Hagen. Angst zu haben, ist nicht schön. Warum sie ein guter Ratgeber ist – und wann sie Überhand nimmt, verrät Angstforscher Prof. Jürgen Margraf.
Prof. Jürgen Margraf, geboren in Korbach, ist seit 2009 Inhaber einer Humboldt-Professur, dem Lehrstuhl für Klinische Psychologie und Psychotherapie der Ruhr-Universität Bochum. Er gilt als Experte auf dem Gebiet von Angst und Angststörungen. Ein Gespräch.
Was ist Angst, Herr Professor Margraf?
Angst ist eines unserer wichtigsten Grundgefühle. Wenn wir Angst verspüren, dann erhöht sich in der Regel der Blutdruck, die Muskelspannung und die Herzfrequenz steigen. Der Körper wird auf schnelles Handeln vorbereitet, auf Kampf oder Flucht. Das dritte Handlungsschema ist die Schreckstarre. Diese Varianten sind sozusagen vom Körper vorgegeben, alles läuft stark automatisiert ab.
Ist Angst gut oder schlecht?
Angst ist erst einmal gut, Angst ist gesund, Angst ist wie Blutdruck: Jeder Mensch hat sie, nur zu viel oder zu wenig davon ist ungesund. Das ist plausibel: Menschen, die Gefahren nicht ausreichend würdigen, überleben mit geringerer Wahrscheinlichkeit als die, die immer aufpassen. Angst ist durchaus ein wichtiger Ratgeber. Ein berühmter Extrem-Bergsteiger sagte mal zu mir: Ohne Angst wäre ich nicht mehr am Leben.
Warum haben Menschen, die gefährliche Hobbys haben – wie der Bergsteiger -, scheinbar weniger Angst als andere?
Die Wahrnehmung ist systematisch verzerrt. Was wir freiwillig machen, was uns bekannt ist und alltäglich vorkommt, das unterschätzen wir. Der Gleitschirmflieger wird immer sagen, dass er sich auskennt, dass er die Sache unter Kontrolle hat. Dinge, denen wir unfreiwillig ausgesetzt sind, die wir nicht kennen, überschätzen wir aber wiederum in ihrer Gefahr. Jemand kann größere Angst vor der Radioaktivität eines Castortransportes in 100 Kilometern Entfernung haben als vor den Zigaretten, die er bei der Erzählung raucht – obwohl die ihn viel sicherer unter die Erde bringen.
Ist Angst erlernt oder genetisch vorbestimmt?
Es ist ein Zusammenspiel von Erbe und Umwelt. Ein Beispiel: Wilde Affen haben Angst vor Schlangen, weil es sich um Fressfeinde handelt. Zahme Affen, die noch nie eine Schlange gesehen haben, haben diese Angst nicht. Wenn der zahme Affe aber sieht, wie verängstigt der wilde Affe auf den Anblick einer Schlange reagiert, dann übernehmen statistisch gesehen zwei von dreien diese Angst schon beim ersten Versuchsdurchgang. Es gibt eine genetische Vorbereitung, das eine mit dem anderen zu verbinden, es besonders schnell zu lernen. Die Angst vor Schlangen und Spinnen lernen auch wir Menschen schneller als andere Ängste.
Wann nimmt die Angst Überhand?
Sie ist krankhaft, wenn sie übertrieben stark oder lang anhaltend ist, wenn sie ohne ausreichenden Grund auftritt, wenn ich sie nicht mehr kontrollieren kann. Und: Sie muss ein Leiden auslösen. Das bedeutet: Man kann zwar unangemessene Angst vor Spinnen haben, aber den meisten Menschen gelingt es ja durchaus erfolgreich, nicht mit Spinnen in Kontakt zu kommen, sodass die Angst kaum eine Rolle im Alltag spielt. Das ist bei den sogenannten Angststörungen anders.
Welche sind das?
Es gibt die generalisierte Angststörung, bei der die Betroffenen exzessiv grübeln und sich Sorgen machen – und aus dieser Spirale nicht herauskommen. Beispiel: Ich mache mir Sorgen, meinen Job zu verlieren, und wenn das passiert, dann wird mich sicher auch meine Frau verlassen, die Kinder werden darunter leiden und in der Schule versagen und am Ende lande ich auf der Straße.
Welche gibt es noch?
Bei spezifischen Phobien ist es die Angst vor einer bestimmten Sache: Spinnen, Höhe, Aufzüge. Es gibt Panikstörungen, bei denen die Betroffenen wie aus heiterem Himmel Panik bekommen. Dies geht einher mit Herzrasen, Atemnot, Schwindel. Zu nennen wären auch noch die posttraumatische Belastungsstörung, die auf ein Trauma zurückgeht, die Zwangsstörung wie zum Beispiel der Waschzwang und die sozialen Phobien, wenn ich also zum Beispiel nicht vor Gruppen sprechen kann.
Wie kann man Ängsten begegnen?
Wenn die Angst zum Gefängnis wird, dann sollte man etwas unternehmen und sich Hilfe holen. Die Konfrontation mit der konkreten Angst ist ein Kernelement der Therapie. Viele Ängste können sehr gut, sehr schnell und mit nachhaltigem Erfolg behandelt werden.
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