Lüdenscheid. Die marode A-45-Brücke wird in diesem Jahr nicht mehr gesprengt. Warum sich der Bau trotzdem nicht verzögern könnte, die Aufregung aber groß ist.
Alles hatte auf den 18. Dezember geschaut. Noch vor Weihnachten sollte die marode Autobahnbrücke in Lüdenscheid gesprengt werden. Doch daraus wird nichts. Die Vergabe der Arbeiten verzögert sich. Das Bundesverkehrsministerium räumt ein, dass der Termin „möglicherweise“ nicht eingehalten werden könne. Alle rechnen damit: Der Termin ist geplatzt. Welche Auswirkungen das hat.
Wird sich die verzögerte Sprengung tatsächlich nicht negativ auf die Gesamtbauzeit auswirken?
Das Bundesverkehrsministerium sagt, dass sich trotz des wahrscheinlich späteren Sprengtermins die Gesamt-Bauzeit nicht verlängern werde. Und damit könnte es wohl auch Recht behalten – wenn sich die Sprengung nur um Wochen, nicht aber um Monate verschiebt. Der Hintergrund: Für den Bau der Brücke wird es eine sogenannte „funktionale Ausschreibung“ geben, wie die Autobahn GmbH vor einigen Wochen der Bauindustrie bestätigt hatte. Das bedeutet vereinfacht: Der Staat gibt nur den groben Rahmen vor, die Planung, wie die Brücke gebaut wird, wird aber von dem Bauunternehmen übernommen, das den Zuschlag erhält. Mit dem Verfahren soll der Bau erheblich schneller laufen. Allerdings: Noch gibt es diese Ausschreibung gar nicht. Sie soll zwar noch in diesem Jahr starten, vorgeschaltet ist aber ein Wettbewerb, mit dem drei Unternehmen ermittelt werden, die kompetent sind und sich dann an der eigentlichen Ausschreibung beteiligen dürfen. Die dauert dann auch einige Zeit, so dass wohl erst im Laufe der ersten Jahreshälfte 2023 ein Unternehmen den Zuschlag erhalten und dann auch in konkrete Planung einsteigen kann. Sprich: Es gibt ohnehin einen zeitlichen Puffer.
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Wie groß ist dieser zeitliche Puffer?
Das ist laut Autobahn GmbH noch nicht genau zu benennen. Generell erkennt aber auch Reinhard Quast, Bauunternehmer aus dem Siegerland und Präsident des Zentralverbands Deutsches Baugewerbe, diesen Puffer durch die funktionale Ausschreibung. „Wenn die Sprengung jetzt im Januar, Februar oder März stattfindet - dann besteht wirklich die Chance, dass es zu keiner Verzögerung kommt“, so Quast gegenüber unserer Zeitung. Danach werde es aber eng: „Auch wenn das Unternehmen noch in der genauen Planung für den Brückenneubau steckt, können schon Vorbereitungsarbeiten gestartet werden, das Baufeld kann eingerichtet werden. Dafür muss aber der Schutt komplett weg sein.“ Wie lange das alles genau bei der Rahmedetalbrücke dauern wird, ist noch unklar. Derzeit laufen schon Vermessungsarbeiten und ab 1. Oktober werden Bäume gefällt. Das Abrissunternehmen muss aber die eigentliche Planung und Vorbereitung durchführen, sprich: Auch das große Schuttbett an der Altenaer Straße, auf das die Brücke fallen soll, muss aufgeschüttet werden. Bei der Anfang Februar gesprengten etwa gleich langen Talbrücke Rinsdorf im Siegerland waren insgesamt drei Monate für die Beseitigung der Trümmer eingeplant. Genau vergleichen kann man beide Brücken aber nicht, da sie unterschiedlich gebaut wurden.
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Warum verzögert sich denn die Vergabe der Abrissarbeiten tatsächlich?
Das bleibt weiter unklar. Die Autobahn GmbH und das Bundesverkehrsministerium lassen nicht mehr verlauten als den Standardsatz: „Das Vergabeverfahren zur Sprengung der Talbrücke Rahmede ist aufgrund von üblichen rechtlichen Rahmenbedingungen derzeit noch nicht abgeschlossen.“ Was dahinter steckt? Schwer zu ergründen, denn Vergabeverfahren unterliegen einer hohen Geheimhaltung. Groß ist die Sorge, dass durch Informationen, die durchsickern, ein Verfahren rechtlich angegriffen oder gar wiederholt werden müsste. Aus der Gerüchteküche ist nur zu hören, dass tatsächlich ein Unternehmen kritische Anmerkungen gemacht habe, um die man sich nun kümmere, um alles rechtssicher zu machen. Das alles soll aber noch im bei Vergaben durchaus üblichen rechtlichen Rahmen stattfinden. Ein Stopp des Verfahrens oder gar eine neue Ausschreibung sollen nicht im Raum stehen.
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Tritt der verärgerte Lüdenscheider Bürgermeister nun als Bürgerbeauftragter zurück?
