Siegen. Dr. Uta Fenske von der Uni Siegen spricht zum Weltfrauentag über Gleichberechtigung. Die Corona-Pandemie scheint die Ungleichheit zu verstärken

Anlässlich des Weltfrauentags spricht Dr. Uta Fenske von der Universität Siegen im Interview über die Bedeutung des Gedenktages, die Einkommensunterschiede zwischen Männern und Frauen und die Folgen der Coronakrise für die Gleichberechtigung.

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Ist der Weltfrauentag heute noch ein wichtiger Tag?

Der Weltfrauentag ist ein Bekenntnis zur Gleichstellung von Frauen und Männern. Die Absicht solcher von der UN ausgerufenen Welttage besteht darin, die Aufmerksamkeit auf international wichtige Themen zu richten. Die Gleichberechtigung von Frauen und Männern gehört auch heute weltweit unbedingt noch dazu. Das ursprüngliche Ziel des vor dem Ersten Weltkrieg auf Initiative der Zweiten Internationalen Sozialistischen Frauenkonferenz entstandenen Internationalen Frauentags, nämlich der Kampf um das Frauenwahlrecht, ist heute fast überall auf der Welt erfüllt. Der Weltfrauentag dient heute dazu, der immer noch wichtigen Forderung nach Gleichstellung in anderen Belangen, wie z.B. der nach gleichem Lohn für gleiche Arbeit oder der Thematisierung von Gewalt gegen Frauen oder dem Kampf gegen Zwangsprostitution, Nachdruck zu verleihen.

Bewirken solche Tage tatsächlich etwas in der Gesellschaft?

Die Frage ist, welche Erwartungen man mit Gedenktagen verknüpft. Wenn das Ziel ist, dass Menschen sich mit einem Thema befassen, ist der 8. März auf jeden Fall ein wichtiger Tag. Solche Tage richten unwillkürlich die mediale Aufmerksamkeit auf ein Thema. Auch die Tatsache, dass der Weltfrauentag seit 2019 in Berlin ein gesetzlicher Feiertag ist, bezeugt die Relevanz, die der Berliner Senat dem Anliegen beimisst. Nun ließe sich einwenden, dass manche Gedenktage zur Formalität zu verkommen. Beim Weltfrauentage habe ich jedoch gerade nicht den Eindruck, weil er einen Anlass für eine öffentliche, lebendige Auseinandersetzung mit den Anliegen der Gleichstellung bietet.

Wie tut er das?

Das geschieht in sehr unterschiedlicher Art und Weise, wie auch die Akteurinnen und Akteure sehr unterschiedlich sind: von autonomen Frauengruppen über Gewerkschaften, Gleichstellungsbeauftragte, parteipolitisch organisierte Frauen und Frauen aus Verbänden. Zudem erinnern Aktionen, Veranstaltungen und Demonstrationen an die Errungenschaften der Frauenbewegungen und bringen Menschen aller Geschlechter zusammen, die gemeinsame politische Anliegen verfolgen. Dabei ist es besonders bestärkend zu sehen, wie viele unterschiedliche Menschen sich solidarisch für die Anliegen der Gleichstellung einsetzen.

Können wir heute von einer faktischen Gleichstellung der Geschlechter in Deutschland sprechen?

Ganz grundsätzlich ist die Gleichberechtigung im Grundgesetz Art. 3, Abs. 2 verankert. De facto hapert es allerdings mit der Gleichbehandlung noch, da sie in vielen Bereichen nicht strukturell verankert ist.

Woran zeigt sich das?

