Lüdenscheid. Die Talbrücke Rahmede an der A45 ist gesperrt und muss neu gebaut werden. Wie Sebastian Wagemeyer (SPD) in seiner Sonderrolle dabei helfen soll.

Seit einigen Tagen hat das Projekt ,Neubau der maroden Talbrücke Rahmede an der A 45’ in der Region ein Gesicht, eine Frontfigur: Sebastian Wagemeyer (SPD), 45 Jahre alt, Bürgermeister von Lüdenscheid. Er bekleidet als Bürgerbeauftragter eine Sonderrolle. Was das bewirken soll und wie er mit den Erwartungen umgeht.

Herr Wagemeyer, in der öffentlichen Wahrnehmung sind Sie so etwas wie der Brücken-Chef. Sind sie das?

Ich bin eher der Koordinator der Kommunikation. Zusammen mit Bundesverkehrsminister Dr. Wissing haben wir bereits versucht, diese Rolle genau zu definieren, abschließend ist das aber noch nicht gelungen. Klar ist: Ich bin nicht in die Projektsteuerung eingebunden. Das kann ich nicht, ich bin kein Ingenieur.

Worin liegt Ihre Aufgabe?

Ich neige vor allem nicht dazu, parteipolitisch vorzugehen. Es geht darum Dinge transparent zu machen, viel zu kommunizieren, den Austausch und den Ausgleich zu suchen, um ein für eine gesamte Region enorm wichtiges Projekt voranzubringen. Ich kann auf andere Menschen zugehen, meine kommunale Arbeit zeigt, dass ich unterschiedliche Positionen zusammenzuführen kann. Vor diesem Hintergrund ist mir diese Rolle zugefallen.

+++ Sprengung möglich: Die Rahmedetalbrücke fällt auf sein Grundstück +++

Wie wollen Sie diese Rolle mit Leben füllen?

Ich habe klargemacht, dass ich beim Personal um mich herum gern freie Hand hätte – und ich habe den Eindruck, dass das möglich sein wird. Das ist ein Job, an dem viele Erwartungen hängen. Um die erfüllen zu können, bin ich darauf angewiesen, in einem Team zu arbeiten, das funktioniert und auf das ich mich verlassen kann. Es soll ein festes Büro in Lüdenscheid geben, das mit Personal ausgestattet wird. Eine Agentur soll die Kommunikation übernehmen.

Haben Sie ein Budget?

Ja, aber ich kann noch nicht sagen, wie hoch das ist.

Wissen Sie schon, wer Sie unterstützen soll?

Natürlich habe ich mir Gedanken gemacht und Personen vor Augen. Aber es ist nicht so leicht: Ich kann hier aus der Verwaltung niemanden entbehren, weil eh schon alle am Limit arbeiten. Es muss also jemand sein, der verfügbar ist und der sagt, ich mache das für diese – sagen wir - fünf Jahre.

Wie groß soll das Team werden?

Zwei bis drei Personen sollten es mindestens sein. Das Büro muss besetzt sein, jemand muss die Kommunikation leiten, E-Mail sichten, aufbereiten, Themen erkennen, Aspekte müssen kanalisiert und so aufbereitet werden, dass ich sie mit in die Steuerebene tragen kann.

Zwei, drei Leute? Warum denken Sie in diesem Millionenprojekt so klein?

Das Problem der Rekrutierung habe ich ja schon benannt. Und: Je größer das Team wird, desto unübersichtlicher wird es bei der Zusammenführung der Themen. Wenn wir aber feststellen, dass wir noch mehr Mitarbeitende brauchen, dann kann man das im Gespräch mit der Autobahn GmbH, die das Büro tragen wird, sicher nachverhandeln. Denkbar wäre ja auch, zusätzlich je einen Ansprechpartner für technische und juristische Fragen zu haben. Ich will das Heft des Handelns in der Hand haben, denn am Ende bin ich derjenige, der mit dem Projekt eng verknüpft ist.

Was kann dieses Büro bewirken?

