Paderborn/Olpe. Heftig kritisierte Tafel zur Missbrauchs-Vertuschung zweier Kardinäle aus Paderborner Dom gestohlen. Wie Erzbistum und Betroffene reagieren.
Wie soll die Kirche mit berühmten Entscheidungsträgern umgehen, die in ihrer Verantwortung Leid über andere gebracht haben? Eine Hinweistafel erinnert im Paderborner Dom jetzt an Fehler im Umgang mit sexuellem Missbrauch. Die Tafel steht in der restaurierten Krypta und soll auf die Verfehlungen der dort bestatteten Erzbischöfe Lorenz Jaeger (1941-1973) und Johannes Joachim Degenhardt (1974-2002) aufmerksam machen. Kurz nach ihrer Installation wurde sie bereits gestohlen, vermutlich am Sonntag, so das Erzbistum gestern. Denn die „Missbrauchstafel“ ist umstritten.
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Ihre Aufstellung erfolgte auf Anregung der Missbrauchs-Betroffenen im Erzbistum. Das Domkapitel und der Vorstand der Betroffenenvertretung hatten dies gemeinsam beschlossen. Das Thema sorgt bundesweit für Schlagzeilen.
Schwere Fehler im Umgang mit Opfern
Ein erster Zwischenbericht des unabhängigen Forschungsprojektes zu Missbrauch im Erzbistum Paderborn bescheinigt den Kardinälen Jaeger und Degenhardt schwere Fehler im Umgang mit dem Thema Missbrauch. Täter wurden versetzt, Opfer unter Druck gesetzt: „Durch die Versetzungspolitik hat man in Kauf genommen, dass sich Dinge wiederholen, und genau das ist dann ja auch leider immer wieder passiert. In manchen Fällen hat es Vereinbarungen mit Staatsanwaltschaften gegeben, dass auf Bewährung verurteilte Täter nicht mehr in Gemeinden eingesetzt werden sollen, und dennoch ist das geschehen“, so Prof. Dr. Nicole Priesching, die das Forschungsprojekt an der Universität Paderborn leitet.
Außerdem sei durch Angehörige des Erzbistums Druck auf Betroffene und ihre Familien ausgeübt worden, keine Anzeige zu erstatten. Die Historikerin Christine Hartig ergänzt: „Es gab keinerlei Sensibilität für den Schaden, den die Kinder genommen haben. Nicht nur im Erzbistum, auch vor Gericht nicht. Bei Taten unterhalb der Vergewaltigung, die in der Regel mit einer Bewährungsstrafe geahndet wurden, gingen auch Gerichte davon aus, dass Kinder keinen Schaden genommen haben. Die Tat galt zwar als ungesetzlich, aber man dachte, es habe das Leben der Kinder nicht massiv beeinflusst. Das Leben eines Klerikers dagegen, der zu einer Bewährungsstrafe verurteilt worden ist, befand man als massiv beeinflusst, weil er in seiner Integrität infrage gestellt worden ist. Der Schaden wurde also beim Kleriker gesehen.“
Vom Erzieher missbraucht
Heinrich Maiworm weiß aus eigener Erfahrung, was die Worte der Wissenschaftlerinnen bedeuten. Der Olper wurde im Konvikt in Attendorn von einem Erzieher missbraucht. Der Angestellte verschwand aus dem Konvikt, nachdem sich Maiworms Eltern an den Ortspfarrer gewandt hatten. Doch der Mann wurde nicht aus dem Dienst des Erzbistums entlassen. Maiworm: „Jaeger hat seinen Mitarbeiter, der mich missbraucht hat, weiterversetzt. Weiter machen lassen. Der Mann war nach Auskunft des Interventionsbeauftragten ein Serientäter. Ob der Kardinal dafür in die Hölle kommt, ist mir gleichgültig. Aber jeder, der auch nur im Traum auf den Gedanken kommt, ihn zu verehren, sollte um seine Mittäterschaft wissen.“
Über einen QR-Code an der Tafel sollen Interessierte künftig digital vertiefend über die Forschungsergebnisse zur Verantwortung der beiden Kardinäle beim Thema Missbrauch informiert werden.
