Wenden. Blumen hatten es schwer, in die Gärten einzuziehen. Denn der Garten muss die Familie ernähren. Warum jeder Garten ein Paradies ist.

In vielen alten Kulturen ist das Paradies ein Synonym für Garten. Der Garden-Eden-Begriff zeigt, wie sehr alles, was wächst, geschätzt wird, vor allem in Wüstengesellschaften. Der Garten ist ein umfriedeter Bereich, in dessen Schutz Obstbäume, Nutzpflanzen und Blumen gedeihen. Gab es schon immer Gärten in unserer Region? Und wie haben sie sich verändert? Dr. Roswitha Kirsch-Stracke aus Wenden ist Spezialistin für Freiraumentwicklung, gerade im ländlichen Raum. Sie ist Dozentin an der Fakultät für Architektur und Landschaft der Universität Hannover und weiß: Der Ziergarten ist nicht von alleine in die Dörfer gekommen. Und: Man musste es sich leisten können, ein Stück Land nicht mit Gemüse, sondern nur mit Blumen zu bepflanzen. Der Ziergarten bleibt lange etwas Besonderes.

„Außerhalb von Adelssitzen waren vor 150 Jahren reine Ziergärten parkähnliche Hausgärten, die zum Wohnen und ‚Angeben‘ da waren. Die kamen ab 1861 mit der Bahn, mit dem Wohlstand, zum Beispiel nach Lennestadt-Grevenbrück. Mit den Ziergärten hat man versucht, die Landschaftsgärten nachzuahmen, die während der Aufklärung seit dem späten 18. Jahrhundert beim Adel modern waren.“ Sie hatten dort in ihrer unregelmäßigen Gestalt die freie Landschaft‘ nachahmen sollen, einen Kontrast zum zuvor üblichen, regelmäßig angelegten Barockgarten.

Dr. Roswitha Kirsch-Stracke mit ihren Studierenden auf Exkursion: beim Besuch einer früheren solidarischen Landwirtschaft in Lennestadt-Elspe.
Dr. Roswitha Kirsch-Stracke mit ihren Studierenden auf Exkursion: beim Besuch einer früheren solidarischen Landwirtschaft in Lennestadt-Elspe. © Privat | Roswitha Kirsch-Stracke

In dieser Zeit entsteht der Beruf des „Kunst- und Landschaftsgärtners“. Gustav Heldmann aus Lennestadt-Grevenbrück gehörte zu den Pionieren in Südwestfalen. Er gründete 1886 eine Gärtnerei, die unter anderem „Obstbäume für raue Lagen“ anbot. „Heldmann und seine Kollegen versuchten, mit unterschiedlich gefärbten Laubgehölzen Perspektiven in den von ihnen angelegten Gartenanlagen herzustellen“, beschreibt Roswitha Kirsch-Stracke, wie die Idee des adeligen Landschaftsparks in die viel kleineren Gärten der wohlhabenden Bürger übertragen wird.

Lustgärten nur in Klöstern

Im Mittelalter gab es Lustgärten nur in Klöstern und vereinzelt auf Adelssitzen und an reichen Bürgerhäusern. Aber auch die klösterlichen Blumenbeete dienten nicht allein dem Lustwandeln, sondern vor allem der Kultivierung von Heilkräutern. Viele heutige Blumen galten im Mittelalter als Heilpflanzen. „Aber schon immer wurden auch besonders hübsche Wildpflanzen zur Zierde in die Gärten geholt. Zu den ersten gehörten Schneeglöckchen, Maiglöckchen, Akelei und Berg-Flockenblume“, schildert Roswitha Kirsch-Stracke. „Streifen mit Zierpflanzen gab es an den großen Bauernhöfen schon relativ früh, das haben die Bauern aus den Klostergärten und den adeligen Gärten übernommen. Und man hat versucht, die Struktur zu übernehmen, mit Wegekreuzen und Buchsbaumhecken. Das ist aber immer ein Zeichen von Wohlstand. Ob Blumen in den Garten einziehen, hängt davon ab, wie viel Platz man im Garten hatte und ob man es sich leisten konnte, Platz nicht für Gemüse einzusetzen.“

