Hagen. So transparent wie möglich sein. Und Flüchtlinge schnell selbst Wohnungen suchen lassen. Experte sagt, was Kommunen besser machen können.

Schwelm, Schmallenberg-Nordenau, zuletzt Kirchhundem, und natürlich Arnsberg-Oeventrop: Städte beziehungsweise Dörfer, die in den vergangenen Wochen und Monaten für Schlagzeilen in der Region gesorgt haben, weil Bürgerinnen und Bürger an der Einrichtung von Flüchtlingsunterkünften Kritik geäußert hatten, weil sie sich nicht mitgenommen fühlten. Überforderte Kommunen, überforderte Bürger überall? Oder gibt es auch die Städte, in denen die Unterbringung problemloser läuft?

Boris Kühn beschäftigt sich mit dieser Frage. Er ist Wissenschaftler an der Universität Hildesheim, kennt aber auch die Praxis gut, er war Integrationsbeauftragter in der baden-württembergischen Kleinstadt Mössingen. Und Kühn war beteiligt an einer größeren Recherche, die deutschlandweit die Situation in Kommunen analysiert hat. Zudem hat er sich auch die Berichterstattung dieser Zeitung aus den vergangenen Wochen angeschaut. Fünf Thesen, wie es besser laufen könnte.

1. These: Kommunen, die auch in Zeiten geringerer Flüchtlingszahlen die Infrastruktur aus dem Jahr 2015/16 erhalten haben, sind aktuell besser vorbereitet.

Die stichprobenartige Recherche, an der der Wissenschaftler beteiligt war, hat erkennen lassen, was nötig ist, um die Herausforderung möglichst gut zu stemmen. Zwei Beispiele aus der direkten Nachbarschaft Südwestfalens: „Die Stadt Wuppertal arbeitet langfristig mit privaten und kommunalen Wohnungsgebern zusammen. Man mietet Wohnungen zur Unterbringung in großer Zahl an, die oft nach einer Übergangsfrist auch an Geflüchtete übergeben werden können. So ist man derzeit auch gut vorbereitet, um Menschen möglichst schnell aus den Sammelunterkünften heraus dezentral unterzubringen.“ Außerdem halte die Stadt zumindest in kleinem Rahmen Zusatz-Kapazitäten vor. Das helfe dagegen, dass Kommunen schnell zur Notmaßnahmen greifen müssten.

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Ein anderes positives Beispiel aus Sicht des Wissenschaftlers: Im Landkreis Marburg-Biedenkopf „ist man in Teams aus verschiedenen Fachbereichen schnell und proaktiv auf Wohnungsakquise gegangen.“ Und generell helfe eine gute Verzahnung der Bereiche Unterbringung und Integration bei der Krisenbewältigung.

2. These: Je intensiver und früher die Kommunikation zu Flüchtlingsunterkünften startet, desto geringer die Gefahr von Problemen und Protesten.

Ob in Schwelm oder zuletzt in Kirchhundem: Bürgerinnen und Bürger äußern Kritik, weil sie spät oder schon gerüchtweise von der geplanten neuen Flüchtlingsunterkunft im Ort hören. Boris Kühn erkennt das Problem. „Es ist oft die Angst der Kommunalverwaltung, die die Reaktionen der Bevölkerung fürchten. Dabei kann man sagen: Je transparenter eine Kommune vorgeht, desto besser. Es sickert ohnehin oft durch, es wird spekuliert – und das führt zu einer großen Unsicherheit und Unzufriedenheit bei den Bürgerinnen und Bürgern. Aber die kann man durch frühestmögliche und umfassende Transparenz eingrenzen.“

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3. These: Es ist besser, Geflüchtete bekommen frühzeitig die Möglichkeit, sich selbst flexibel um eine Wohnung zu kümmern.

„Auch das Auszugsmanagement ist entscheidend“, sagt Boris Kühn. „Wenn die Fluktuation hoch genug ist, dann haben die Kommunen in der Regel weniger Probleme mit den Sammelunterkünften. Die Geflüchteten ziehen aus und die Plätze werden wieder frei“. Kommunen mit eigenen Wohnungsbaugesellschaften seien oft im Vorteil, da sie Wohnungen gezielt für Geflüchtete zur Verfügung stellen könnten und direkten Einfluss auf die Bautätigkeit hätten. Der Wissenschaftler Kühn plädiert aber auch für eine Lockerung der Pflicht, in Unterkünften zu leben: „Wenn Geflüchtete selbst nach Wohnraum suchen dürfen, dabei auch die Kontakte in ihrer Community nutzen und zum Beispiel im freien Zimmer beim Schwager in einem ganz anderen Landkreis unterkommen können, dann kann das sehr effektiv sein.“

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Man habe dies im vergangenen Jahr bei den Geflüchteten aus der Ukraine gesehen. Auch wenn diese es sicherlich leichter hätten, Wohnraum zu finden. Aber auch die Wohnsitzauflage für anerkannte Flüchtlinge sei zu starr. Sie beschränkte deren Wohnungssuche auf eine bestimmte Gemeinde. Um zu verhindern, dass einzelne ohnehin schon belastete Städte dann an ihre Grenzen kommen, würde es – so Boris Kühn – reichen, wenn das Land dann speziell für diese Kommunen Zuzugsbeschränkungen erlassen würde.

4. These: Ehrenamtliche Hilfe ist kein Beiwerk, sondern zentraler Bestandteil einer gelingenden Integration.

Wenn die Not groß ist, wenn viele Geflüchtete schnell untergebracht werden müssen, ist dann die Einbindung von Ehrenamtlichen, von Flüchtlingsinitiativen etc. ein Luxus? Müssen da nicht nur Profis am Werk sein? Die wissenschaftliche Befragung, an der Kühn beteiligt war, zeichnet ein anderes Bild: „Es erleichtert alles, wenn man auf ein breites Netzwerk zurückgreifen kann. Die Initiativen und Netzwerke mit ihren Kontakten können auch dabei helfen, Wohnraum zu finden und so die Flüchtlingsunterkünfte zu entlasten.“ Auch aus seiner Zeit in Süddeutschland als Integrationsbeauftragter habe er die Erfahrung: „Da kommen natürlich viele Menschen, die Kritik äußern wollen. Aber es sind auch meist die da, die helfen wollen. Und dieses Potenzial sollte jede Kommune nutzen.“

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5. These: Wie groß das Problem für Kommunen flächendeckend ist, ist unklar.

Die Kommunen in Deutschland sind flächendeckend überfordert mit der Unterbringung von Flüchtlingen. Trifft der Satz zu? Boris Kühn ist skeptisch. Wie groß das Problem sei, könne man für ganz Deutschland derzeit gar nicht sagen. „Es gibt keine quantitative Studie, nach der man sagen könnte: Soundsoviel Prozent der Kommunen sind überlastet und in soundsoviel Prozent der Kommunen läuft es relativ problemlos.“ Klar sei, es gebe Kommunen mit erheblichen Problemen, im Zweifel würden diese aber auch eher in der medialen Öffentlichkeit stehen. „Wir bräuchten dringend solch eine Studie.“

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