Betroffene gründen Interessensvertretung
Heinrich Maiworm hat zusammen mit weiteren Opfern die Betroffenenvertretung im Erzbistum Paderborn gegründet und ist einer der beiden Sprecher. Für den Umgang des Erzbistums mit den Betroffenen und für das Engagement zur Prävention findet er lobende Worte. „Wir sind sehr froh, dass wir mit dem Erzbistum, insbesondere mit Diözesanadministrator Bredeck, eine faire Gegenseite haben. Bredeck spricht mit den Betroffenen, er ist zu unserem Kaminabend gekommen und hat sich die Schicksale angehört, er hat zugehört. Viel wichtiger als Geld ist fast allen Betroffenen, dass die Kirche signalisiert: Wir haben dazu gelernt. Mit dem Vertuschen ist jetzt Schluss.“
Doch ausgerechnet zwei Ordensfrauen übten harte Kritik an der Tafel. Schwester Anna Mirijam Kaschner, die Generalsekretärin der Nordischen Bischofskonferenz, fragte in einem Gastkommentar für das Kölner Domradio, warum es nicht auch Tafeln an den Gräbern der Frauen gibt, die abgetrieben hätten. „Somit ist jene Missbrauchstafel in der Krypta des Paderborner Domes am Grabe der beiden Kardinäle letztlich nichts anderes als ein Zeichen des tiefen Unglaubens, dass Gott eben nicht gerecht ist und die beiden Kardinäle nicht zur Rechenschaft ziehen wird“, so Kaschner, die aus Werl stammt, in ihrem Kommentar. Auch Schwester Katharina Mock, die Generaloberin der Paderborner Vincentinerinnen, kritisierte die Hinweistafel in einem Leserbrief an die Kirchenzeitung „Der Dom“ als „Zugeständnis an den Zeitgeist“.
Wer hat die Tafel gestohlen? Ein konservativer Katholik? Ein aufgebrachter Kleriker oder eine Ordensperson? Beim Erzbistum in Paderborn reagiert man ärgerlich auf den Vandalismus. Der Sachschaden sei gering. „Beträchtlich höher werten wir den ideellen Schaden und auch die aggressive Art des Vorgehens“, so Sprecher Benjamin Krysmann. Krysmann weiter: „Wer die Tat verübt hat, ist nicht bekannt. Darum ist auch Motiv unklar. Sollte es ein Protest gegen die Hinweistafel sein, ist zu bedauern, dass dieser durch Zerstörung und Diebstahl ausgedrückt wird und nicht im Gespräch und Dialog. Es gibt im Augenblick sehr viele Reaktionen auf den Hinweis in der Krypta. Diese reichen von Zustimmung und Respekt, es gibt aber auch Ablehnung.“ Das Domkapitel bemühe sich um einen raschen Ersatz der Tafel: „In der Zwischenzeit wird auf Folgendes hingewiesen: ,Aufgrund eines Vandalismusschadens musste die Hinweistafel zu Erzbischof Kardinal Jaeger und Erzbischof Kardinal Degenhardt vorübergehend entfernt werden. Wir bemühen uns um einen zeitnahen Ersatz und bitten bis dahin um Ihr Verständnis.“
Betroffene: Kritik ist befremdlich
Die Betroffenen reagieren mit Befremden. „Uns ging es nicht um den Vorwurf des Missbrauchs gegen Jaeger und Degenhardt. Aber beide haben Täter gedeckt. Die Tafel soll zeigen: Wir machen da nicht mehr mit. Missbrauch durch Geistliche hat eine andere Fallhöhe als Missbrauch durch Sportlehrer“, so Heinrich Maiworm.
