Meschede. Wissenschaftler und Kulturleute diskutieren die Herausforderungen von KI. Warum sie uns viel Energie kosten wird, ganz wörtlich.

Die Sache mit dem Brief bringt das Problem auf den Punkt. Wer einen Brief mit der Hand schreibt, stellt schnell fest, wo die Herausforderung liegt: Er oder sie muss seine Gedanken ordnen, muss wissen, was er sagen will. Der Mensch lernt von der Hand ins Hirn. Das geht immer mehr verloren, denn niemand schreibt mehr manuell. Die Digitalisierung gaukelt dem Individuum vor, bereits alles zu können und zu wissen. Und jetzt erobert auch noch Künstliche Intelligenz (KI) den Alltag. Wie geht die Gesellschaft damit um?

Das sind Fragen, die den Hochschullehrer Prof. Dr. Stephan Breide von der Fachhochschule Südwestfalen in Meschede und den Musik- und Medienproduzenten Ulrich Rützel aus Eslohe umtreiben. Breide zitiert Alphabetisierungsstudien: „In Ägypten ist die Alphabetisierungsquote schlechter als in Namibia. Das liegt unter anderem daran, dass es in Ägypten mehr Smartphonebesitzer gibt, die Videos auf dem Handy gucken. Technologie führt nicht dazu, dass Leute eher Lesen, Schreiben und Rechnen können. Wenn KI als Workaround, als Problemumgehung, dient, stecken wir in Schwierigkeiten.“

Geniebegriff ist bsolet

Ulrich Rützel gehört zu den Pionieren der elektronischen Musik, er hat die ersten Tage der Sampler und Synthesizer als Verleger und Produzent begleitet und das weltweit erste internationale Multimediafestival Ars Electronica mitbegründet. Rützel weiß, dass eine Technik allein noch keine Kreativität freisetzt und dass der Geniebegriff in der Musik längst obsolet ist, denn unsere Hits werden von Algorithmen erzeugt, die aus erfolgreichen musikalischen Bausteinen neue Melodien und Rhythmen zusammensetzen. „Es ist alles schon komponiert worden. Wir müssen KI von uns aus so steuern, dass da Ergebnisse rauskommen, die uns glücklich machen. Es ist sowas von langweilig, was wir mit der digitalen Kunst derzeit treiben“, kritisiert er.

Als Wissenschaftler hat Breide, Elektrotechnikingenieur für Kommunikationsnetze, das Breitbandkompetenzzentrum NRW als Forschungsprojekt der Fachhochschule Südwestfalen eingerichtet, das unter anderem die Landesregierungen seit mehr als 15 Jahren berät. „Es gibt kaum einen Bereich, der so kreativ ist wie Nachrichtentechnik“, sagt er. In mehreren Kunstprojekten haben er und Rützel mit Schülern die Schnittstellen von Kreativität und Digitalisierung ausgelotet und kritisch hinterfragt, zuletzt in der Ausstellung „Meta-Trips durch Korridore“ in der Fachhochschule und mit dem Technik- und Kulturprojekt „Dampflos Digital“ am Gymnasium der Benediktiner in Meschede.

Welche Gesellschaft wollen wir?

Dabei ging es auch um die Frage, welche Gesellschaft wir mit den neuen Technologien aufbauen. Breide: „Für mich war sehr interessant, dass viele der schulischen Arbeiten eine eher depressive Grundstimmung hatten. Die Protagonisten gehen beispielsweise durch eine zerstörte Stadt, sie haben alle eine VR-Brille auf und sehen nur das Schöne.“ Auch für Hochschullehrer ist Künstliche Intelligenz eine Herausforderung. Breide: „Es geht nicht darum, in einer Schule Kindern beizubringen, wie man ein Smartphone bedient. Es geht darum, ihnen beizubringen, dass sie erkennen, ob das, was im Smartphone steckt, wichtig oder relevant für sie ist.“

Wie wollen Professoren künftig Studierende motivieren, selbst etwas zu lernen, wenn alles Wissen scheinbar problemlos abrufbar ist und Erkenntnisgewinn als anstrengend, nicht als lustvoll betrachtet wird? Breide: „Die Technologie, die hinter KI steckt, finde ich interessant und spannend. Aber es kann die Gesellschaft ziemlich zerlegen. Die Herausforderung besteht darin, Menschen beizubringen, dass sie eine Grundbildung brauchen, um mit KI umzugehen.“

Sensibles Thema

Das Thema ist sensibel, es betrifft viele Bereiche. Am Beispiel der Kunst lässt es sich gut diskutieren. Gedichte, Romane, Gemälde: Künftig alles von Künstlicher Intelligenz geschaffen? Ulrich Rützel: „Wenn die KI als Werkzeug genutzt wird, ist das ja in Ordnung. Wenn ich KI nutze, um eine neue Farbpalette zu erfinden, dann ist das ok. Aber wenn es sich verselbstständigt, sehe ich die Gefahr, dass keiner mehr etwas zuwege bringt.“

Weniger diskutiert wird der Einfluss von KI auf die bereits jetzt allgegenwärtigen Propaganda-Desinformationskampagnen in den sozialen Medien. Russische Computerbots sollen etwa in Großbritannien massiv Stimmung für den Brexit erzeugt haben. Wie erkenne ich, ob ein Bild manipuliert, eine Nachricht erfunden wurde? „Man kann mit KI nur sinnvoll umgehen, wenn man bereits eine gewisse Grundbildung hat. Wie soll Digitalisierung etwas richten, wenn man keine eigenen Ideen hat“, erläutert Breide. Am Beispiel gefälschter Fotos gibt es Untersuchungen, dass ältere Menschen eher in der Lage waren, ein manipuliertes Bild zu erkennen. „Die älteren haben einen anderen Erfahrungsschatz, daher haben sie die gefälschten Bilder erkannt.“

Neue Art der Kritikfähigkeit

Demokratisch herausfordernd ist die Vorstellung von Bürgern, die von Künstlicher Intelligenz in ihrer Wahrnehmungsblase gehalten werden, die keine Berührungspunkte mehr mit anderen Erfahrungen haben und auch die Meinungen und Parolen, die KI ihnen als Fakten vorspielt, nicht hinterfragen. Breide: „Ich denke, es ist die Aufgabe der Gesellschaft, eine neue Art der Kritikfähigkeit zu erzielen, selbst denken zu können. Das Smartphone ist eine faszinierende Erfindung, aber es hat dazu geführt, dass die Leute häufig nicht mehr selbst denken. Es ist ja immer alles dabei.“

Ein weiterer Aspekt der Künstlichen Intelligenz wird kaum diskutiert: „KI wird uns sehr viel Strom kosten, das können wir nicht absehen“, sagt der Elektrotechniker Breide. „Im Moment ist die Digitalisierung insgesamt vielfach ein Teil des Klimaproblems und bietet keine kurzfristige Lösungen. Das ist eine Aussage, die man belegen kann. Hier ergibt sich noch ein großer Forschungs- und Entwicklungsbedarf“.