Kirchhundem. Altes Gartenwissen kann helfen, den Klimawandel zu bewältigen. Wie das experimentelle Garten-Projekt Cultivarium in Kirchhundem funktioniert.
Das Cultivarium in Kirchhundem-Silberg ist ein experimentelles Gartenprojekt, das altes Wissen in neuen Formaten für die Zukunft nutzbar machen will. Angedockt an das Kulturgut Schrabben Hof mit Museum und Theater, versteht sich das Gelände rund um das historische Backes als interaktive Freiland-Werkstatt. Kindern und Erwachsenen werden mit Führungen, Kursen und Mitmach-Aktionen viele Kenntnisse über Wild- und Gartenpflanzen vermittelt, über essbare Blüten, urbanes Gärtnern und vor allem den nachhaltigen Umgang mit vorhandenen Ressourcen. Im Mittelpunkt stehen drei starke Frauen: die Musikerin Ulrike Wesely (54) als Gründerin und Leiterin des Kulturguts Schrabben Hof, Gudrun Hieber (54), Kräuterpädagogin sowie Facherzieherin für Natur- und Waldpädagogik, sowie die Agraringenieurin und Umweltpädagogin Anita Jung (60).
Viele Bilder aus dem Cultivarium in Kirchhundem
Anita Jung hält ein Kraut mit fedrigen Spitzen in der Hand. „Hier, probieren Sie mal. Gewürzfenchel. Die Blätter kommen in den Salat.“ Dann zeigt sie auf den einjährigen Majoran. „Den auf Bratkartoffeln, lecker!“ Und die weiße Melisse. „Die ist für Frauen, denen die Gedanken gerne weglaufen.“
Schmetterlingsgarten
Das Cultivarium ist in verschiedene Bereiche unterteilt: Der Schmetterlingsgarten und der mit kleinen Trockenmauern terrassierte Kräutergarten am Backes, das essbare Blumenbeet mit Ringelblume, Borretsch, Hornveilchen, Astern und Cosmea, die Vogelschutzhecke mit den kulinarisch nutzbaren Beeren Holunder, Vogelbeere und Weißdorn und die Experimentierecke, wo gezeigt wird, wie sich in alten Behältern auch mit wenig Platz etwas Grünes ziehen lässt und dass sich selbst eine ausrangierte Kloschüssel noch als Pflanztrog für die Erzengelwurz eignet. Der Frauenmantel fühlt sich dort in einer ehemaligen Blumenampel wohl. Anita Jung: „Die Tröpfchen, die man morgens auf den Blättern sieht, sind die Tränen gefallener Engel.“
Keine Pflanze steht zufällig hier, alle erfüllen mehrere Funktionen zugleich: Sie bieten Nahrung für Insekten, erfreuen Auge und Nase, und sie sind essbar. „Es ist überhaupt nichts gepflanzt worden, was keinen Hintergedanken hat. Die Besucher sind immer ganz überrascht: Wie? Löwenmäulchenblüten kann ich essen? Die sind der Hingucker im Juli“, sagt Gudrun Hieber.
Anita Jung ist auf die Heilwirkung der Pflanzen spezialisiert, Gudrun Hieber auf die Kulinarik. Die nächste Garten-Abteilung ist bereits in Planung: die Apotheke Gottes. Gudrun Hieber: „Es geht um die Sauerländer Wegkräuter, die am Wegesrand wachsen. Die holen wir hier hin, Löwenzahn, Schafgarbe, Beinwell, Beifuß.“ Wir kennen den Beifuß heute höchstens als Gewürz für die Weihnachtsgans, damit ist er aber völlig unterschätzt. Anita Jung: „Beifuß ist die Mutter aller Heilpflanzen, eine der wichtigsten Räucherpflanzen in allen Kulturen, von den Chinesen bis zu den Indianern, ein altes Hebammenkraut.“
Riesiges Potenzial
Das Schlüssellochbeet nach dem englischen Keyhole Garden bildet ein Kernstück des pädagogischen Konzeptes, denn es könnte eine Antwort auf die Klimakrise sein. Mit diesem Verfahren kann man auch bei stark erodierten Böden und Wassermangel ertragreich unterschiedliche Gemüsesorten anbauen, wobei zur Konstruktion lokal vorhandene Materialien verwendet werden, Steine, Äste, sogar Stroh. Mehrere Entwicklungshilfeorganisationen setzen bereits diese Beete ein, in deutschen Hobbygärten sind sie aber noch ziemlich unbekannt.
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Gudrun Hieber erläutert, wie ein Schlüssellochbeet funktioniert, im Prinzip wie ein Hochbeet, aber kreisrund. In der Mitte befindet sich ein zweiter kleiner Kreis, der mit Ästen oder einem Stück Drahtgitter abgetrennt wird. Hinein kommt, was sonst auf den Kompost wandert. Diese Mitte erreicht man über eine Aussparung, so dass die ganze Anlage an ein Schlüsselloch erinnert.
Durch die Aussparung kann man bequem den Kompostbereich befüllen. „Dann braucht man die Pflanzen nicht mehr extra zu düngen, die Wurzeln ziehen sich ihre Nährstoffe aus dem Kompost“, erläutert Gudrun Hieber. Auch gegossen wird über die Mitte, das spart Wasser. „Wir haben das Schlüsselloch-Beet mit vorhandenem Material gebaut, Pflastersteinen, Bruchsteinen. Außenherum pflanze ich immer rankende Kapuzinerkresse, das sieht so herrlich aus.“
Gemeinsames Jäten
„Die Besucher sind so glücklich, wenn sie hier sind“, zieht Ulrike Wesely eine erste Bilanz. Was allerdings noch besser klappen könnte, sind die gemeinschaftlichen Beetpflege-Aktionen zweimal im Monat. Gudrun Hieber: „Beim Unkrautjäten erfährt man viel über Kräuter, Blumen und Sträucher. Zum Abschluss gibt es kulinarische Leckereien aus dem Garten. Es läuft verhalten an.“
Gärtnern tut Leib und Seele gut und hilft der Umwelt. „Die Privatgärten haben ein riesiges Potenzial, die Insektenwelt zu retten“, verweist Gudrun Hieber auf den Mehrwert für das Klima. Anita Jung fügt den spirituellen Aspekt hinzu: „Beim Gärtnern ist man an einen Wachstumsprozess angedockt, das ist das Große dabei.“ Die Expertinnen möchten denen Mut machen, die sich bisher nicht trauen. Anita Jung: „Einfach anfangen. Es ist keine Zauberei.“ Gudrun Hieber: „Und nicht alleine anfangen. Zu zweit oder zu dritt macht es noch mehr Spaß.“
Das Cultivarium Schrabben Hof kann jederzeit besucht werden, spannender ist es allerdings, bei den Führungen, Kursen und weiteren Angeboten mitzumachen. Am 8. Juli ist ein Aktionstag. Als neuartiger interaktiver Garten wird das Cultivarium von der NRW-Stiftung, von der Dieter-Mennekes-Umwelt-Stiftung und weiteren Unterstützern gefördert. www.kulturgut-schrabbenhof.de