Nein, das wird er nicht tun. Das ließ Sebastian Wagemeyer (SPD) am Dienstag auf Anfrage unserer Zeitung noch einmal bestätigen. Tags zuvor hatte er sehr deutlich kritisiert, wie schlecht er sich als Bürgerbeauftragter vom Verkehrsministerium informiert fühlt. Eine Informationsveranstaltung zur Sprengung an diesem Mittwoch ließ er absagen. Die Verärgerung ist weiter groß, doch Wagemeyer sieht keine „vernünftige Alternative“ zu seiner Doppelrolle als Bürgermeister und Brücken-Bürgerbeauftragter. Kann das Verkehrsministerium denn Wut und Ärger in der Region verstehen? Eine Anfrage dieser Zeitung ließ man am Dienstag unbeantwortet.
Was sagen die Bürger zu der Verzögerung bei der Sprengung?
Natürlich ärgern ihn die neuerlichen Nachrichten zu der verzögerten Sprengungen. Aber René Jarackas, der direkt an einer der Autobahn-Umleitungsstrecken wohnt, will den Ärger nicht zu nah an sich heranlassen. Zu groß sind schon jetzt der Ärger und die Sorgen, die ihn quasi rund um die Uhr begleiten: „Mich überrascht das nicht, ich habe schon von Beginn an bezweifelt, dass das noch in diesem Jahr etwas wird.“ René Jarackas, der sich auch in der Bürgerinitiative gegen den Lärm und die Belastung an den Umleitungsstrecken engagiert, treibt eine andere Sorge noch viel mehr um: „Mir ist es ehrlich gesagt nicht so wichtig, ob es nun am Ende ein halbes Jahr länger dauert oder nicht. Mir ist wichtiger, dass uns jetzt hier schnell geholfen wird, damit wir endlich Entlastung von dem ständigen Lärm der Lkw bekommen.“ Am Donnerstag kommender Woche, 6. Oktober, um 18 Uhr will die Bürgerinitiative wieder demonstrieren.
Wie reagiert die CDU-Opposition im Bund?
Aus der CDU in der Region kommt scharfe Kritik an Minister Volker Wissing (FDP): „Das Verkehrsministerium hat mit einer Salami-Taktik den angekündigten Sprengtermin platzen lassen“, sagt Florian Müller, CDU-Bundestagsabgeordneter für Olpe und den Märkischen Kreis. Sein Iserlohner Kollege Paul Ziemiak pflichtet ihm bei: Minister Wissing habe noch bei seinem Besuch in Lüdenscheid den 18. Dezember als spätesten Spreng-Termin bestätigt, der nun im Verborgenen wieder einkassiert werde: „Die Kommunikation ist ein Skandal.“ Beide CDU-Politiker sehen die Aussage des Ministeriums, dass die Verzögerung bei der Sprengung keine negativen Auswirkungen auf die Gesamtbauzeit haben werde, skeptisch. „Das würde ja bedeuten, dass das Ministerium einen verlässlichen Zeitplan hat. Dann soll es diesen auch der Bevölkerung endlich präsentieren“, fordert Ziemiak. Die miserable Kommunikation und die handwerklichen Fehler des Ministeriums bestätigten das Misstrauen und die Skepsis der Menschen in der Region, ergänzt Florian Müller: „Niemand vertraut mehr in die Worte und das Handeln des Ministers. Niemand glaubt mehr an eine Fertigstellung in fünf Jahren. Dafür trägt er die Verantwortung.“ Die Region pfeife aber gefühlt langsam aus dem letzten Loch. „Wir brauchen deshalb endlich ein Ministerium, das handelt.“
Und wie die regierende SPD?
Der Aussage des Verkehrsministeriums, dass die mögliche Verzögerung bei der Sprengung die Gesamtbauzeit nicht verlängern wird, beruhigt Dirk Wiese, Vize-Fraktionschef der SPD-Fraktion im Bundestag aus dem Hochsauerlandkreis nicht unbedingt. Die deutliche Kritik am vom Ampel-Koalitionspartner geführten Haus bleibt: „Die Kommunikation ist derzeit absolut nicht zufriedenstellend.“ Er spüre täglich, wie angespannt die Stimmung in der Region sei. Minister Volker Wissing müsse die Rahmedetalbrücke endlich zu seinem persönlichen Projekt machen. „Ich habe nicht immer das Gefühl, dass das wirklich so ist und er den Ernst der Lage umfassend erkannt hat.“
Was sagt die Wirtschaft?
Auch hier kommt weiter harsche Kritik. Ralf Stoffels der Präsident der Südwestfälischen Industrie- und Handelskammer (SIHK), sagt: „Die sang- und klanglose Verschiebung der Sprengung der maroden Rahmedetalbrücke und die öffentliche Kritik des Bürgerbeauftragten gegenüber den verantwortlichen Stellen machen mich sprachlos und wütend.“ Die regionale Wirtschaft stehe nicht nur vor dem Scherbenhaufen einer verfehlten Infrastrukturpolitik, sondern sie fühle sich auch nicht mehr ernstgenommen. Statt dem von uns geforderten Sonderbeauftragten mit weitreichenden Kompetenzen, haben wir einen Bürgerbeauftragten, der sich schlecht informiert fühlt. Statt eines verbindlichen Zeitplans für das Gesamtprojekt erfahren wir aus Newslettern und der Presse von Terminverschiebungen. Es reicht!“ Er erwarte, dass sich die verantwortlichen Stellen kurzfristig in Lüdenscheid vor Ort erklärten: „Das darf nicht bis Mitte November warten.“