Lennestadt. Endlich hat Winnetou eine Freundin! Sie heißt Lilo und ist ein junges Gänsegeiermädchen. Wieso das Elspe-Festival auf den Geier gekommen ist.
Weiß der Geier, wo dieser Vogel hinfliegt. Lilo weiß es tatsächlich: Quer über Gebüsch und Felsen, direkt auf den wartenden Handschuh ihrer Falknerin zu, ungerührt von den Menschen und den Schüssen unter ihr. Die junge Gänsegeierdame mit der beeindruckenden Flügelspannweite von drei Metern ist nicht nur eine von zahlreichen tierischen Darstellern beim Elspe-Festival, sie ist Winnetous Freundin, der Star von „Unter Geiern“.
„Die Explosionen, die Musik, das hat die Lilo zweimal gemacht, dann hatte sie es verstanden“, verrät Lysan Hochgürtel stolz. Die 18-Jährige kommt von der Greifvogelstation Hellenthal in der Eifel und betreut Lilo während ihres Gastspiels bei den Karl-May-Festspielen in Lennestadt-Elspe. „Wir haben Lilo vom Schlupf an für diese Aufgabe ausgebildet.“ Lysan ist so etwas wie die Mutter für Lilo, die schon als Küken von ihr auf eine Metallschüssel geprägt wurde. Sie weiß, dass die Schüssel Futter bedeutet. Also fliegt sie auch in Elspe die Schüssel an, die Lysan in den Händen hält.
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Menschliche Bösewichte
Dass die menschlichen Bösewichte als Geier tituliert werden und mit dem Stücktitel „Unter Geiern“ also Menschen gemeint sind, die sich niederträchtig verhalten, kann das Elspe-Festival nicht einfach so stehen lassen. Die Gangster locken ihre Opfer in die Wüste und überfallen sie dann, wenn sie geschwächt und wehrlos sind. Doch so würde sich ein tierischer Geier niemals verhalten. Geier sind nicht boshaft. Als Aasfresser erfüllen sie eine wichtige Funktion in empfindlichen Ökosystemen. Die Vögel sind hochintelligent, wie man an Lilo sieht.
Das Elspe-Festival plant seine Inszenierungen weit im Voraus und arbeitet seit langem mit der Greifvogelstation in Hellenthal zusammen. Lilo ist also schon im Ei für ihre Rolle bestimmt worden. „Wir haben sie von Anfang an geschult, zunächst ist sie über kleine Distanzen geflogen, dann haben wir immer größere Entfernungen angesetzt, zunächst von Dach zu Dach, dann ist sie über die hauseigene Schlucht geflogen, damit man den Weitflug trainiert und sie einige Brustmuskeln aufbaut.“
Der Startpunkt muss höher liegen
Lilos Startpunkt muss immer höher liegen als der Landepunkt, alles andere wäre zu anstrengend. In einer Kiste wird sie dorthin transportiert, am Ziel wartet Lysan mit einer zweiten Kiste und der Belohnung. Zu ihrem ersten Flug startet Lilo vom Tunnelberg aus, und die Falknerin erwartet sie fürs Publikum unsichtbar hinter dem Saloon. Vor jeder Vorstellung muss allerdings auch Lysan Hochgürtel in Maske und Kostüm. Falls einmal etwas passiert, Lilo unplanmäßig landet oder verwirrt ist, kann sie unauffällig auf die Bühne laufen und ihrem Vogel helfen. „In den Proben ist sie einmal voll im Elan gestrandet, weil sie mich nicht mehr sehen konnte. Da hat sie sich erst einmal hingesetzt und geguckt: Oh, wo bin ich.“ Aber toi toi toi, in den Vorstellungen läuft bisher alles nach Plan. Zur Sicherheit erhält der Vogel vor jeder Show einen kleinen Peilsender.
In der Inszenierung spielt der Geier eine bedeutende Rolle. Lilo ist die Verbündete von Winnetou, sie hilft ihm, die menschlichen Geier matt zu setzen, die durch ihr Verhalten ihren Vogelnamen so übel entwürdigen. Die Botschaft ist klar: Selbst die Natur ist mit den Guten und lehnt sich gegen die Gewalttäter auf. Gerade in den indianischen Kulturen ist der Geier ein bedeutendes Symboltier für Mut und Wahrhaftigkeit und das Jenseits. Eine Geiermutter würde alles tun, um ihre Jungen zu beschützen. In Elspe weiß Winnetou, wie wichtig die Geierfreundin für ihn ist. Jean-Marc Birkholz‘ Rappe Kuba ist extra dafür trainiert worden, in Gegenwart des Geiers ruhig zu bleiben. Denn bei ihrem zweiten Flug über die Bühne liefert Lilo einen noch spektakuläreren Auftritt ab. Das Publikum kommt aus den „Ah“- und „Oh“-Rufen gar nicht mehr heraus.
Die schönsten Fotos von der neuen Inszenierung:
Alle Bilder: So spektakulär ist die neue Saison
Ehrfurcht und Nervenkitzel
Ehrfurcht. Nervenkitzel. Bestimmt auch Respekt und vielleicht sogar ein bisschen Angst. Das sind die Reaktionen, die Lilo auslöst. „Ich habe mit den Darstellern gesprochen. Es ist für sie etwas Besonderes, wenn ein Geier über einem fliegt“, sagt Lysan Hochgürtel. Für die junge Falknerin ist es hingegen ihr Berufsalltag. Sie beginnt nach der Saison in Hellenthal ihre Ausbildung zur Zootierpflegerin, ihr Traumberuf. „Von Kind an war mir klar, dass ich mit Tieren arbeiten möchte. Ich habe jetzt meinen Schulabschluss gemacht und bin direkt in Hellenthal gelandet.“ Lilo ist nicht der einzige Vogel aus der Greifvogelstation, den die Elspe-Gäste bewundern dürfen. Im Rahmenprogramm tritt Lysan in der Show „Horses and Hawks“ auf, fliegt ihre Vögel und demonstriert zusammen mit Cheftiertrainerin Sarah Kühne, wie Pferde und Vögel aneinander gewöhnt werden. „Wir haben noch zwei Wüstenbussarde, einen Weißkopfseeadler und einen Virginia-Uhu hier, damit Lilo nicht alleine ist. Die Tiere haben an der Rodeo-Arena ihre Volieren und Plätze für tagsüber draußen. Ich versorge sie den ganzen Tag.“
Lilo ist ein Bühnenprofi
Was passiert mit Lilo, wenn die Saison in Elspe vorbei ist? Muss sie dann in Rente? Lysan verrät, dass Lilo ein richtiger Bühnenprofi ist. „Sie war schon in verschiedenen TV-Produktionen zu sehen. Wenn eine Fernsehproduktion einen Geier braucht, werden wir bestimmt Lilo noch einmal sehen.“Lysans Geschichte könnte ja selbst auf einer Bühne spielen. Denn warum entscheidet ein junges Mädchen, dem die Welt offen steht, sich dafür, ihr Leben an Vögel zu binden? Dahinter steht ein uralter Menschheitstraum: „Die Faszination? Da gibt es zwei Punkte. Ich liebe Tiere. Und ich bin absolut glücklich, wenn ich sehe, wie viel Freiheit diese Vögel haben. Ich verbinde das Fliegen mit Freiheit.“
Das Stück „Unter Geiern“ läuft noch bis zum 3. September bei den Karl-May-Festspielen in Lennestadt-Elspe. Karten und Info: www.elspe.de