Slavos wurde 1900 in Düsseldorf geboren, ging in die Walz- und Hochofenwerke und besuchte mit dem so verdienten Geld Kunstgewerbeschulen in Düsseldorf und Offenbach. 1928 etabliert er sich als freischaffender Künstler in Hagen. Dort hat auch sein jüngerer Bruder Kurt eine Glaswerkstatt. Schon zum Beginn seiner Karriere erhält Slavos Aufträge für monumentale Glasbilder. Im Zweiten Weltkrieg war der Hagener als Kraftfahrer an der Front eingesetzt. Die Recherchen des Hagener Stadtarchivs unter dessen Leiter Dr. Ralf Blank haben ein Interview mit Slavos mit unserer Redaktion von 1949 zutage gefördert. Darin berichtet er, dass er weder Skat spielte noch trank und an den Abenden an der Front daher zeichnete. Nach 1945 ist Slavos dem Artikel zufolge sehr gefragt. Seinem Nachruf in den Heimatblättern zufolge, war er ein tief gläubiger Katholik. Er gestaltet unter anderem die großen Chorfenster für Balve, aber auch Illustrationen für Coopers „Wildtöter“ für eine Ausgabe des Wuppertaler Maré-Verlags. Von 1945 bis 1967 ist Slavos Vorsitzender der Künstlervereinigung Hagenring, führt den Verein, in dem auch Emil Schumacher Mitglied war, in den künstlerischen Neubeginn. Als Hagenring-Vorsitzender dürfte er über die aktuellen Entwicklungen bestens informiert gewesen sein.
Vier Gauguins für Hagen
Ob er jene vier Gauguin-Gemälde kannte, die Karl Ernst Osthaus für Hagen erwarb, wissen wir nicht. Die „Kaffeepflückerinnen“ ähneln auffällig den Protagonistinnen in Gaugins „Contes Barbares“. Spätestens 1949 waren die Osthaus-Gauguins in Essen in Schloss Hugenpoet zu sehen, so Kuratorin Dr. Nadine Engel. „1947 lagerten die „Contes Barbares“ noch in Kloster Marienstatt. Erst 1948 gelangten die „Tangsammlerinnen“ wieder nach Essen.“
Dr. Annette Jansen-Winkeln von der Forschungsstelle für Glasmalerei des 20. Jahrhunderts in Mönchengladbach, ordnet die Hussel-Glasfenster ein: „Das Glasbild ist ein Zeitzeugnis und hatte weder eine rassistische noch eine sexistische Absicht. Es ging ja darum, das Gebäude der Fa. Hussel zu schmücken. Viele Unternehmen präsentierten sich in den 1950er Jahren in großen Glasmalereien, die im Treppenhaus, in Foyers usw. angebracht waren, dort, wo die Besucher empfangen wurden. Man stelle sich die damalige Zeit vor: Die Kriegsschrecken waren endlich vorbei, der harte Wiederaufbau noch nicht abgeschlossen, an vielen noch nicht wiederaufgebauten Orten in der Stadt wurden die Menschen an den Krieg erinnert. Aber nun gab es wieder Kaffee zu trinken, man konnte ihn wieder kaufen, auf den man doch so vielen Jahre hatte verzichten müssen. Das war Lebensfreude pur. Und dafür hat Hans Slavos in seinen Glasbildern eine fantastische Märchenwelt geschaffen, wie ein Bühnenbild, das Freude und Heiterkeit verbreitet. Und dies noch als von der Sonne durchleuchtetes Fenster, da muss der Anblick fantastisch gewesen sein.“