Die Fäden sollen dort zuverlässig zusammengeführt werde, das war zuletzt nicht immer so. Ich war nun schon Teil der Steuerungsgruppe für die Brücke auf Ebene des Bundesverkehrsministeriums und habe es als hilfreich für beide Seiten wahrgenommen, in diesen Dialog zu treten. Denn – das sage ich ohne jeden Vorwurf – wenn man in Berlin sitzt, dann schaut man auf eine Karte. Aber was das konkret bedeutet, dass die Brücke fehlt, das erlebt man nur vor Ort. Diese Brücken in die eine und die andere Richtung zu schlagen wird zentrale Aufgabe des Büros sein.

Ihre Sonderrolle ist angelehnt an die des Sonderbeauftragten, der damals in Genua einberufen wurde, wo 2018 eine Autobahnbrücke einstürzte. Der Sonderbeauftragte war Leiter des Projekts. Ist das hier nur die Light-Variante?

Ich sehe das nicht als Light-Variante. Es ist eine gute Gelegenheit, eine solche Rolle mal auszutesten, denn so etwas hat es in Deutschland noch nicht gegeben. Der Bedarf an offener und transparenter Kommunikation ist sehr hoch. Je weniger man die Menschen mitnimmt, desto schwieriger wird es, Dinge umzusetzen. Aus einer vermittelnden Rolle heraus kann ich – ohne hoch offizielle Umwege - Interessen zusammenführen und Prozesse beschleunigen.

Die Rahmedetalbrücke der A 45 bei Lüdenscheid ist seit Dezember geseprrt.
Die Rahmedetalbrücke der A 45 bei Lüdenscheid ist seit Dezember geseprrt. © FUNKE Foto Services | Ralf Rottmann

Kommunikation und Transparenz sind wichtig, sagen Sie. Wie wollen Sie die konkret herstellen?

Festgelegt ist noch nichts. Aber wir haben zum Beispiel die Idee, ein Kommunikationstool einzusetzen, das die Neuigkeiten zum Brückenneubau automatisch an alle Bürger versendet, die das wollen, als SMS oder Mail aufs Handy, wie ein Newsletter. Live-Bilder von der Baustelle, die ins Internet übertragen werden, wie damals in Genua, wären auch eine Möglichkeit. Es gibt darüber hinaus weitere Ideen.

Der BUND hat zuletzt Gesprächsbereitschaft signalisiert, damit die Brücke schneller gebaut werden kann. Die SIHK wünschte sich eine tägliche Videoschalte zwischen allen Interessenvertretern. Wie kommen diese Signale bei Ihnen an?

Miteinander reden hilft immer, aber eine tägliche Videoschalte zwischen allen halte ich nicht für notwendig. Die besondere Situation und die Notwendigkeit eines schnellen Baus wird auch beim BUND gesehen. Die Sorge, dass ein abgekürztes Genehmigungsverfahren zur Blaupause für andere Brücken wird, ist nachvollziehbar. Diese Sorge werden wir nur im Gespräch ausräumen können. Da sind Signale von beiden Seiten gefragt.

Bald ist die Brücke drei Monate lang gesperrt, aber Daten zu Lärm- und Feinstaubbelastungen entlang der Umfahrungen gibt es nicht, eine Verkehrszählung auch nicht. Wie finden Sie das?

Wir haben schon im Dezember im Ministerium nachgefragt – und Messungen sind noch nicht in Sicht. Das geht mir entschieden zu langsam. Für den Anwohner oder den Gewerbetreibenden sind diese Daten entscheidend, wenn sie irgendwann vor der Frage stehen sollten: Wer zahlt mir die Lärmschutzfenster oder die Verluste, die das Geschäft verzeichnet. Wenn nicht zeitnah Unterstützung kommt und sie auf die dann durchaus naheliegende Idee einer Klage kommen, dann brauchen sie diese Daten. Da ist das Land in der Pflicht, Tempo zu machen.

Ist absehbar ein Besuch des Bundesverkehrsministers in Lüdenscheid geplant?

Nicht, dass ich wüsste bislang, aber ich fände das natürlich gut. Es geht derzeit viel um Botschaften. Hier sind so viele, die Not leiden, dass das eine gute Signalwirkung hätte.

Wie sehen Sie die Rolle der Direktorin der Autobahn GmbH Westfalen, Elfriede Sauerwein-Braksiek?

