Wacken/Möhnesee. Wacken 2023 wird ein Kultjahr. Wer es auf den Patz geschafft hat, darf sich auf die Schulter klopfen. Wie feiern die Auserwählten?
Der heilige Gral wird mitten im Nirgendwo gehütet, im hohen Norden, weit weg von den Lifestyle-Kathedralen der modernen Welt. „In dem Moment, wo wir als vorletztes Auto auf das Gelände geschleppt wurden, als wir merkten, dass wir es schaffen, war die Stimmung schon besonders, ganz euphorisch, wir hatten eine Riesenvorfreude“, sagt Elmar Redemann, Sportredakteur unserer Zeitung, der mit drei Freunden aus der Gemeinde Möhnesee zu den rund 50.000 Auserwählten gehört, die auf dem Holy Ground, dem heiligen Acker von Wacken, feiern dürfen. Die Sauerländer haben es geschafft. Mitten in den Matsch.
- Hier die besten Fotos:
Wacken-2023: Metal-Fans liefern sich Schlammschlacht
Für Wacken ist den Metal-Fans kein Weg zu weit. Sie fliegen aus Thailand oder Kanada ein, kommen von Norwegen, Italien oder aus der Schweiz mit dem Zug, dem Auto oder dem E-Lastenrad. 85.000 Besucher hatten Karten gekauft, jetzt dürfen wegen des Regenwetters nur 50.000 feiern. Wacken versinkt im Schlamm. In den sozialen Medien ballt sich der Frust. Wer aus den USA kommt und nun draußen bleiben muss, wer 24 Stunden lang im Stau gestanden hat und nun wieder nach Hause fahren soll, ist wütend oder traurig oder beides.
- Lesen Sie auch:
- Von Bochum mit dem Rad in den Schlamm
Autos, die an Treckern hängen
„Jedes einzelne Auto musste mit einem Trecker an Ort und Stelle gezogen werden. Man kann sich vorstellen, wie lange das dauert. Autos, die an Treckern hängen, sind das große Thema hier“, beschreibt Redemann die Situation auf dem Platz. „Wenn ein Krankenwagen benötigt wird, muss auch der mit dem Trecker zur Stelle gezogen werden, so sind die Umstände. Da kann man verstehen, dass die Veranstalter aus Sicherheitsgründen zugemacht haben.“ Ohne Gummistiefel läuft gar nichts in Wacken 2023. Und tiefergelegte Audis haben auch mit Traktoren keine Chance. „Wir haben die Planung nicht auf die leichte Schulter genommen, wir haben uns im Vorfeld viele Gedanken gemacht, was wir mitnehmen.“
Erstmals geht das Festival in diesem Jahr von Mittwoch bis Samstag über vier Tage. Und erstmals überhaupt musste der Einlass nicht nur für Fahrzeuge, sondern auch für Fußpilger gestoppt werden. Die Sauerländer haben es durch Glück und Zufall auf den heiligen Acker geschafft, weil sie schon in der Nacht zu Dienstag aufgebrochen sind. So kamen sie gut durch Hamburg und waren vor dem großen Stau in der Nähe des Geländes bei Itzehoe in Schleswig-Holstein.
Geheimtipps für Festival-Veteranen
Zum vierten Mal sind sie beim Heavy-Metal-Olymp, kennen also bereits die Geheimtipps, zum Beispiel, wann die Duschen sauber sind. Sie brauchen auch nicht im Matsch zu schlafen, denn hinter dem Bully hängt ein Klappwohnwagen. Davor haben sie eine Bierzeltgarnitur unter einem Wettersegel aufgebaut. An dem Ensemble weht die Fahne der Schützenbruderschaft St. Pankratius Körbecke.
Denn auch das ist Wacken: nicht nur Headbanging, Saufen, gefährlich aussehende Jungs und Mädels auf dem Highway to Hell, sondern auch Schützenfahne und Blasmusik. Elmar Redemann, der im Spielmannszug der Freiwilligen Feuerwehr Möhnesee-Körbecke aktiv ist, und seine Freunde haben auf ihren Festivalkutten das Abzeichen des Musikzugs der Freiwilligen Feuerwehr Wacken aufgenäht, der traditionell das Festival eröffnet. „Wacken ist bunt, das kann man wirklich so sagen, schwarz-bunt.“
Und alle trainieren ihre Beine. Denn zwischen Bühnen, Sanitäranlagen und Zelten läuft ein Wacken-Pilger rund 25.000 Schritte am Tag. „Du watest die ganze Zeit durch fast knietiefen Matsch. Das ist unheimlich anstrengend, ein richtiges Workout. Wir werden hinterher alle knackige Oberschenkel haben.“
Iron Maiden als Hauptattraktion
Trotz der Vorfreude auf 160 Bands und Solo-Acts aus 29 Ländern, darunter Iron Maiden als Hauptattraktion, liegt eine gewisse Wehmut wie ein Schleier über dem Festival-Mittwoch. Wo sich sonst fröhlich Zelt an Zelt reihte, gibt es nun nasse Wiese und Morast. „Alle, die hier sind, sind selig, dass sie es geschafft haben, aber sie feiern anders als sonst“, sagt Elmar Redemann. „Was man merkt, ist die Solidarität in Richtung derer, die jetzt fehlen. Wir helfen uns gegenseitig. Hilfsbereitschaft war in Wacken immer sehr ausgeprägt, aber in diesem Jahr rückt man noch näher zusammen. Jetzt sind wir eine große Familie.“
So krass war es noch nie
Echte Wacken-Pilger sammeln Erfahrungen wie Trophäen. 2005 und 2015 waren wetterbedingt anstrengende Jahre. „Aber so krass wie dieses Jahr war es noch nie. Das wird ein Kultjahr. Da kann man sich auf die Schulter klopfen, dass man dabei ist und hat viel Mitgefühl mit denen, die umkehren mussten.“
Elmar Redemann und seine Gruppe haben auch persönlichen Grund zur Wehmut. Denn die Vierte im Bunde, Elmars Schützenkönigin von 2015, hat es nicht geschafft. Sie wollte mit dem Zug nachkommen und sitzt nun allein Zuhause.