Hagen/Hochsauerlandkreis. Sind Angsträume nur Einbildung? Warum Behörden ihre Existenz oft bestreiten und was junge Frauen dazu sagen.
Das letzte Mal, dass Sofie Klinkmann (28) in ihrer Heimatstadt Angst hatte, war vor ein paar Wochen. „Wir sind durch dieses dunkle Parkhaus gelaufen“, sagt sie. Sonntags, die Ausgänge schon geschlossen. „Es war richtig verlassen und wir haben uns regelrecht eingesperrt gefühlt. Ich hatte das Handy in der Hand für den Notruf.“ Sofie und ihre Begleitung nehmen die Autospur, um das Parkhaus zu verlassen. „Wir haben es natürlich rausgeschafft, aber du hast dich die ganze Zeit unwohl gefühlt und warst quasi vorbereitet, dass etwas Schlimmes passieren könnte.“
Wenn Menschen ihre Sicherheit in Gefahr sehen, dann spricht man von Angsträumen. Das sind „Orte, die aufgrund von bestimmten Merkmalen Angst auslösen oder gemieden werden“, erklärt Dr. Tim Lukas, Diplom-Soziologe und Leiter der Forschungsgruppe „Räumliche Kontexte von Risiko und Sicherheit“ an der Bergischen Universität Wuppertal. Er untersucht unter anderem, wie städtebaulich Kriminalität verhindert werden kann. „Das sind beispielsweise Unterführungen, Parks oder Plätze – Orte, an denen Beleuchtung fehlt, man Verwahrlosung wahrnimmt oder die verwaist sind. An solchen Orten befürchten Menschen eher Kriminalität zu erleben und Opfer einer Straftat zu werden.“ Es sei aber wichtig zu betonen, dass Angsträume „nicht gleich Gefahrenräume“ seien.
Angsträume subjektiv
Auch Sofie kennt, abgesehen vom Parkhaus, Angsträume in ihrer Heimatstadt. Vor allem leerstehende Häuser und Geschäfte sind ihr unheimlich. „Ich gehe lieber da lang, wo viele Menschen wohnen, und ich erleuchtete Wohnungs- oder Schaufenster von Geschäften sehe. Außerdem bin ich oft mit dem Fahrrad unterwegs. Damit fühle ich mich ein bisschen sicherer.“
Bei der Stadt Hagen nachgefragt, heißt es: „Natürlich sind Bereiche, die dunkel oder von vermeintlich ‚zwielichtigen Gestalten‘ belebt sind, subjektiv schnell ein Angstraum. Sicher spielen auch Sauberkeit und Beleuchtung eine Rolle.“ Das sei allerdings ein subjektives Empfinden und „daher lassen sich seitens der Stadtverwaltung allgemein keine Angsträume benennen.“ Die Polizei Hagen argumentiert ähnlich: „In Hagen gibt es keine Angsträume“, sagt Pressesprecherin Ramona Arnhold: Ein ‚Angstraum‘ sei „örtlich eng begrenzt und weist eine statistisch erfasste Beeinträchtigung des Sicherheitsgefühls der Bevölkerung auf.“ Ein Ort wird von der Polizei also erst als „Angstraum“ eingestuft, wenn sich das auch in der Kriminalstatistik widerspiegelt.
„Auch wenn Angsträume nicht unbedingt durch eine hohe Kriminalitätsbelastung gekennzeichnet sind, heißt das ja nicht, dass dort nichts passieren kann“, sagt der Soziologe Tim Lukas: „Maßnahmen der Polizei richten sich nun mal sehr stark an der Kriminalstatistik aus. Und in dieser steht nur das drin, was auch angezeigt oder polizeilich registriert wird.“ Häufig würden sexuelle Belästigung und Obszönitäten gar nicht zur Anzeige gebracht. „Entweder gehen Betroffene nicht zur Polizei, weil sie es für nicht so wichtig erachten oder sie fürchten, dass sie nicht ernst genommen werden.“
Passiert sei ihr in Hagen noch nie etwas, erzählt Sofie, „aber ich denke, da habe ich einfach Glück gehabt“. Eigentlich habe jede ihrer Freundinnen schon einmal etwas Schlimmes erlebt. Vor ein paar Jahren seien zum Beispiel einige Freundinnen nachts auf dem Nachhauseweg in der S-Bahn in Hagen von Fremden gegen ihren Willen angefasst worden – einer sei dabei auch das Handy gestohlen worden. „Wenn ich mit anderen Frauen unterwegs war, sagen wir uns immer Bescheid, wenn wir zu Hause angekommen sind.“
Angsträume nicht nur in der Stadt
Sind Angsträume ein Phänomen der größeren Städte? Nicht unbedingt. Angsträume gebe es nicht, heißt es von den Städten Meschede und Olsberg. Auch die Kreispolizeibehörde HSK erklärt, ihr seien keine Angsträume im Hochsauerland bekannt. Die Stadt Arnsberg teilt mit, man thematisiere das Thema Sicherheit „regelmäßig im zuständigen Ausschuss für Sicherheit, Ordnung und Bürgerdienste.“ Darüber hinaus bestehe ein enger Austausch zwischen Ordnungsbehörde und Polizei. In der Regel reagiere man schnell darauf, wenn Orte als Angstraum wahrgenommen würden, bei Neubau- oder Umbaumaßnahmen werde das Thema berücksichtigt.