Wir pflegen einen sehr vertrauensvollen Umgang. Ich ziehe den Hut davor, wie sachlich und fachlich sie vorgeht, während auf ihr unfassbarer öffentlicher Druck lastet. Ihre Zielgerichtetheit, die weder emotional noch politisch beeinflusst wird, tut der Sache gut.

Welche Rolle spielt derzeit der Wahlkampf in NRW?

Eine große – und das macht es nicht unbedingt leichter. Ich denke, nach der Wahl wird es etwas zielgerichteter und ruhiger zugehen.

Sie haben auch vorher keine Langweile gehabt. Warum tun Sie sich das an?

De facto ist es eine Ehre. Wenn man persönlich vom Bundesverkehrsminister gefragt wird, sagt man nicht nein. Ich sehe vor allem einen großen Vorteil für Lüdenscheid und die gesamte Region in meiner Aufgabe: Die Gefahr, dass die Situation hier in Südwestfalen auf Bundesebene in Vergessenheit gerät, ist mit der Schaffung meiner Rolle gebannt. Von jetzt an bis zum Durchschneiden des roten Bandes an der neuen Brücke werde ich immer mit dabei sein. Ich werde immer wieder den Finger in die Wunde legen. Das ist, was alle Beteiligten – auch in Berlin - von mir erwarten.

Wie gehen Sie persönlich mit dem Druck um?

Der Druck ist groß, wir erleben Beschimpfungen und ähnliches jeden Tag. Ich kann das aber einschätzen, mich bringt so schnell nichts aus der Ruhe. Als früherer Schulleiter bin gewohnt, zwischen allen Stühlen zu sein – und man wächst an den Herausforderungen. Seit ich im Amt bin, kenne ich nur den Krisenmodus: Corona, Lockdown, Flut, A-45-Brücke. Über eine Sache müssen wir uns aber klar sein.

Welche?

Bei allem Ärger und bei aller Belastung hier vor Ort sollten wir froh sein, dass wir eben nicht eine Lage wie in Genua damals haben. Wenn man überlegt, dass am 1. Dezember noch 65.000 Fahrzeuge über die Brücke gefahren sind und diese seit dem 2. Dezember kaum mehr betreten werden darf, muss ich erstmal durchatmen.

Wie verarbeiten Sie den Stress?

Er beeinflusst mich natürlich. Aber es macht viel aus, dass ich eine Familie habe, die hinter mir steht, die mich erdet und auffängt. Ich tausche mich mit meiner Frau auch oft aus, ärgere mich auch mal über dieses oder jenes, aber wenn ich Zeit mit ihr und den Kindern verbringe, dann kann ich die Brücke auch ausblenden. Man muss sich Freiräume schaffen.

Welche Ambitionen haben Sie mittelfristig als Politiker?

Ich habe nie einen Karriereplan gehabt, alles hat sich so ergeben und ich kann nicht ausschließen, dass sich in Zukunft wieder Dinge ergeben, die ich nicht geplant habe. Aber in erster Linie bin ich angetreten, um nicht nur eine Amtsperiode lang Bürgermeister in Lüdenscheid zu sein. Das ist meine Geburtsstadt, mein Zuhause und ich will hier etwas bewegen. Das geht nicht in fünf Jahren. Deswegen verstehe ich all das gerade auch nicht ausschließlich als Krise, sondern auch als Chance.

Inwiefern?

Gern will ich Ihnen ein Beispiel aufzeigen. Viele unserer Straßen werden wir in den kommenden Jahren ruiniert haben, die müssen zwangsläufig erneuert werden. Mittel dafür müssen schon jetzt berücksichtigt werden – und Pläne gemacht werden für ein neues Mobilitätskonzept. Wir können so den Radverkehr direkt mitdenken. Größer, besser, nachhaltiger und ganzheitlicher als wir es ohne die Sperrung der Brücke nie gekonnt hätten. Das ist eine Chance, die wir nicht verpassen sollten.

<<< ZUR PERSON >>>

Sebastian Wagemeyer (45) ist in Lüdenscheid geboren und groß geworden. Nach dem Abitur studierte er Englisch und Geschichte auf Lehramt in Bochum. 2015 wurde er Leiter des Zeppelin-Gymnasiums in Lüdenscheid. Seit dem 1. November 2020 ist er Bürgermeister der Stadt. Wagemeyer ist verheiratet und hat zwei Kinder.