Siegen. „Sie sprechen aber gut Englisch“: Sabrina-Maria Anderson aus London setzt sich an der Uni Siegen gegen Alltagsrassismus und -diskriminierung ein.

An der Uni Siegen sind Studierende mit nicht-weißer Hautfarbe unterrepräsentiert. Findet Sabrina-Maria Anderson. Und nicht nur sie. Die Studentin aus Großbritannien ist „international student“, kennt aus ihren Kursen und Seminaren andere Studierende aus dem Ausland, Menschen aller möglicher Abstammung. Aber „außerhalb dieser Veranstaltungen sind sie nicht repräsentiert“, sagt sie. Auch im AStA – „nur weiße Deutsche“. Anderson will das ändern und sich gegen Diskriminierung und Alltagsrassismus einsetzen.

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Rassismus und Diskriminierung erleben Sabrina-Maria Anderson und die anderen Mitglieder der BIPoC Society Siegen im Alltag. Nicht nur einmal wurde ihr gesagt, dass sie aber gut Englisch spreche, erzählt die Londonerin. „Ja – weil ich Engländerin bin?!“ Mit solchen Erfahrungen sei sie nicht allein, eine Deutsche mit dunkler Haut habe Ähnliches ähnliches. „Wo haben Sie Deutsch gelernt?“, sei eine solche Frage. „Wir erleben das jeden Tag.“

Uni Siegen hat Gleichstellungsbeauftragte – aber keine Alltagsrassismusbeauftragte

Oder der studentische Kalender „The haardt way“, herausgegeben vom AStA. Das Druckwerk enthält alle Arten von Infos und Terminen – „ich fand das problematisch“, sagt Sabrina-Maria Anderson. Denn als Nicht-Muttersprachlerin des Deutschen konnte sie vieles darin nicht lesen. Sie sprach mit anderen internationalen Studierenden darüber – denen ging es genauso.

Was bedeutet BIPoC?

Die „BIPoC Society“ ist ein studentisches Referat der verfassten Studierendenschaft. Die Abkürzung steht für „Black, Indigenous and People of Color“. Für die Bezeichnung aus dem angloamerikanischen Raum gibt es keine treffende Direktübersetzung. Zumindest keine, die nicht irgendwie rassistisch wäre. Der Begriff meint alle Personen und Gruppen, die im Alltag verschiedenste Formen von Rassismus oder Diskriminierung erleben; alle, die nicht „deutsch“ sind – wobei auch da eine klare Definition problematisch ist.

Sabrina-Maria Anderson, Masterstudentin „Roads to Democracies“, wurde 2020 mit dem Preis des Deutschen Akademischen Austauschdienstes (DAAD) für ihre akademischen Leistungen und besonderen gesellschaftlich-politischen Einsatz geehrt.

Auch bei der Uni selbst: „Sie präsentiert sich als internationale Umgebung“, sagt Anderson. Aber viele Informationen seien nur auf Deutsch verfügbar. Es gibt eine Gleichstellungsbeauftragte der Universität, in der Hierarchie ziemlich weit oben angesiedelt – aber Hochschul-Strukturen oder -Institutionen, die sich um BIPoC kümmern, gibt es nicht, kritisiert Anderson. Sie will das ändern.

Keine Reaktion oder Gegenwind – „Diskriminierung von Weißen“?

Die Uni Siegen liefere hier eine eher unterdurchschnittliche Leistung ab. Seit der ersten Idee für die Gründung der BIPoC Society habe sie an vielen Stellen Kämpfe und Diskussionen durchstehen müssen, sich mehr als einmal nicht ernst genommen gefühlt mit ihrem Anliegen. „Mir wurde schon auch der Eindruck vermittelt, dass mein Anliegen egal ist.“ Das war mitunter einfach keine Reaktion, manchmal auch Gegenwind: Das wäre ja Diskriminierung von Weißen, habe sie sich anhören müssen. „Da habe ich verstanden, wie unwohl sich manche Leute fühlen, wenn sie nicht selbst im Mittelpunkt stehen.“

