Iserlohn. Vom Aaronstab zum Linsengericht: Warum es im Bibelgarten in Iserlohn-Letmathe nur Pflanzen mit christlichem Bezug gibt.
Und Gott sprach: Es lasse die Erde aufgehen Gras und Kraut, das Samen bringe, und fruchtbare Bäume, die ein jeder nach seiner Art Früchte tragen, in denen ihr Same ist auf der Erde. Und es geschah so. (1. Mose)
Der brennende Dornbusch gibt Astrid Dicke noch einige Fragen auf. Welche Pflanze mag sich hinter der alttestamentarischen Bezeichnung verbergen? „Man geht davon aus, dass es sich um den Sennastrauch oder den Diptam handelt. Die sind beide reich an ätherischen Ölen und können sich in der Hitze selbst entzünden. Die Pflanze verbrennt nicht, das ist nur so ein Züngeln.“ Astrid Dicke (73) und ihre Mitstreiterinnen haben an der Friedenskirche in Iserlohn-Letmathe in jahrelanger Arbeit einen Bibelgarten geschaffen, der laut Landschaftsverband Westfalen-Lippe zu den 25 schönsten und interessantesten Gärten in Südwestfalen gehört.
Hier gibt es die schönsten Fotos vom Bibelgarten:
Gartenserie: Der Bibelgarten in Iserlohn-Letmathe
Ein Paradies mitten in der Stadt
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Mitten im Stadttrubel scheint an der Südseite der Friedenskirche die Zeit stillzustehen. Betörend weht der Duft von sieben Sorten Minze und den zahlreichen Rosen unter das Platanendach zu den Bänken, auf denen müde Nachbarn sich im Grünen erquicken können oder Besucher bei Führungen den Informationen der Gärtnerinnen lauschen. Der Bibelgarten in Letmathe birgt eine überbordende Fülle an Wissen und Informationen. „Gott setzte den Menschen in den Garten Eden, auf das er ihn bebaue und bewahre. Wir sehen es als unsere Aufgabe, ein kleines Stück vom Paradies zu bewahren“, sagt Astrid Dicke.
110 Pflanzen in der Bibel erwähnt
110 Pflanzen werden in der Bibel erwähnt, um die 100 Gewächse gedeihen im Bibelgarten, die Anzahl ändert sich immer wieder, denn beim Gärtnern lernt man Demut. „Die Puffbohnen sind dieses Jahr nicht gekommen.“ Und Gottvertrauen: „Wir hatten anfangs vier Olivenbäume, die uns aus Portugal vermittelt wurden. Denen war es zu kalt, zwei sind eingegangen. Einer von denen, die wir vor zehn Jahren schon aufgegeben hatten, treibt jetzt wieder aus. Das ist das Wunder des Lebens.“
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Der Garten ist nach symbolischen Gesichtspunkten angelegt, Zahlen spielen dabei eine wichtige Rolle. Sieben Pflanzengruppen werden vorgestellt, von Obstbäumen bis zu Dornen und Disteln. Drei schwarze Maulbeerbäume stehen für die Dreifaltigkeit. Die vier Evangelisten werden von den vier Dachplatanen vertreten. Und die Apostel dürfen natürlich nicht fehlen. Es gibt elf Apfelbäume und einen Judasbaum. Die sieben wichtigsten Nahrungsmittel der biblischen Zeit sind Emmer, Urweizen und Gerste, Olivenbaum, Granatapfel, Feige und Dattel. Die Dattelpalme würde in Iserlohn erfrieren, aber der Granatapfelstrauch gedeiht, er blüht fleißig und alle sind gespannt, ob und wann er Früchte ansetzt. Den Feigen geht es an der Südseite der Kirche richtig gut, sie tragen reichlich.