Im ländlichen Raum sei das Empfinden von Angsträumen gegebenenfalls ein anderes als in der Stadt, erklärt Tim Lukas: „Die Bevölkerung auf dem Land ist eher an Dunkelheit gewöhnt. Es werden dort eher andere Sicherheitsbedrohungen wahrgenommen.“ Ein Problem könne sein, dass Haltepunkte des ÖPNV eher abgelegen sind. Ein gutes Gefühl gäben in diesen Fällen Notrufsäulen. An Bahnhöfen sei es gut, wenn man von einem Gleis aufs andere schauen könne. Videoüberwachung könnte an abgelegenen Orten die soziale Kontrolle ersetzen. Sie könne laut Lukas aber auch den gegenteiligen Effekt auslösen nach dem Motto: „‚Ist es hier so unsicher, dass eine Videoüberwachung notwendig ist?‘“
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Ariane Drilling ist Ortsvorsteherin von Brilon-Wald. Als Angstraum fällt ihr sofort die Unterführung im Bahnhof von Brilon-Wald ein. „Die ist ein Angstraum, denn sie ist nicht einsehbar und wirklich nicht schön“, sagt sie. „Dort wird aber demnächst umgebaut und es entsteht eine Überführung.“ Bis Sommer 2025 soll sie fertig sein, teilt die Deutsche Bahn mit. Die bisherige Unterführung werde verfüllt.
Solche Umbaumaßnahmen wie in Brilon-Wald können ein Mittel gegen Angsträume sein, weiß auch Tim Lukas: „Das Sicherheitsgefühl lässt sich positiv beeinflussen. Zum Beispiel durch Angebote, denn Angebote sorgen für Belebung, wodurch soziale Kontrolle eher entstehen kann. Gleichzeitig muss ich mir aber auch überlegen, welche Angebote ich im Umkehrschluss für diejenigen schaffe, die ich dadurch vielleicht verdränge.“
Über den Tellerrand hinaus
Es sei wichtig „alternative Orte oder sogenannte Toleranzräume“ zu schaffen, „damit Straßenszenen nicht unkontrolliert verdrängt werden. Wenn ich ein Quartier aufwerte, beispielsweise durch neuen Wohnraum, Büros, Geschäfte, Restaurants, steigen auch die Mieten. Für die einen entsteht ein attraktives Umfeld, das Sicherheit signalisiert, für die anderen, wie ärmere Menschen oder Obdachlose, können dadurch aber neue Unsicherheiten entstehen.“ Es brauche also einen 360-Grad-Blick auf Angsträume und „man muss sich die Frage beantworten: Für wen will ich Sicherheit schaffen?“ Architekten und Planer müssten noch mehr für das Thema Sicherheit sensibilisiert werden, so Lukas: „Für Städte ist es hilfreich über den Tellerrand zu schauen. Was machen andere Städte? Was läuft dort erfolgreich? Wie kann man das für die eigene Stadt nutzen?“
Solange sich in Hagen nichts ändert, trifft Sofie eigene Vorkehrungen für ihr Sicherheitsgefühl. „Ich gehe nie ‚unbewaffnet‘ aus dem Haus. Ich habe immer eine Trillerpfeife dabei. Das bringt natürlich auch nur eine gefühlte Sicherheit“, gibt sie zu. Wenn sie den letzten Bus nach Hause nicht bekommt, teilt sie sich mit anderen ein Taxi. Sie sieht die Stadt in der Pflicht etwas gegen das Entstehen von Angsträumen zu tun. „Es würde helfen, wenn es überall ein bisschen sauberer wäre und häufiger Nachtbusse fahren würden. Dann würde man schnell und sicher ankommen und müsste nicht lange im Dunkeln an der Haltestelle warten.“
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