Ein gerade in Deutschland immer wieder zu monierender Bereich ist der des Gender Pay Gaps. Die erheblichen Einkommensunterschiede zwischen Männern und Frauen rühren nicht nur daher, dass Frauen öfter in Teilzeit und in schlechter bezahlten Berufen tätig sind und weniger häufig in Führungspositionen arbeiten, sondern auch daher, dass sie bei gleicher Tätigkeit durchschnittlich ca. sechs Prozent weniger verdienen. Beides hat Konsequenzen in Hinsicht auf die zu erwartenden Renten, aber auch darauf, dass sie als weniger kreditwürdig gelten und einen höheren Prozentsatz zahlen müssen. Erfreulicherweise hat das Bundesarbeitsgericht im Januar die Rechte von Frauen gestärkt. Die Beweislast, dass bei ungleicher Bezahlung keine Diskriminierung vorliegt, muss nun vom Arbeitgeber erbracht werden. Aber auch in anderen Bereichen als der Wirtschaft sind Ungleichbehandlungen offensichtlich, man denke etwa an die Schwierigkeiten, mit denen Frauen in vielen Profisportarten − vom Fußball bis zum Skispringen − zu kämpfen haben. Oder an die immer noch sehr ungleiche Verteilung von Care- und Hausarbeit.

Gender Studies

Dr. Uta Fenske forscht und lehrt am Zentrum Gender Studies an der Universität Siegen.

Das Zentrum für Gender Studies verfolgt das Ziel, die Lehre und Forschung im Bereich Gender fachbereichsübergreifend zu etablieren.

Wo gibt es noch Handlungsbedarf?

Handlungsbedarf gibt es auf mehreren Ebenen. Das eine ist es, die strukturellen Probleme anzugehen, in dem etwa die Vereinbarkeit von Beruf und Familie weiter gefördert wird, z.B. durch ein Mehr an Kita-Plätzen und den Ausbau schulischer Betreuung. Namhafte Ökonominnen und Ökonomen plädieren in diesem Zusammenhang auch für ein verändertes Steuersystem, das es Paaren unabhängiger von finanziellen Erwägungen ermöglicht, die Entscheidung in Hinblick auf Kinderbetreuung vs. Erwerbsarbeit zu treffen. Auf einer anderen Ebene liegt ein verändertes Bewusstsein. So muss insgesamt ein Bewusstseinswandel in der Gesellschaft und der Welt vorangetrieben werden, der verhindert, dass Geschlechterstereotype über Chancen und Möglichkeiten entscheiden. Entscheidend ist, dass Menschen anerkennen, dass Geschlecht je nach Bereichen – insbesondere auch im Privaten - nach wie vor ein Platzanweiser ist. Das muss sich ändern. Das gilt im Übrigen für alle Geschlechter. Ein großer Kampf, den es aktuell auszufechten gibt, ist der gegen Frauenfeindlichkeit und einer Diffamierung von feministischen Bestrebungen.

Verstärkt die Corona-Pandemie Geschlechterungleichheiten?

Sozialwissenschaftliche Forschungen zur Corona-Pandemie sind noch jung, sodass eine klare Antwort auf diese Frage noch Zeit braucht. Es scheint aber so, dass die durch Corona hervorgerufene Krise durchaus dazu beiträgt, die Ungleichheit zwischen den Geschlechtern national wie international zu verschärfen. Die Folgen der durch Corona bedingten veränderten Lebenswirklichkeiten unterscheiden sich selbstverständlich von Land zu Land. Themen, die in Deutschland in den Blick geraten, sind: Die wachsende Retraditionalisierung der Geschlechterrollen und die damit eng zusammenhängende ungleiche Verteilung der Sorgearbeit. Hinzu kommt ein Missstand, der selten so viel öffentliche Aufmerksamkeit bekommen hat wie seit der Pandemie. Und zwar die Zunahme häuslicher, auch sexueller Gewalt gegenüber Frauen und Kindern. Hier muss mehr passieren, um Frauen zu schützen beispielsweise, indem Frauenhäuser stärker gefördert werden und natürlich die Bekämpfung des Problems Frauenhass an seiner Wurzel. Eine interessante Frage, die vielleicht ebenfalls zu beleuchten wäre, ist die, ob aus der Pandemie-Situation auch Chancen erwachsen können. Hier denke ich beispielsweise an die Potenziale familienfreundlicher Arbeits- und Alltagsorganisation. Es ist aus meiner Sicht wichtig zu überlegen, ob daraus nicht auch langfristig Vorteile hervorgehen können.

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