Für ihre akademischen Leistungen und ihren gesellschaftlich-politischen Einsatz wird Sabrina-Maria Anderson ausgezeichnet. Prorektorin Prof. Petra Vogel überreicht die Urkunde des DAAD.
Für ihre akademischen Leistungen und ihren gesellschaftlich-politischen Einsatz wird Sabrina-Maria Anderson ausgezeichnet. Prorektorin Prof. Petra Vogel überreicht die Urkunde des DAAD. © Uni Siegen

Die BIPoC Society wurde im August 2020 gegründet und neben sehr viel Aufbauarbeit – Bürokratie; eigener Raum, E-Mail-Adresse, Anerkennung als Referat – sei der Siegener Ableger derzeit vor allem noch ein Anlaufpunkt für Betroffene. Die Corona-Lage habe es nicht gerade einfacher gemacht, in die inhaltliche Arbeit einzusteigen, sagt Anderson. Sie will BIPoC in die Universität einbetten, „das soll es auch noch geben, wenn ich schon lange weg bin.“

BIPoC Society Siegen will ein Bewusstsein schaffen für Rassismus

Anderson und andere Mitglieder des Referats unterstellen keineswegs böse Absichten. Weder bei der Uni, noch beim AStA, noch bei den Leuten, die sie auf ihr gutes Englisch ansprechen. Man kann rassistisch handeln, ohne Rassist zu sein. BIPoC geht es darum, ein Bewusstsein zu schaffen, zu reflektieren. An vielen Unis werde ein Fokus gesetzt auf Gender und Diversität („gender equality“), aber dass Diskriminierung auch Menschen mit nicht-weißer Hautfarbe betrifft („racial equality“), gerate dabei in den Hintergrund, sagt Anderson.

„Wir wollen nicht mehr Aufmerksamkeit“, so Anderson. Welche Art Anfeindung auch immer im Alltag auftrete – die Opfer schweigen meist. Geben sich selbst die Schuld. Oder werden angefeindet, weil sie es gewagt haben, Rassismus nicht hinzunehmen. Ihre Erfahrungen schlucken sie herunter, weil es niemanden gibt, an den sie sich wenden können. Diesen ersten Schritt haben Sabrina-Maria Anderson und die BIPoC Society bereits getan: Sie sind eine Anlaufstelle für Betroffene.

Kein Entweder-oder an der Uni Siegen – sondern eine Ergänzung

„Die Uni Siegen hat keine checks and balances“, sagt Anderson und verwendet damit einen weiteren englischen Begriff, der ebenso treffend ist wie schwierig, direkt ins Deutsche zu übersetzen: Er bezeichnet in den USA das System aus Kontrollmechanismen der Gewaltenteilung zur Bewahrung der Demokratie. Langfristig möchte BIPoC eine Kontrollinstanz auch an der Hochschule, die Druck ausüben kann. Diskriminierung im Alltag sei wichtig, aber es gebe noch sehr viel mehr, um das man sich kümmern müsse.

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„Studierende haben als Kollektiv sehr viel Macht“, sagt Anderson, „sie können sehr viel verändern.“ Es sei schade, dass dieses Thema von Studierenden angegangen werden müsse, aber nun werde man es angehen, von unten. „Das ist kein entweder-oder“, betont sie, „Veränderung kann aus allen Richtungen kommen – es ist eine Ergänzung.

Uni Siegen und AStA haben begonnen, nachzusteuern

Die Uni Siegen habe in der Tat auch erkannt, dass es an dieser Stelle ein Problem gibt und begonnen, nachzusteuern. Gleiches gelte für den AStA, wo einzelne Personen sie sehr dabei unterstützt hätten, Druck aufzubauen. „Das ist der erste Schritt: ein Problem erkennen“, sagt Anderson, „dann muss man Schritte unternehmen, um das Problem anzugehen.“

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Sabrina-Maria Anderson hofft, dass die BIPoC Society dazu beiträgt, Schritte nach vorn zu machen. „Ich bin da ganz zuversichtlich.“ Hoffnungsvoll, aber nicht sicher. „Es braucht kleine Schritte. Und Geduld.“

Kontakt: https://www.asta.uni-siegen.de/index.php/studis/referate/

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