Lüdenscheid. Am 2. Juni ist die Talbrücke Rahmede bei Lüdenscheid ein halbes Jahr gesperrt. Anwohner und Pendler beklagen mangelnden Fortschritt.
Der Blick nach Genua muss sein. Dort war 2018 die Morandi-Brücke eingestürzt, das kostete 43 Menschen das Leben. Aber auch dort brauchte es eine neue Brücke. Nach einem halben Jahr war ein Sondergesetz verabschiedet, die Ausschreibung für den Neubau erfolgt, der Auftragnehmer gefunden, waren alle Verwaltungsverfahren und Genehmigungsprozesse mindestens begonnen. Nach zehn Monaten wurde das erste Fundament gelegt. Nach zwei Jahren stand das neue Bauwerk.
Und wie ist das in und um Lüdenscheid, wo die Talbrücke Rahmede seit Dezember gesperrt ist? Dort regieren nach einem halben Jahr ohne sichtbaren Fortschritt Wut und Ärger. Das sagt ...
… die Anwohnerin
Im Februar hat diese Zeitung das erste Mal über Elissavet Simeon berichtet. An der Lennestraße in Lüdenscheid, der offiziellen Bedarfsumleitung, betreibt sie seit 2007 ein Brautmodengeschäft, eine Etage darüber wohnt sie mit ihrem Mann. Tagsüber bleiben die Kunden weg, nachts kann sie nicht schlafen.
Das ist die A45-Talbrücke Rahmede
Vorletzte Nacht hat sie gegen 2 Uhr ein Video aus dem Fenster aufgenommen: Drei Lkw-Zugmaschinen, die auf der Straße vor ihrer Tür in Reihe stehen, die Fahrer brüllen sich gegen den Krach der im Sekundentakt vorbeidröhnenden Lkw an. Die Polizei gesellt sich hinzu. Bis das Gewese um die Panne unterhalb ihres Schlafzimmers vorbei ist, graut längst der Morgen.
+++ Alles zur Sperrung der Talbrücke Rahmede auf wp.de/a45 +++
„Wir haben kaum ein Auge zugemacht – wie jede Nacht. Es ist furchtbar“, sagt sie: „Nach einem halben Jahr bin ich dem Nervenzusammenbruch nahe. Mein ganzer Körper schmerzt. Die Lage hat sich eher veschlechtert.“ Eine Perspektive würde ihr helfen, aber was sie sieht, ist eine Planung, die scheinbar ins Wanken gerät: Sprengung noch in diesem Jahr? Neubau in fünf Jahren? Daran glaubt sie nicht. „Ich habe es satt, immer das gleiche zu hören: leere Versprechungen. Es passiert nichts, einfach gar nichts. Man hat uns fünf Jahre versprochen, aber ich glaube kein Wort mehr.“
Ihr Bürgersteig gleiche einer Müllhalde, neulich seien zwei Autofahrer vor der Tür handgreiflich geworden, ihr Mann muss als Zeuge aussagen. Sie fürchtet um ihre Existenz, umziehen kann sie nicht, sie muss bleiben. Aber: „Ich glaube nicht, dass ich das nervlich schaffe.“
… der Pendler
40 bis 45 Minuten hat Fliesenleger Mazlum Özgen sonst von Kreuztal aus zur Arbeit nachh gebraucht, nun fährt er anderthalb Stunden, wenn es schlecht läuft auch zwei. Denn nicht nur die offizielle Umfahrung sei verstopft, mittlerweile seien auch die Schleichwege zu: „Früher bin ich durch Altena gefahren, aber dass man da herfahren kann, wissen mittlerweile auch viele.“ Hinzu kommt die Baustelle wegen Felsarbeiten auf der B236 bei Nachrodt. Bis Ende Juli dauert die Sperrung dort noch an. In Schalksmühle läuft der Verkehr nur noch einspurig, weil eine Brücke erneuert werden muss.
Es herrscht Reizklima auf den Umgehungsstraßen. „Man muss auf dieser Strecke sehr wachsam sein. Alle wollen zur Arbeit, sind gestresst. Manche machen Lichthupe oder Handzeichen“, sagt Mazlum Özgen: „Jeder denkt nur an sich.“
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Özgens Vorteil: Seine Kenntnisse als Fliesenleger nutzt er in seiner Firma, um im telefonischen Support zu arbeiten. Das geht auch aus dem Homeoffice.
„Ich habe mit meinem Arbeitgeber zum Glück eine Sonderregelung,“ An der Brücke muss er deswegen nur noch jede zweite Woche vorbei. Doch auch er hätte nichts dagegen, wenn das Tempo in Deutschland so hoch wäre wie in Italien damals.