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Viele Faktoren spielen eine Rolle bei der Entwicklung der Gartenkultur im Sauerland, auch solche, die man gar nicht vermuten würde. „Im Raum Attendorn gilt das Anerbenrecht, das heißt, ein Hoferbe übernimmt den gesamten Hof. Dort haben Sie große Gärten an den Häusern. Auch in der Soester Börde findet man große Gärten direkt an den Höfen.“ Herrscht jedoch Realteilung (der Besitz wird an alle Kinder verteilt), befinden sich die Nutzgärten häufig nicht neben den Häusern, sondern außerhalb, da Immobilien und Flächen ständig gestückelt wurden. Solche Blöcke von Feldgärten waren bis in die 1960er Jahre im südlichsten Sauerland zu finden.

Eine Frage der Topographie

„Die Frage der Topographie spielt ebenfalls eine große Rolle. In den Flusstälern konnten die Leute quadratische Gärten anlegen, die dem heutigen Klischee eines Bauerngartens entsprechen. Aber geht man in die Hanglagen, ist von diesem Klischee kaum noch etwas zu finden, die Gärten sind dreieckig, fünfeckig oder halbrund, was die Topographie eben hergibt.“

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Die Industrialisierung und der Bahnbau revolutionieren die Freiraumgestaltung, völlig neue Nutzungskonzepte kommen dazu. Die wachsende Gruppe der Arbeiter braucht Kleingärten, die entstehen entlang der Bahntrassen. Die Lebensreform treibt Menschen aus der Stadt zur Erholung aufs Land, der Tourismus entsteht. „Die Freizeit wurde erfunden. An den Gasthäusern entstanden aus den ehemaligen Obstwiesen Gartenwirtschaften. Und an den Bauernhöfen wurden aus den Obstwiesen Liegewiesen für die Touristen. Die Mechanisierung hatte eingesetzt, der große Hofraum vor dem Bauernhaus wurde weniger als Arbeitsraum benötigt, und so gibt es hier auf einmal Platz für ein Gärtchen mit Laube für die Sommerfrischler, so nachzuweisen etwa im Repetal“, hat Roswitha Kirsch-Stracke erforscht.

Die Freizeit wird erfunden

Die Freizeit und das Bedürfnis nach Erholung und Geselligkeit in der arbeitsfreien Zeit bringen weitere Neuerungen in der Freiraumgestaltung hervor, zum Beispiel die Sportplätze und die Schützenfestplätze. Die Parnemannsche Kaltwasserheilanstalt in Lennestadt-Elspe wird die erste Kneipp-Anlage in ganz Westfalen. Die Dorfbewohner werden aufgefordert, die Misthaufen hinter die Häuser zu verlegen, damit das Dorf für die Touristen schön aussieht.

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Bei Garten- und Obstbau spielen hingegen auch die reformpädagogischen und Volksbildungsbemühungen des 19. Jahrhunderts eine Rolle. Pfarrer und Lehrer leisten Bildungsarbeit auf den Dörfern, zum Beispiel im Obstbau, die ersten Töchterschulen entstehen. Gartenbau und Hauswirtschaft gehören zusammen, der Garten dient ja nicht der Selbstverwirklichung, sondern der Ernährung der Familie.

Fürchterliche Trends

„In der Gartenkultur spiegeln sich zeitlicher Wandel sowie räumliche und soziale Unterschiede“, diese Erkenntnis zu vermitteln, ist Roswitha Kirsch-Stracke wichtig. „Was wir heute als typischen Bauerngarten betrachten, hat es nur bei wohlhabenden Bauern gegeben und nur in ebenen Lagen. Wir haben eine große Vielfalt an Formen.“ Durchaus kritisch blickt die Wissenschaftlerin auf die Gartengestaltung von heute: „Es gibt so fürchterliche Trends, zum Beispiel die Schottergärten. Das Problem ist, dass so wenige Kenntnisse da sind und so wenig Lust am Experimentieren besteht. Warum haben so viele Leute Angst vor einer Wiese? Man sät ein, mäht einzelne Bereiche zu unterschiedlichen Zeiten, und schon wachsen die Blumen.“