Innerhalb der Betroffenen-Vertretung habe es komplexe Diskussionen um das Thema gegeben. Den Text haben die Betroffenen entworfen: „Die hier beigesetzten Erzbischöfe haben während ihrer Amtszeit aus heutiger Sicht schwere Fehler im Umgang mit sexuellem Missbrauch begangen. Allzu oft haben sie Schutz und Ansehen der Institution und der Täter über das Leid der Betroffenen gestellt.“
Die Debatte um die Tafel verselbstständigt sich nun, und auch das irritiert die Paderborner Betroffenen. Johannes Norpoth zum Beispiel, der Sprecher des Betroffenenbeirats bei der Deutschen Bischofskonferenz, greift den Text von Schwester Kaschner in einem Offenen Brief hart an. Er wirft der Ordensfrau „nicht nur Ignoranz gegenüber der einschlägigen Forschung, sondern auch Mangel an traumasensiblem Umgang mit betroffenen Menschen“ vor. Mit den Paderborner Initiatoren der Tafel hat Norpoth hingegen nicht gesprochen. „Er hat das einfach über unseren Kopf hinweg gesagt“, so Maiworm.
Wie umgehen mit Kardinal Jaeger?
Viele Straßen sind nach Lorenz Jaeger benannt und mehrere Häuser, so auch das Jugend- und Gemeindezentrum in Olpe, wo Kirchenvorstand und Pfarrgemeinderat ebenfalls diskutieren, wie das Thema angesprochen werden kann, so Pfarrer Johannes Hammer, der Leiter des Pastoralen Raums Olpe Drolshagen. In Köln seien Hinweistafeln an den Bischofsgräbern im Dom kein Thema, so ein Sprecher des Domkapitels gegenüber der Katholischen Nachrichten Agentur. Im Kölner Dom sind unter anderen Kardinal Joseph Höffner und Kardinal Joachim Meisner beigesetzt, denen ein juristisches Aufarbeitungsgutachten ebenfalls Fehler im Umgang mit Missbrauch vorhält. Die Gruft sei nicht direkt zugänglich. Die Gräber seien schlicht gehalten und förderten keine Heroisierung, so der Sprecher.
Was machen die anderen?
Im Essener Dom stellt sich die Frage nicht, so Sprecher Ulrich Lota gegenüber unserer Zeitung. „Das immer noch junge Bistum Essen hat erst zwei Bischöfe im Essener Dom bestattet: Kardinal Franz Hengsbach und Bischof Hubert Luthe. Konkrete Beschuldigungen gegen beide Verstorbene sind bislang nicht bekannt. Insoweit sind entsprechende Hinweistafeln, wie es sie jetzt in Paderborn gibt, kein Thema für das Essener Domkapitel.“
In Münster hatte das Domkapitel als Folge der Erkenntnisse aus dem Münsteraner Missbrauchsgutachten die Bischofsgruft geschlossen. Nun ist sie wieder geöffnet. „Mit dieser Entscheidung ist noch nicht darüber befunden worden, wie man auf Dauer mit der Grablege und dem Thema einer angemessenen Erinnerungskultur umgehen muss“, sagte Weihbischof Christoph Hegge in einer Meldung des Bistums. Am Eingang zur Grablege wird es weiterhin einen Hinweis auf die schweren Fehler der Bischöfe im Umgang mit sexuellem Missbrauch geben.
Prävention ist wichtig
Für Heinrich Maiworm ist die Prävention wichtiger als die Aufarbeitung Und auf diesem Gebiet habe sich im Erzbistum Paderborn viel getan. „Ich fahre mit der Präventionsbeauftragten zu Schulungen und muss sagen: Prävention macht die katholische Kirche besser als irgendjemand sonst.“
Heinrich Maiworm hat in Olpe einen Lesekreis „Austreten? Eintreten? gegründet. Jeden 2. Samstag treffen sich die Teilnehmer im Brauhaus. Am Obersee 4, in Olpe. Beginn ist am 12. August. Anmeldung: mail@LesekreisOlpe.de