Hagen. Zusammenarbeit mit der AfD? CDU-Parteichef Friedrich Merz rudert zurück. Warum manche Politiker aus der Region den Interview-Aussagen zustimmen.
Er sorgt wieder für Aufruhr: Am Sonntagabend spricht CDU-Chef Friedrich Merz sich im ZDF-Sommerinterview für einen pragmatischeren Umgang mit gewählten Amtsträgern der AfD auf kommunaler Ebene aus. Am Montagmorgen rudert er zurück, schreibt auf Twitter: „Um es noch einmal klarzustellen, und ich habe es nie anders gesagt: Die Beschlusslage der CDU gilt. Es wird auch auf kommunaler Ebene keine Zusammenarbeit der CDU mit der AfD geben.“
Mit seinen Äußerungen hat Merz eine Diskussion losgetreten, selbst aus den eigenen Reihen erntet er viel Kritik. Doch es gibt auch Parteimitglieder, die ihm zustimmen. CDU-Politiker aus der Region vertreten unterschiedliche Ansichten.
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Eberhard Fisch (Brilon) begrüßt Vorstoß „grundsätzlich“
Der CDU-Fraktionsvorsitzende im Rat der Stadt Brilon, Eberhard Fisch, begrüßt „grundsätzlich“ den Vorstoß von Friedrich Merz und hofft, dass der Parteichef der Christdemokraten trotz des Gegenwindes „nicht zurückrudert und seiner Linie treu bleibt“. Merz habe lediglich eine Zusammenarbeit mit der AfD auf kommunaler Ebene ins Spiel gebracht, wenn diese einen demokratisch gewählten Landrat oder Bürgermeister stelle.
„Was wäre die Alternative?“, fragt Fisch, „wollen wir uns aus Prinzip gegen den Wählerwillen stellen und mit einer Fundamentalopposition für fünf Jahre Stillstand sorgen?“ Fisch nennt das Beispiel einer Verwaltungsvorlage für ein neues Baugebiet. „Wenn das nach einer kritischen Betrachtung Sinn macht und für dringend notwendigen Wohnraum sorgt, kann ich doch nicht dagegen stimmen, nur weil es von einem AfD-Mitglied an der Verwaltungsspitze kommt.“ Eine Zusammenarbeit mit einer AfD-Fraktion in einem Rat oder einem Kreistag schließt Fisch dagegen aus.
Matthias Eggers (Menden) fordert klare Kante
Matthias Eggers, Landtagsabgeordneter aus Menden, erwartet von seiner Partei einen deutlichen Standpunkt: „Als Christdemokrat habe ich eine klare und eindeutige Haltung: Mit einer Partei, die in ihrer Seele völkisch-national ist, rassistisch handelt, Hass und Hetze verbreitet und in ihren Reihen Rechtsradikale nicht nur duldet, sondern Nazis hofiert – mit dieser Partei darf es niemals Zusammenarbeit, Kooperation und gemeinsam abgestimmtes Handeln geben. Nicht in Europa, nicht im Bund, in keinem Bundesland und auch in keiner Kommune!“
Dass sein Parteichef tatsächlich eine Zusammenarbeit mit der AfD in Betracht zieht – sei es nur auf kommunaler Ebene – denkt Eggers nicht. „Ich denke, er wollte deutlich machen, dass wir uns auf veränderte Rahmenbedingungen einstellen müssen“, lautet seine Erklärung für die Äußerungen im ZDF von Merz. Er sei davon überzeugt, dass auch Merz die Zusammenarbeit strikt ablehne.
„Das muss auch konsequent nach außen betont werden“, so Eggers weiter. Wenn plötzlich der Eindruck entstünde, dass ein gewählter AfD-Bürgermeister in der Mitte der Gesellschaft stehe, sei das fatal. Klare Kante sei hier alternativlos, und der Parteitagsbeschluss schließe die Zusammenarbeit mit der AfD, aber auch mit der Links-Partei klar aus. Für ihn, das macht Eggers unmissverständlich deutlich, ist die AfD keine Alternative, und er ist sicher, dass die Kommunalpolitiker des Kreises dies ebenso sehen.
