Büren. Bei der Regionalkonferenz in Paderborn blieb Friedrich Merz seiner Linie treu. Weshalb der CDU-Chef die „Demokratie am Rand einer Krise“ sieht.
Nach der Intervention des Bundesverfassungsgerichts bei der geplanten Heizungsreform der Bundesregierung und einer turbulenten Debatte im Bundestag hat CDU-Chef Friedrich Merz der Ampelkoalition vorgeworfen, die Demokratie sowie das Ansehen Deutschlands in der Welt zu gefährden.
„Eine Regierung zu haben, die den Ansprüchen unserer Zeit so weit nachläuft, sich so streitet, so sehr auch das Ansehen im Inneren wie in Europa und darüber hinaus beschädigt, beschädigt nicht nur SPD, Grüne und FDP, das beschädigt unser Land, und das beschädigt damit uns alle, unabhängig davon, wo wir parteipolitisch stehen“, sagte Merz bei einer Regionalkonferenz seiner Partei am Flughafen Paderborn-Lippstadt.
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In den vergangenen Tagen war der Streit um die federführend von Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) vorgelegte Reform des Gebäudeenergiegesetzes (GEG) eskaliert. Erst hatte das Bundesverfassungsgericht auf Antrag aus den Reihen der Union die Abstimmung im Bundestag über das Vorhaben gestoppt, weil Fristen möglicherweise nicht eingehalten worden seien. Dann wurde – bei der letzten Sitzung des Parlaments vor der Sommerpause – der SPD-Abgeordnete Michael Schrodi am Freitag im Bundestag zu einem Ordnungsgeld von 1000 Euro verdonnert, weil er ausfällig gegenüber dem Bundestagspräsidium und der Unionsfraktion geworden sein soll.
Merz befürchtet Krise der Demokratie
Einen Tag nach diesem Eklat im Bundestag warf Merz der Ampel „Diskussionsverweigerung“ vor, weil unter anderem Bundeswirtschaftsminister Habeck der Bundestagssitzung am Freitag nicht beigewohnt hatte.
„Unser Wunsch war, dass ein größerer Teil der Bundesregierung – wenigstens der, der dieses Gesetz zu verantworten hat – an dieser Debatte teilnimmt. Selbst diesen Wunsch wollte uns die Mehrheit im Bundestag nicht erfüllen“, sagte Merz und erklärte: „Ich sage es mit großem Ernst und Bedacht: Wenn der Bundestag nicht wieder der Platz wird, an dem wir über die großen Fragen unserer Zeit diskutieren, wenn notwendig streiten und am Ende Entscheidungen treffen, wenn die Bevölkerung das Gefühl bekommt, die Politikerinnen und Politiker dieses Landes streiten sich nur, entscheiden wenig und reden häufig über die Köpfe der Menschen hinweg, dann haben wir es mit mehr als nur einer schwachen Regierung, vielleicht einer Regierungskrise zu tun. Dann ist unsere Demokratie am Rande einer Krise.“
„Doch, Herr Habeck, das ist ein Beinbruch“
Merz sprach auf der Regionalkonferenz in Ostwestfalen, die wie andere derartige Veranstaltungen der Ausarbeitung eines neuen Grundsatzprogrammes der CDU dienen sollen, von einem „vordergründigen Versagen einer demokratischen Ordnung“, wenn der Bundestag keine Entscheidungen treffen könne, weil entweder das Bundesverfassungsgericht interveniere oder das Parlament nicht beschlussfähig sei, weil „die Mehrheit im Bundestag schon im Urlaub“ ist.