Erzengelwurz
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Doch Astrid Dicke und das Bibelgartenteam pflegen nicht nur original biblische Gewächse, sondern alles, was einen Bezug zum Christentum hat: Die Gladiole als Apostelblume, Barbarakraut, Erzengelwurz, daneben will Astrid Dicke noch Teufelsabbiss setzen. Und natürlich Efeu, der die Auferstehung symbolisiert, weil eine Pflanze mehrere hundert Jahre alt werden kann. „Die frühen Christen betteten deswegen ihre Verstorbenen auf Efeu.“ Hildegard von Bingens Kräuterkunde beeinflusst den Garten ebenso wie die Ex-Nonne Katharina von Bora, die Ehefrau Martin Luthers, welche als Mutter des deutschen Pfarrgartens gilt.
Luthers Apfelbaum
Dem Reformator selbst wird der hoffnungsvolle Spruch zugeschrieben: „Wenn ich wüsste, dass morgen die Welt unterginge, würde ich heute noch ein Apfelbäumchen pflanzen.“ Der Bibelgarten versteht sich als gelebte Utopie und Raum der Begegnung. Hier werden Taufen und Trauungen gefeiert, Passanten kommen ins Gespräch, Kinder lernen, was wächst und warum.
Ist’s nicht so: Wenn er ihn geebnet hat, dann streut er Dill und wirft Kümmel und sät Weizen und Gerste, ein jedes, wohin er’s haben will, und Dinkel an den Rand? (Jes 28,25)
Der Garten steckt voller Geschichten. Der Dill, von dem der Prophet Jesaja spricht, war wohl Schwarzkümmel. Die Passionsblume wiederum entfaltet in ihrer Blüte die ganze Symbolik des Leidens Christi. Auf diese Interpretation kamen die Jesuiten, welche die Blume als Missionare in Südamerika kennen lernten und ihr den lateinischen Namen Passiflora incarnata gaben, so Astrid Dicke.
Ein Lesepult aus Metall
Die Vermittlung spielt eine große Rolle im Bibelgarten. Bei Führungen wird der biblische und christliche Kontext der Pflanzen den meist staunenden Besuchern erläutert. Aber an jedem Gewächs gibt es auch eine Hinweistafel, teils mit Verweis auf die Bibelstelle. Und an einem großen Lesepult zum Umblättern können die Gäste die Bibelstellen vor Ort nachlesen. Zum Beispiel diese: (1. Mose, 25,29-34)
Da gab ihm Jakob Brot und das Linsengericht, und er aß und trank und stand auf und ging davon. So verachtete Esau seine Erstgeburt.
Gemeinhin gilt die Sache mit dem Linsengericht als Gleichnis für ein besonders schlechtes Geschäft. Esau tauscht etwas Höherwertiges (Erstgeburt) gegen etwas Niederwertiges (Linsengericht) ein. Im Bibelgarten erfährt man jedoch, dass die Erzählung noch eine weitere Ebene hat. Astrid Dicke „Man kann zeigen, wie mühsam es ist, Linsen anzubauen. Es sind ja nur zwei Samen in einer Schote, das ist für die Kinder wichtig. Ein Linsengericht ist also durchaus etwas Besonderes.“
Weltweites Netzwerk
Die Iserlohner sind Teil einer weltweiten Gemeinschaft. Allein in Deutschland gibt es (Stand 2019) 160 Bibelgärten, die Anzahl fluktuiert allerdings. In den USA hat dieses Gartenkonzept eine lange Tradition. In einem eigenen Netzwerk tauschen die Gärtnerinnen und Gärtner ihr Wissen aus. „Den Leuten zum Anfassen und Schauen begreiflich machen, wie gut es uns geht“, ist ein Anliegen des Bibelgartens in Letmathe.
Zwölf Jahre Arbeit stecken in dem Projekt. Die Zukunft ist ungewiss. Astrid Dicke: „Das Problem ist, dass wir zu wenig Ehrenamtliche haben, die den Garten regelmäßig pflegen und mitbetreuen. Meine Sorge ist, ob man den Garten weiter halten kann, wenn unser Team altersbedingt nicht mehr kann.“