Menden. Der Weg durch die Dunkelheit ist für Frauen mit Angst verbunden. Was nicht normal sein sollte, ist es bereits lange. Eine junge Frau berichtet.

Sie dreht sich um. War da was? Sie sieht nichts. Livia Krimpelbein bleibt allein mit ihrer Angst in der Dunkelheit. Gottseidank. Untypischerweise läuft sie allein nach Hause. Der Weg vor ihr ist nur dürftig beleuchtet. Je weniger Licht, desto mehr Beklemmung. „Das ist normal“, sagt sie. Jede Frau kennt diese unbehagliche Situation, wenn sie abends oder nachts unterwegs ist. Nach dem Tod der Britin Sarah Everard auf dem Heimweg machen Frauen im Netz zum Thema, was jede Frau betrifft.

Everard wurde auf dem Weg von einer Freundin nach Hause mutmaßlich verschleppt und getötet. Sie war allein unterwegs im Süden von London, als sie gegen 21 Uhr das Haus ihrer Freundin verließ. Neun Tage später wird im etwa 100 Kilometer entfernten Kent die Leiche der jungen Frau gefunden, kurz darauf werden der Polizeibeamte Wayne C. und seine Frau festgenommen und vor Gericht geführt. Die Anklage: Mord.

Mahnwache wird aufgelöst

Der Tod von Sarah Everard sorgt für Aufruhr in Großbritannien. Eine Mahnwache vor dem Sitz von Scotland Yard in London wurde durch die Polizei robust aufgelöst. Der Grund: Die Demonstrantinnen haben sich nicht an die Abstände gehalten, die aufgrund der Corona-Pandemie gelten. Abstände, die sie sich sonst wünschen.

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Seit dem Fall berichten Frauen in den sozialen Medien von ihren Erfahrungen. „Text me when you get home“ heißt es da. Zu Deutsch: Schreib mir, wenn du zuhause bist. Livia Krimpelbein kennt das, der Satz gehört zu einem Abend mit Freundinnen seit Jahr und Tag dazu. „Das ist der Standard, oft telefonieren wir auch noch, wenn die eine auf dem Heimweg ist“, sagt die 20-jährige Mendenerin. So hat sie wenigstens am Telefon eine Begleitperson, eine Zeugin, wenn sie in der Dunkelheit von einer Freundin oder einer Feier nach Hause geht. Sie vermeidet das, so gut es geht.

Der Blickkontakt als Einladung

Im Vorfeld eines Abends wird das bedacht und geplant. „Das muss schon organisiert sein, aber da helfen wir uns untereinander“, sagt Livia Krimpelbein. Entweder bei der Freundin nächtigen, Geld für ein Taxi einplanen oder einen Freund fragen, ob er sie auf dem Heimweg begleiten kann. Geht das alles nicht? Dann bleibt Livia Krimpelbein zuhause.

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Frauen wie sie haben deswegen eigene Strategien entwickelt. Nach Möglichkeit nie allein laufen, wenn es dunkel ist. Generell Wege durch die Nacht vermeiden. Im letzten Moment aus dem Bus steigen, damit keiner folgen kann. Mit einer Freundin telefonieren, um im Notfall abgesichert zu sein. Unbedingt Augenkontakt vermeiden. „Für einige Männer ist allein das ja schon eine Einladung“, sagt sie. Sie ist so sozialisiert worden. Von ihren Eltern, ihrem Umfeld, durch die Gesellschaft. Während sie das sagt, blickt sie auf den gepflasterten Weg. In Menden kennt sie jeden Pflasterstein.

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„Im Winter schränkt das Frauen deutlich ein, der Tag hat fünf Stunden weniger für uns“, sagt sie. Wenn die Tage kürzer werden, geht Lebensqualität verloren. Die Angst gewinnt. Der Blick zurück gehört auf jedem Weg dazu. Musik hören um auf andere Gedanken zu kommen? Verboten. „Dann nehme ich meine Umwelt nicht so wahr, wie ich es muss“, sagt Livia. Die Angst, dass hinter jeder Ecke, jedem Gebüsch jemand warten könnte, der sie anspricht, ist omnipräsent.

Kriterium bei der Wohnungssuche

So auch bei der Wohnungssuche. Für ihr Studium hat sich die Journalistin Wohnungen in Düsseldorf gemeinsam mit ihrem Vater angeschaut. Einige davon musste sie kategorisch ausschließen. „Ich habe zu meinem Vater gesagt: Hier will ich abends nicht auf die Straße müssen“, sagt sie. Ihr Gesicht hat eine ernste Miene, ihre Stimme klingt dabei traurig, enttäuscht, resigniert. Sie hat sich damit abgefunden, dass es ist, wie es ist.

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Die aktuelle Aufmerksamkeit für das Thema, das vielen Männern nicht bewusst ist, stimmt sie zumindest ein wenig hoffnungsvoll. „Und wenn die Männer nur darüber anfangen nachzudenken, im Dunkeln die Straßenseite zu wechseln, wenn sie eine Frau sehen“, reduziert Livia ihre Hoffnungen direkt. Ein erster Schritt wäre das. Aber das beklemmende Gefühl wird immer bleiben.

>> HINTERGRUND: Tipps der Polizei

  • Handy laden: Vergewissern Sie sich, dass sie im Notfall in der Lage sind, telefonieren zu können.
  • Dafür bietet sich das rund um die Uhr erreichbare Heimwegtelefon unter 030/12074182 an.
  • Weg planen: Wählen Sie einen Weg, der beleuchtet und bewohnt ist.
  • Klingeln: Wenn Sie sich bedroht fühlen, klingen sie an Wohnhäusern.