Im Gespräch mit der Westfalenpost bot der Oppositionsführer den Regierungsfraktionen der SPD, Grünen und FDP eine Zusammenarbeit an, um einen „Minimalkonsens“ zu finden und künftig zu vermeiden, dass das höchste deutsche Gericht dem Parlament sagen müsse, wie die Tagesordnung zu gestalten sei. Ein solcher Vorfall, erklärte Merz, „ist letztlich ein Armutszeugnis für das Parlament – und zwar für uns alle. Deshalb möchte ich daran etwas ändern.“
Gleichzeitig attackierte Merz aber erneut die Ampel, insbesondere die Grünen. Diese wollten die Menschen umerziehen, die Transformation des Landes gegen die Bürger durchdrücken. „Was wir in dieser Woche erlebt haben, ist nicht nur das Scheitern zweier großer Energiegesetze dieser Koalition. Viel nachdenklicher muss doch die Rechthaberei stimmen, die damit einhergeht. Da ist keine Einsicht vorhanden, dass da in dem ganzen Verfahren etwas falsch gelaufen ist, sondern Herr Habeck erklärt, dass das (das Scheitern, d. Red.) kein Beinbruch sei. Doch, Herr Habeck, das ist ein Beinbruch“, sagte Merz.
Kritik an Ampel werde als „rechts diffamiert“
Zudem kritisierte der 67-Jährige in seiner Rede bei der Regionalkonferenz, für die sich mehr als 1000 Personen angemeldet hatten, den Umgang der Ampel mit Kritik aus den Reihen der Union. „Hören Sie auf, jede Kritik an dem, was Sie tun, als rechts zu diffamieren. Und hören Sie vor allem auf, in der Kritik am gesellschaftlichen Wandel, den Sie beschleunigen wollen und an dem Kritik dringend notwendig ist, gleich rechtsradikale Narrative zu sehen“, sagte Merz.
Dieser Appell dürfte insbesondere für das Thema Zuwanderung/ Integration gelten, das der Sauerländer als derzeit „wahrscheinlich größtes gesellschaftliches Problem“ bezeichnete.
Merz erklärte, dass Deutschland laut Zahlen des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (BAMF) bis zum 30. Juni dieses Jahres zusätzlich zu den Kriegsflüchtlingen aus der Ukraine mehr als 150.000 Asylbewerber aufgenommen habe, vor allem aus Syrien, der Türkei und aus Afghanistan. Hochgerechnet auf das ganze Jahr seien das 300.000 Asylbewerber. „Diese Zahl ist zu hoch, die muss runter“, sagte Merz und betonte: „Wenn wir wirklich ein ausländerfreundliches Land, ein integrationsfähiges Land bleiben wollen, kann es nicht dabei bleiben, dass wir eines der Länder in Europa sind, das auch proportional zur Bevölkerung mit die höchsten Flüchtlingszahlen hat. Das geht nicht, das muss reduziert werden. Und die, die hier auf Dauer keine Bleibeperspektive haben, müssen das Land auch wieder verlassen. Sonst wird der Zusammenhalt in dieser Gesellschaft ernsthaft gefährdet.“
Merz verweigert Entschuldigung
Dass es bei diesem Thema – das Merz auch als entscheidend dafür sieht, den Höhenflug der AfD zu stoppen – allerdings Widerspruch auch unter Unions-Anhängern gibt, erfuhr der CDU-Parteichef unmittelbar bei der Publikumsdiskussion auf der Regionalkonferenz.
Ein Mann mit Migrationshintergrund, der sich als Vertreter des Sportvereins SC Aleviten Paderborn vorstellte, verlangte von Merz eine Entschuldigung für dessen Aussage aus dem Januar, als der CDU-Chef Schüler mit Migrationshintergrund als „kleine Paschas“ bezeichnet hatte. „Das war eine Beleidigung für die erste Generation (der Einwanderer, d. Red.), die unser Land mit aufgebaut hat“, sagte der Mann.
Merz weigerte sich unter dem Applaus vieler Zuhörer, sich für seine Äußerung zu entschuldigen. Im Übrigen sei die Formulierung über die „kleinen Paschas“ nicht seine Wortschöpfung, sondern gehe auf eine Begegnung mit zwei Lehrerinnen aus dem Hochsauerlandkreis zurück.
„Die haben mir gesagt, sie werden mit diesen Leuten einfach nicht mehr fertig, sowohl mit den Schülern als auch mit den Eltern“, sagte Merz: „Das habe ich nur mal wiedergegeben, und deswegen werde ich auch in Zukunft Lebenssachverhalte, die an mich herangetragen werden, wiedergeben. Das gehört zur Politik dazu.“