Sein Schlusswort auf Facebook: „Und wenn diese Partei in einem Landkreis, in einer Stadt oder Gemeinde, im kleinsten Kaff der Republik – auch durch demokratisch legitimierte Wahl einen Amtsträger stellt, dann ist es nicht Aufgabe der CDU, diesen bei der Ausübung seines Amtes zu unterstützen. Sondern vielmehr, alle demokratisch möglichen Mittel zu nutzen, sodass dieser Amtsträger sein Amt möglichst schnell wieder verlassen muss. Und dies schaffen wir nur durch eine glaubwürdige, ehrliche, berechenbare und verlässliche Politik! Denn für diese Eigenschaften steht die sogenannte Alternative im Kern schon mal gar nicht!“
Philipp Krause (Siegen-Wittgenstein): Arbeit kann nicht eingestellt werden
Philipp Krause, stellvertretender Kreisvorsitzender der CDU Siegen-Wittgenstein, stellt vorab direkt klar: „Wir schließen eine Zusammenarbeit mit der AfD – auch auf der kommunalen Ebene – ganz klar aus.“ Krause, zugleich im Amt des Stadtverbandsvorsitzenden für Kreuztal, bezieht sich hierbei ebenfalls auf den Bundesparteitagsbeschluss.
Es freue die örtliche CDU daher auch, dass Friedrich Merz seine Aussagen mittlerweile klargestellt habe. „Er konnte missverstanden werden“, so Krause. „Aber diese Brandmauer steht.“ Durch die Sozialen Medien, in denen häufig nur Ausschnitte des Interviews gezeigt würden, werde die Diskussion angefeuert, und es müsse nun deutlich gemacht werden, dass die CDU ihre Grundsätze nicht aufweiche. „Bei uns steht das C im Fokus. Wir sind lebensbejahend und auch für Integration und Zuwanderung“, erklärt der Politiker.
Merz sei ein Politikprofi, der sich unglücklich ausgedrückt habe – und bei der „Kritik“ aus den eigenen Reihen handelt es sich in Krauses Augen eher um flankierende Aussagen, die das präzisieren, was Merz sagen wollte. 2025 steht in NRW die nächste Kommunalwahl an, Krause erwartet in seinem Kreis zwar keine bösen Überraschungen aus dem rechten Spektrum, aber „,wenn in Siegen-Wittgenstein nun eine Kommune einen AfD-Bürgermeister hätte, können die anderen Parteien nicht sagen, wir gehen nicht mehr ins Rathaus und stellen die Ausschuss- und Ratsarbeit ein. Das ist nicht praktikabel und macht es nicht besser.“
Nur könne auch dann von Zusammenarbeit in Form von Kooperationen oder sogar Koalitionen nicht die Rede sein, denn diese werde es in Siegen-Wittgenstein nicht geben. Und auch Zerrissenheit oder Spaltung sehe Krause innerhalb seiner Partei nicht.
Peter Liese (Europa-Abgeordneter, Meschede): AfD gefährdet Wohlstand aller
Wie Philipp Krause begrüßt auch Peter Liese, dass Merz seine Äußerungen inzwischen relativiert hat. „Die Klarstellung, dass es auch auf kommunaler Ebene keine Zusammenarbeit mit der AfD gibt, war gut und wichtig“, so der Europa-Abgeordnete aus Meschede.
Unabhängig davon müsse man aber die Strategie in der Auseinandersetzung mit der AfD und deren Positionen anpassen. Liese will – auch mit Stimmen aus der Wirtschaft und den Gewerkschaften – den Wählern sehr viel stärker als bisher klarmachen, welche Konsequenzen es hätte, wenn die AfD an die Macht käme. Eine Regierungsbeteiligung der Rechtspopulisten würde „beispielsweise die dringend benötigten ausländischen Fachkräfte abschrecken und, bei einem EU-Austritt, unseren Wohlstand in Gefahr bringen“, sagte Liese und betonte: „All das hätte negative Auswirkungen auf jeden einzelnen Bürger.“
Markus Bröcher (Olpe): Merz-Vorgehen erneut „nicht geschickt“
Von einer Zusammenarbeit mit der AfD hält Markus Bröcher „gar nichts“, wie der Olper CDU-Ratsherr betont. Man müsse die Aussage des CDU-Chefs aber auch im gesamten Kontext sehen.
