Kirchhundem. Missbrauch, Diskriminierung, toxische Macht gelten als Ursachen für die Kirchenaustritte. Was Pater Siegfried Modenbach vom Kohlhagen dazu sagt.
Die schleppende Aufarbeitung des sexuellen Missbrauchs, die Diskriminierung von Frauen und Homosexuellen, das Verhalten von Kardinal Woelki sowie toxische Machtstrukturen gelten als Gründe für die erdrutschartigen Austritte von Katholiken aus ihrer Kirche. Doch unter Priestern werden noch weitere Faktoren diskutiert. Pallottiner-Pater Siegfried Modenbach vom Geistlichen Zentrum Kohlhagen in Kirchhundem berichtet im Interview von der Ursachenforschung unter Priestern.
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Sie bauen derzeit mit Pater Jürgen Heite das neue Wallfahrtszentrum Kohlhagen auf. Wie erleben Sie die Kirchenkrise?
Pater Modenbach: Ich bin immer erstaunt. Auf der einen Seite steht der große Exodus, die große Kirchenkrise. Auf der anderen Seite kommen viele zu uns auf den Kohlhagen, die eine spirituelle Sehnsucht haben, welche sie in ihren Gemeinden nicht leben können. Deshalb ist „die Kirche“ kein gutes Schlagwort.
Wie meinen Sie das?
Da sollten wir genauer hinsehen. Es gibt ja nicht nur „die Kirche“ mit ihrem Versagen. Man findet durchaus Orte in der Kirche, wo es Antworten gibt. Die Menschen, die zu uns kommen, suchen ja etwas. Es gibt immer noch viele Orte, wo Menschen geistige Nahrung finden können. Allerdings sind manche Gemeinden so mit ihren Strukturreformen befasst, dass sie gar keine Zeit mehr für das Spirituelle haben, so dass am Ende nur noch die Verwaltung übrig bleibt und Seelsorge fast nicht mehr möglich ist.
Sie meinen, die Empörung über den Missbrauch und seine Vertuschung ist nicht die einzige Ursache für den Exodus?
Es kommt noch ein Punkt hinzu: die Entfremdung vom Glauben und von der Kirche. Das ist ein langfristiger Prozess. Und es gibt eine wachsende Ablehnung von Autoritäten und dogmatischem Auftreten. Viele haben schon lange keine tiefe Bindung mehr an den Glauben. Und wenn es dann auch finanziell schwieriger wird, ist der Austritt nur noch Formsache.
Jetzt gehen die Engagierten
Die Gemeinden berichten allerdings, dass jetzt die Engagierten gehen, die tief Gläubigen. Und zwar nicht, weil sie nicht mehr glauben, sondern weil sie die Institution nicht mehr ertragen. Widerspricht das Ihrer These?
Manche Mitbrüder sind vermutlich auch selbst schuld, wenn keiner mehr in die Kirche kommt. Die Leute können heute selbst denken, die lassen sich nicht mehr vorführen. Und wir schaffen es nicht mehr, so althergebrachten Begriffen wie Schöpfung, Gnade, Sünde und Erlösung eine Bedeutung für die Menschen zu geben. Die müssen neu übersetzt werden, das sind Worthülsen geworden. Auch in der Verkündigung liegt manches im Argen. Vielleicht ist das auch so, weil es noch gar keine Qualitätskontrolle gibt in diesem Bereich.
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Kommen die Ausgetretenen zu Ihnen auf den Kohlhagen?
Auch wer ausgetreten ist, ist bei uns herzlich willkommen. Ein wichtiger Punkt ist, dass viele Menschen Antworten aus dem Evangelium suchen. Wenn man das Geheimnis von Kreuz und Auferstehung feiert, öffnet sich ein Horizont, der das eigene Leben übersteigt. Es geht nicht um die Kirche, es geht um die Botschaft. Wir sagen eben ausdrücklich: Die Ausgetretenen sind herzlich willkommen, und wir halten es für wichtig, dass die Leute das wissen. Wir denken, dass die Kirche für die Menschen da sein muss, egal, ob sie ausgetreten sind oder nicht. Viele erleben bei uns Kirche auch anders.
Die Stunde der Ordensgemeinschaften
Schlägt in der Krise die Stunde der Ordensgemeinschaften?
Viele Ordensleute und die Einrichtungen, in denen sie arbeiten, sind nicht so verstrickt in Strukturfragen. Wir haben das Glück, dass es ein super Miteinander gibt zwischen dem Erzbistum und uns Pallottinern. Und Ordensleute sind oft viel freier und offener, als es sonst in der Kirche erlebt wird. Kirche braucht Vielstimmigkeit, katholisch heißt allumfassend. Das passt nicht zusammen mit Engstirnigkeit. Es darf ruhig in der Kirche unterschiedliche Tempi geben in der Ausrichtung. Kirche in Afrika hat ganz andere Themen als Kirche in Deutschland. Deshalb kann ich das Argument „Wir sind doch Weltkirche!“, dann, wenn Reformen verweigert werden, nicht mehr hören. Kirche in den verschiedenen Ländern, Gesellschaften und Kulturen ist unterschiedlich aufgestellt, deshalb kann es keine einstimmigen Antworten geben und muss es auch nicht.