Lüdenscheid. Der Petitionsausschuss des Deutschen Bundestages zu Gast in Lüdenscheid: Die Abgeordneten zeigen sich entschlossen, Stadt und Region zu helfen.
Um zu wissen, was man kann und ist, hilft es manchmal ja auch, zu wissen, wer oder was man nicht ist. Axel Echeverria, Bundestagsabgeordneter aus dem Ennepe-Ruhr-Kreis II, leistet also durchaus einen brauchbaren Beitrag mit seinem hübschen Vergleich. Der SPD-Mann führt am Dienstagmorgen diesen höchst außergewöhnlichen Ortstermin an: Die große Politik aus dem großen Berlin ist im Sauerland zu Gast. Genauer: In Lüdenscheid an der Kreuzung von Altenaer Straße und Lennestraße, wo die Lkw oft Schlange stehen an der Ampel. Im dröhnenden Lärm des Verkehrs sagt Echeverria: „Wir sind nicht Caesar.“
A45 - Rahmedebrücke von oben
Das ist nun nicht völlig überraschend, aber es hilft zumindest beim Verständnis auf dem Weg dorthin, welchen Nutzen der Termin hat: Der Petitionsausschuss des Deutschen Bundestages beschaut sich die Lage an der Bedarfsumleitung in Lüdenscheid, über die sich seit der Sperrung der Autobahn 45 wegen der maroden Talbrücke Rahmede der Verkehr quält und wo mancher Bürger am Rande des Nervenzusammenbruchs steht.
Neubau der Talbrücke Rahmede dauert noch mindestens bis 2026
Wunder römischen Ausmaßes sind aber nicht zu erwarten: Caesar hat einst ein 400 Meter langes Bauwerk über den Rhein angeordnet – angeblich soll es in nur zehn Tagen fertig gewesen sein. Mindestens drei Jahre wird der Neubau der Rahmedetalbrücke aber im Lüdenscheid der Gegenwart noch dauern. Da ist der Einfluss des Petitionsausschusses begrenzt.
+++ Lesen Sie auch: Sprengung – In diesem Haus wohnte Ersan Acar +++
Trotzdem ist der Besuch offenbar weder eine Alltäglichkeit noch ohne jeden Effekt. Er hievt Lüdenscheid auch in Berlin zurück auf die Tagesordnung – so die Hoffnung. Mindestens 12.000 Petitionen erreichen den Bundestag im Jahr, bei vielleicht einem oder zwei Dutzend kommt es zum Vor-Ort-Termin. Höchstens fünf schaffen es, im Plenum des Deutschen Bundestages diskutiert zu werden.
Einstimmiges Votum nötig, damit es Lüdenscheid ins Plenum des Bundestages schafft
„Wir werden nächste Woche ein Gespräch ansetzen und alle Player an einen Tisch bringen“, sagt Echeverria. Mit einem einstimmigen Votum gelangt Lüdenscheid ins Plenum. „Ich gehe Stand jetzt davon aus, dass die Chancen gut stehen“, sagte Echeverria entschlossen und stellvertretend für die Delegation, die zudem aus den Abgeordneten Nezahat Baradari (SPD), Martina Englhardt-Kopf (CSU), Florian Müller (CDU), Anja Liebert (Grüne), Manfred Todtenhausen (FDP) und Dirk Brandes (AfD) besteht.
+++ Rahmedetalbrücke nach der Sprengung – das sind die nächsten Schritte +++
Es ist ein hübsches Bild, wie die Damen und Herren dort an der Kreuzung stehen, während sie ihre Stimme zum Teil vergeblich gegen den Lärm erheben und Lkw aus Ungarn, Bulgarien, Polen, Tschechien, Italien und den Niederlanden an ihnen vorbeiächzen. Auf Tuchfühlung zum Problem: der Gestank der Abgase, der Lärm der PS-Monster, das Vibrieren der Luft. Nur ein Teil des Termins.
