Berlin. Lokal besetzt die AfD erste Regierungsämter, nun hofft sie auf die Ost-Landtagswahlen. Die anderen Parteien stürzt das in ein Dilemma.
Sonneberg und Raguhn-Jeßnitz sind zwei Namen, die viele Politiker mit Sorge auf 2024 blicken lassen. Im thüringischen Sonneberg stellt die AfD seit Kurzem ihren ersten Landrat, in Raguhn-Jeßnitz in Sachsen-Anhalt wurde Anfang Juli erstmals ein AfD-Politiker zum hauptamtlichen Bürgermeister gewählt. Im kommenden Jahr könnte die Partei weitere Erfolge feiern: Im Frühjahr finden Kommunalwahlen in allen ostdeutschen Bundesländern (außer Berlin) statt. Nach der Europawahl im Juni stehen in Sachsen, Thüringen und Brandenburg im September zudem Landtagswahlen an.
Angesichts der Wahlsiege in Sonneberg und Raguhn-Jeßnitz stellt sich die Frage: Kann die AfD auch anderswo regieren? „Bei den Kommunalwahlen wird die AfD im Osten sicher erhebliche Zugewinne erzielen und mancherorts stärkste Kraft in Stadtparlamenten und Landkreisen werden“, erwartet der Dresdner Politikwissenschaftler Hans Vorländer. „Deswegen wird die Partei dann auch den Anspruch erheben und Druck machen, in Machtpositionen zu gelangen.“ Das könne der AfD zudem Schwung für die Europawahl und Landtagswahlen geben.
Umfragen: In Sachsen, Thüringen und Brandenburg liegt die AfD vorne
Bei den Wahlen in Sachsen, Thüringen und Brandenburg hofft die AfD aufgrund aktueller Umfragen auf große Erfolge: In Sachsen regiert CDU-Ministerpräsident Michael Kretschmer mit Grünen und SPD. Bei der Wahl 2019 war die CDU mit rund 32 Prozent stärkste Kraft vor der AfD geworden, die ihr Ergebnis auf gut 27 Prozent verdreifachte. Letzten Umfragen zufolge hat die AfD die CDU im Wählerzuspruch überholt, das schwarz-grün-rote Bündnis von Kretschmer muss um seine Mehrheit fürchten.
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In Thüringen kommt die dort vom Verfassungsschutz als erwiesen rechtsextrem eingestufte und beobachtete AfD in einer Umfrage auf 34 Prozent. Hier regiert Ministerpräsident Bodo Ramelow (Linke) mit SPD und Grünen ohnehin schon in einer Minderheitskoalition. Die Parteien des Bündnisses liegen zusammen bei 35 Prozent, die CDU bei 21 Prozent. Stärkste Kraft in Brandenburg ist in einer aktuellen Umfrage ebenfalls die AfD mit 28 Prozent. Die SPD von Regierungschef Dietmar Woidke kommt auf 21 Prozent, die Koalitionspartner CDU und Grüne auf 18 beziehungsweise neun Prozent.
„Die AfD wird bei den Landtagswahlen stark sein, vielleicht sogar stärkste Kraft“, sagt Vorländer dieser Redaktion. „Aber dadurch wird sie ganz sicher nicht in Regierungspositionen in den Ländern kommen. Dafür fehlen ihr die Partner.“ Die CDU-Spitze lehnt ein rechts-konservatives Bündnis ab. Keine Zusammenarbeit mit der AfD: So lautet bisher die Ansage aus der Parteizentrale. Das Potenzial der AfD, die politischen Verhältnisse aufzumischen, ist dennoch enorm.
FDP-Chef Lindner: „Im Notfall könnte man noch die Linkspartei wählen“
Die Umfragen lassen erahnen, dass nach den Landtagswahlen im Osten schwierige Regierungsbildungen bevorstehen werden. Gewinnt die AfD einen großen Anteil der Wählerstimmen, stehen die anderen Parteien vor dem Problem, trotz inhaltlicher Differenzen immer größere Koalitionen bilden zu müssen, um ohne die AfD eine Mehrheit zusammenzubekommen.
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Von einem „Dilemma“ spricht Politik-Experte Vorländer: „Solche Bündnisse verstärken in den Augen mancher Bürger die populistische Erzählung der AfD von den ‚Altparteien‘, die sich nicht voneinander unterscheiden und die AfD und ihre Wähler ausgrenzen. Dadurch wird das Regieren nicht einfacher.“
Die Stärke der AfD beschäftigt die anderen Parteien intensiv, war am Mittwochabend sogar Thema im Koalitionsausschuss der Ampel. Nach einer Antwort auf den Höhenflug der AfD suchen die anderen Parteien aber noch. FDP-Chef Christian Lindner sagte kürzlich, niemand müsse aus sozialpolitischen Gründen seine Stimme der AfD geben. „Es tut mir in der Seele weh, es zu sagen, aber im Notfall könnte man noch die Linkspartei wählen“, riet Lindner, wollte dies aber nicht als Wahlempfehlung verstanden wissen.
„Blockademehrheit durchbrechen“: Öffnet sich die CDU zur Linken?
Die Linke könnte im Osten eine Rolle spielen, wenn nach den Landtagswahlen Mehrheiten ohne die AfD gesucht werden. „Wenn die Lage schwierig ist, muss man in der Lage sein, Gespräche zu führen“, sagte CDU-Vorstandsmitglied Mike Mohring aus Thüringen vor wenigen Tagen. „Wenn man die Blockademehrheit der AfD und der Linkspartei durchbrechen will, dann kann man nicht zwischen Mauern eingegrenzt sein. Sonst ist man zwar schön für sich allein, aber eben auch ohne Perspektive.“
Mohring bezieht sich damit auf den CDU-Beschluss, jegliche Koalition oder koalitionsähnliche Zusammenarbeit mit AfD und Linken auszuschließen. Bisher kommen von der CDU-Spitze um Parteichef Friedrich Merz keine Signale, daran etwas zu ändern.
Linken-Chefin Wissler: „Union hat massives Problem mit der Abgrenzung nach rechts“
„Die CDU muss besonders um ihr Profil fürchten, sollte sie gezwungen sein, am Ende sogar mit der Linken zusammenzuarbeiten, um eine Regierung gegen die AfD bilden zu können“, analysiert Vorländer. „Deswegen wird die Partei erst Abstand von dem Unvereinbarkeitsbeschluss nehmen, wenn sonst gar keine Regierung ohne die AfD zustande kommt.“
Im Moment stehen aber auch bei der Linken die Zeichen nicht auf Annäherung zur CDU. „Die Union hat ein massives Problem mit der Abgrenzung nach rechts, welche immer wieder deutlich wird“, sagt Linken-Chefin Janine Wissler dieser Redaktion. „Sie agiert teilweise als Stichwortgeber der AfD und übernimmt Vokabular und Habitus der Extremrechten.“ Die CDU rücke unter Merz „immer weiter nach rechts“. Fazit: Regieren wird die AfD auch nach den Wahlen auf Landesebene nicht. Aber das Regieren gegen die AfD wird absehbar schwerer.
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