„Friedrich Merz bezieht sich nur auf Situationen, in denen AfD-Vertreter in führende Ämter – etwa zum Bürgermeister oder Landrat – gewählt werden. Ich engagiere mich kommunalpolitisch, solche Konstellationen sind ein Problem, gerade in den Bundesländern, in denen die AfD stärker ist. Wenn diese Partei den Bürgermeister oder den Landrat stellt, dann muss ich doch mit denen in irgendeiner Art und Weise kommunizieren“, sagt Bröcher und erklärt: „Ich muss nicht mit ihnen zusammenarbeiten, aber ich muss mit ihnen kommunizieren. Sonst kann ich keine Politik machen, kann nichts gestalten. Dann herrscht Stillstand, und das kann nicht im Sinne der Bürger vor Ort sein. Ich habe Friedrich Merz so verstanden, dass er auf diese Problematik hinweisen wollte.“
Gleichzeitig attestiert Bröcher Merz aber auch, erneut Fehler begangen zu haben. „Seine Kommunikation auch in dieser Angelegenheit war nicht geschickt, es ist aber auch nicht das erste Mal. Ähnlich war das bei seinen Äußerungen über ‚ukrainische Sozialtouristen‘ oder die ‚kleinen Paschas‘. Auch die wurden aus dem Kontext gerissen. Er müsste aber eigentlich clever genug sein, um solche Fehler zu vermeiden“, sagt Bröcher.
Marcel Tillmann (Hochsauerlandkreis): Zu keinem Zeitpunkt von Zusammenarbeit gesprochen
Eine klare Linie zieht auch Marcel Tillmann, Fraktionsvorsitzender der CDU im Hochsauerlandkreis: „Aus meiner Perspektive darf es keine Zusammenarbeit mit der AfD geben, das gilt sowohl für die Parlamente in Land, Bund und Europa, als auch für die kommunale Ebene“, sagt der Politiker und ergänzt: „Friedrich Merz hat gestern Abend zu keinem Zeitpunkt von ,Zusammenarbeit‘ auf kommunaler Ebene gesprochen, aber wohl zu viel Interpretationsspielraum gelassen, als er auf Probleme hinweisen wollte, die sich aktuell nach der Direktwahl von zwei AfD-Politikern in Thüringen und Sachsen-Anhalt ergeben. Es ist gut, dass er die etwas missverständlich formulierte Aussage noch einmal präzisiert hat.“
Was von außen häufig als Spaltung innerhalb der CDU interpretiert wird, sieht Tillmann nicht. „Ich merke im Moment, dass viele Bürger das Gefühl haben, dass die konkreten Probleme, vor denen sie stehen und die sie sehen, nicht hinreichend thematisiert werden“, erklärt der Fraktionsvorsitzende. Deswegen halte er es für wichtig, die Probleme und Sorgen der Menschen klar anzusprechen und konstruktive Lösungen anzubieten. „Daran arbeiten wir parteiintern gerade zum Beispiel mit Blick auf ein neues Grundsatzprogramm“, führt er weiter aus. „Die Meinungsvielfalt in der Partei ist dabei unsere Stärke, und nicht unsere Schwäche. Lösungen für die komplexen Fragen in unserem Land sucht man bei der AfD hingegen vergeblich.“
Schmälern lässt sich die wiedergewonnene Stärke nach der verlorenen Bundestagswahl auch durch dieses Vorkommnis Tillmanns Eindruck nach nicht. „Ich erlebe aktuell, dass die CDU wieder gut aufgestellt ist und auch inhaltlich breit diskutiert. Daran, dass dies in der Bundestagsfraktion und der Partei gelingt, hat Friedrich Merz einen großen Anteil“, ist seine Einschätzung.
Ob die Loyalität seitens der CDU im HSK für Merz auch im Zusammenhang mit der gemeinsamen Herkunft im Sauerland steht? Tillmann dazu: „Er ist der direkt gewählte Bundestagsabgeordnete im Hochsauerlandkreis und hier in der Region tief verwurzelt. Ich kenne ihn – trotz meines vergleichsweise jungen Alters – schon einige Zeit. Natürlich hat man da auch eine gute und enge Verbindung, die aber nicht nur daher rührt, dass man zufälligerweise dem gleichen Kreisverband angehört, sondern weil man ähnliche Prägungen und Werte teilt.“