Schüler, die ihre Freunde nicht mehr treffen oder nicht mehr zum Sportverein kommen
Der andere, vielleicht noch eindrücklichere, findet schon am Morgen statt: Gespräche mit Wirtschaft, Anwohnern, Pflegediensten und sogar Schülerinnen und Schülern. Diese hätten berichtet, dass sie Freunde nicht mehr besuchen könnten, nicht mehr zum Sportverein kämen und so das Gefühl hätten, die Corona-Quarantäne verlängere sich für sie. Hinzu kommen die Nöte der Wirtschaft, Mitarbeiter zu rekrutieren oder zu halten, die gesundheitlichen Sorgen der Menschen wegen des Lärms und des Schmutzes. Die Liste ließe sich fortsetzen. „Geredet wurde genug, jetzt müssen wir handeln. Es ist Zeit, dass wir was auf den Weg bringen im Sinne der Bürger“, sagt Manfred Todtenhausen.
Und wie kann der Petitionsausschuss nun konkret helfen? Auf der Bedarfsumleitung gilt bereits Tempo 30, das Fahrverbot für den überregionalen Lkw-Verkehr ordnet die Stadt ab Juni an. „Der Petitionsausschuss kann eine Menge bewegen. Er kann – über Fraktionsgrenzen hinweg – die Bundesregierung auffordern, bestimmte Schritte einzuleiten“, sagt Echeverria. Welche Schritte das konkret sein können? Das müssen die weiteren Beratungen ergeben. Aber alles, was ein Drama wie in Lüdenscheid verhindern oder lindern kann, soll in Betracht gezogen werden. Denn ein nächster Fall Lüdenscheid ist bei 400 sanierungsbedürftigen Brücken allein in NRW alles andere als ausgeschlossen.
Wie im Bergbaurevier: Nachteilsausgleich für Lüdenscheid und due Region
„Diese Region ist unverschuldet in diese Krise geraten“, sagt Nezahat Baradari, Bundestagsabgeordnete für den Kreis Olpe/Märkischer Kreis I, daher kämpfe sie auch „für einen Nachteilsausgleich“, wie es ihn zum Beispiel auch im Bergbaurevier gegeben habe. Finanzielle Unterstützung von Bund und Land, um Lüdenscheid und die Region zukunftssicher aufzustellen. Auch das kann das Ergebnis des Prozederes sein. „Ich bin froh und dankbar, dass es diesen Termin gegeben hat. Die Mitte des Parlaments ist nach Lüdenscheid gekommen“, sagt Florian Müller, ebenfalls aus dem Wahlkreis Olpe/Märkischer Kreis I.
Was daraus wird, bleibt trotzdem offen. Klaus Fleczok heißt der Mann, der die Petition vor mehr als einem Jahr eingereicht hat. Seine Teilnahme am Ortstermin musste er kurzfristig absagen. Auch er hätte fünf Minuten Redezeit am Morgen gehabt. Kernaussage: „Es liegt ein verwaltungstechnisches Versagen vor, wenn es nach 18 Monaten noch immer keine Erleichterung für die Anwohner der Bedarfsumleitung gibt.“ So steht es in seinem Manuskript, das er angefertigt hatte.
Wüst, Merz, Wissing, Mützenich zu Gast - aber wenig passiert
Für ihn springt Heiko Schürfeld ein, Sprecher der Bürger-Initiative. Er kennt solche Termine. Er war dabei, als Ministerpräsident Hendrik Wüst (CDU) die Brücke besuchte, ebenso als Bundesverkehrsminister Volker Wissing (FDP) sowie die Bundesfraktionsvorsitzenden Friedrich Merz (CDU) und Rolf Mützenich (SPD) nacheinander das Rahmedetal begutachteten. „Das Problem ist: Die sagen immer so etwas wie: Das nehmen wir mit nach Berlin oder nach Düsseldorf“, sagt Schürfeld und blickt mit einer Mischung aus Hoffnung und Fragezeichen auf die dröhnenden Lkw: „Oft passiert dann aber wenig.“